Выбрать главу

Einige lange Minuten blieb Kamose stehen und wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. So sehr er sich unter den Arbeitern wohlgefühlt hatte, so angespannt und unruhig war er in dieser neuen Welt, deren Regeln er nicht kannte.

»Meister, ich heiße Kamose«, sagte er schließlich, »und mich schickt der Geometermeister…«

»Ich weiß«, entgegnete der Alte. »Wenn du nichts Interessanteres zu berichten hast, dann kehre dahin zurück, wo du herkommst. Siehst du nicht, dass ich arbeite?«

Der Alte war wirklich sehr alt und sein Schädel völlig kahl. Sein von tiefen Falten durchzogenes Gesicht wirkte sehr streng. Die knotigen Finger hatten eine bemerkenswerte Beweglichkeit bewahrt. Der Bauch bildete Falten, die den Alten nicht im Geringsten daran hinderten, stundenlang in der traditionellen Haltung der Schreiber zu verharren.

Kamose war ebenso fasziniert wie verängstigt.

»Ich… Ich möchte den Beruf des Schreibers lernen«, stammelte er schwach.

»Den des Redners kannst du schon mal aufgeben. Warum willst du Schreiber werden?«

»Um… Um lesen und schreiben zu können.«

»Was hat das schon zu sagen! Es gibt da draußen gewiss hundert mittelmäßige Söhne von Adligen, denen das von mittelmäßigen Lehrern beigebracht wird. Für so etwas verschwende ich nicht meine Zeit.«

Kamose verlor den Boden unter den Füßen. Er musste ein Argument finden, um den abweisenden Greis zu überzeugen.

»Ich wollte immer Schreiber werden… Es heißt, das sei der herrlichste aller Berufe und würde…«

»Schluss mit dem Unsinn«, unterbrach ihn der Alte. »Mir graut vor Lügnern.«

Endlich hob der alte Schreiber den Blick zu Kamose. Er musterte ihn wie ein Jäger seine Beute.

»Genau wie ich mir dachte… Ein junger Bauer ohne Bildung, der sich für stärker hält als alle anderen, nur weil er mit drei Werkzeugen umgehen kann.«

»Ich habe mein Meisterstück abgeliefert«, wandte Kamose ein.

»Und dabei vergessen, dass eine Sphinx immer das Gesicht des Pharao trägt. In der Tat eine schöne Leistung!«

»Woher wisst Ihr…«

»Ich verlasse dieses Büro nie und weiß doch über alles Bescheid. Merk dir das. Wenn du versuchst, zu tricksen und dich zu verstellen, werfe ich dich auf der Stelle hinaus.«

Der Alte stieß eine Art missbilligendes Murren aus.

»Du willst nicht Schreiber werden, junger Kamose, du willst in den geschlossenen Tempel hineinkommen. Wahrscheinlich eine dumme Wette mit dir selbst. Und außerdem bist du wie alle Dummköpfe deines Alters bestimmt verliebt, was die Sache nicht