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Der Geometermeister konnte stolz auf seine Schüler sein. Sie hatten die Gesetze, die er ihnen beigebracht hatte, verstanden und eingehalten. Die vom Hof in Auftrag gegebene Grabeinrichtung würde nicht den geringsten Makel aufweisen.

Mehrere junge Männer waren passable Handwerker. Manche hatten persönliches Talent. Der begabteste jedoch war und blieb Kamose.

Dieser wurde immer düsterer und verschlossener, und seine Kameraden machten sich allmählich Sorgen. Mehrfach hatte der Aufseher seinen Ausschluss gefordert. Er fürchtete, Kamose könne eines Tages einen schweren Fehler begehen, dessen Schmach auf die gesamte Zunft zurückfiele. Sollte sich Kamoses Charakter weiter verschlechtern, das wusste der Geometer, so müsste er Maßnahmen ergreifen, die er schon jetzt bedauerte. Aber sein Amt untersagte ihm, diesen oder jenen Schüler vorzuziehen.

Ein Vorfall brachte ihn auf eine Lösung. Als der Verwalter des königlichen Palastes das Mobiliar in Empfang nahm, bemerkte er einen Stuhl mit rechteckigem Rücken, dessen Eleganz ihn begeisterte. Entgegen der Sitte, nach der allein der Name des Meisters anerkannt wurde und nicht der seiner Schüler, erwähnte der Geometer Kamose als einen außergewöhnlichen Schüler. Der Verwalter, der die Strenge seines Gesprächspartners kannte, war über dieses Urteil sehr überrascht. Er merkte sich den Namen des jungen Mannes und nahm sich vor, im königlichen Palast über den Vorfall zu sprechen.

Der Meister rief Kamose zu sich. Dessen Sorgen belasteten ihn so, dass er mit siebzehn Jahren älter wirkte, als er war.

»Das Fest der Braut des Nil ist dir nicht bekommen, mein Junge. Ich habe den Eindruck, dass es nicht alle deine Wünsche befriedigt hat.«

Kamose schwieg.

»Der Aufseher beklagt sich über dich, Kamose. Er will, dass du gehst, und verfasst zu diesem Zweck einen Bericht nach dem anderen.«

»Was wirft man mir vor?«, fragte Kamose.

»Deinen unbeugsamen, verschlossenen Charakter. Deine Weigerung, Kontakt zu deinen Kameraden zu knüpfen. Deine verächtliche Haltung anderen gegenüber.«

»Ich verachte niemanden. Ich bin hier, um zu arbeiten und Euren Befehlen zu gehorchen.«

Der Geometer hatte keine Wahl mehr. Kamose war hart wie Granit. Er würde nicht aufblühen, bevor er nicht sein Ziel erreicht hatte. Er befand sich in einer Sackgasse und würde sich am Ende, wenn er jegliche Hoffnung verloren hatte, selbst zerstören. Es gab nur einen Weg – man musste sein Schicksal ändern, und folglich Risiken eingehen.

»Wenn meine Gegenwart Euch unangenehm ist und Euch schadet, dann gehe ich freiwillig«, verkündete der junge Mann nun.

»Ich werde mir von einem Aufseher nicht vorschreiben lassen, wie ich mich zu verhalten habe«, gab der Geometer barsch zurück. »Ist es noch immer dein Wunsch, in den geschlossenen Tempel zu gelangen?«

Kamoses Blick begann sich zu erhellen. Der Geometer erkannte darin eine wahnwitzige Hoffnung.

»Wenn du weiter mit mir arbeitest«, erklärte der Meister, »so wirst du viele Jahre brauchen, bis du eine Stelle mit großer Verantwortung übernehmen kannst. Du wirst durch ganz Ägypten reisen müssen, unsere Provinzen kennen lernen und alle Techniken lernen müssen. Erst dann wirst du vielleicht von jenen im geschlossenen Tempel berufen… Aber diese Geduld wirst du nicht haben.«

»Ich habe nicht das Recht, sie zu haben«, antwortete Kamose traurig.

»Somit bleibt nur ein einziger Weg«, schloss der Geometermeister. »Aber dafür brauche ich dein Einverständnis.«

Kamose hatte volles Vertrauen in den rechtschaffenen Mann, der ihm so viel beigebracht hatte. Und doch hatte er Angst.

»Wenn du deine Absicht nicht aufgibst, musst du Schreiber werden.«

Kamoses letzte Illusionen wurden zunichte gemacht.

»Ich kann mit meinen Händen arbeiten«, sagte er mit gebrochener Stimme, »aber ich kann weder lesen noch schreiben.«

»Das wirst du lernen. Da du es eilig hast, liegt hierin ein Risiko. Ich werde dich einem Mann übergeben, der zahlreiche Schreiber ausgebildet hat. Aber er ist unerbittlicher, als ich es jemals war.«

9

Kamose gab dem Geometer Meißel, Hammer und Dechsel zurück, die er benutzt hatte.

»Hier sind meine Werkzeuge«, sagte er. »Sie gehören mir nicht. Sie gehören der Zunft.«

»Behalte sie, du hast dich ihrer nicht unwürdig gezeigt. Du wagst nun das schwierigste aller Abenteuer. Deine Werkzeuge werden dir noch nützlich sein. Sie werden auf ewig deine Freunde bleiben.«

»Ich… Ich würde Euch gern…«

»Keine unnötigen Worte. Ich habe meine Pflicht getan. In dir brennt ein Feuer, Kamose. Du solltest lernen, es zu beherrschen. Meine Kenntnisse reichen nicht mehr aus, dir zu helfen. Werde Schreiber!«

Der Geometer umarmte seinen Schüler feierlich.

Mit einem Kalksteinplättchen versehen, auf das der Geometer ein paar Zeilen geschrieben hatte, wurde Kamose vom Aufseher in das Büro der Schreiber geführt. Dieses lag zwischen der äußeren Umfassungsmauer des Tempels von Amun-Re, dem König der Götter, und der Umfassungsmauer des geschlossenen Tempels.

Der Aufseher vertraute den jungen Mann einem Beamten an, der die auf den Kalkstein geschriebene Nachricht entzifferte.

»Du heißt Kamose und wirst empfohlen, um in die Schule des Alten einzutreten… Hat man dich informiert?«

»Anscheinend ist er ein strenger Mann.«

Der Beamte sah Kamose mitleidig an.

»Ich verstehe… Man hat dich offenbar wirklich nicht informiert. Bist du zu diesem Schritt gezwungen worden? Warum bleibst du nicht bei den Handwerkern?«

»Ich komme aus freiem Willen her und denke nicht daran, zurückzuschrecken.«

»Ganz wie du willst, junger Mann. Ich habe dich gewarnt.«

Der Beamte rief einen Schreiber herbei, der eine Kiste voller unbeschriebener Papyrusrollen trug. Er wies ihn an, Kamose zum Alten zu führen. Der Schreiber zuckte kurz zurück. Da er jedoch gewohnt war zu gehorchen, führte er den Befehl wortlos aus.

Kamose wagte nicht, ihm irgendeine Frage zu stellen. In dem Teil des Tempels, der den Handwerkern vorbehalten war, herrschte fröhliches Treiben, die Lehrlinge sangen bei der Arbeit, man hörte den Lärm der Werkzeuge. Hier dagegen herrschte Stille. Eine fast bedrückende Stille.

Kamose ging ein langes Stück die Umfassungsmauer des geschlossenen Tempels entlang. Er schritt durch mehrere schmale Türen, bog in dunkle Gänge ab, in die nur durch schmale, an der Decke angebrachte Öffnungen Licht drang.

Dann war er wie geblendet. Der Weg führte unter freiem Himmel, zwischen zwei Gebäuden hindurch und man sah in der Ferne das Ende eines Sees, in dem Priester ihre Waschungen vornahmen, Kamose wäre gerne stehen geblieben, aber der Schreiber schritt in gleichmäßigem Tempo voran, ohne sich umzudrehen.

Schließlich erblickte Kamose den Teil des Tempels, in dem sich die Wohnstätten und Büros der Schreiber befanden. Zahlreiche, sichtlich sehr beschäftigte junge Männer liefen dort umher. Unter freiem Himmel unterrichtete ein Meister eine Gruppe von etwa zehn Schülern, die eifrig auf Kalkplättchen schrieben. Kamose trug noch seine lederne Handwerkerschürze. Mit nacktem Oberkörper wirkte er wie ein junger Koloss in einer Welt von Intellektuellen, die feine Kleidungsstücke trugen und deren Schultern schmaler waren als seine. Er war das Objekt herablassender Blicke.

»Hier ist es«, erklärte der Schreiber, der ihn geführt hatte. »Tritt ein und warte!«

Kamose betrat ein niedriges, einstöckiges Gebäude. Das Erdgeschoss bestand aus einem großen Büro, an dessen Wänden Regale standen, die mit Papyrusrollen angefüllt waren.

Im hinteren Teil des Raumes saß mit verschränkten Beinen ein Greis. In der rechten Hand hielt er eine Schreibbinse, die er in regelmäßigen Abständen in einen mit schwarzer Tinte gefüllten Becher tauchte. Er schrieb in senkrechten Spalten Hieroglyphen auf einen elfenbeinfarbenen Papyrus.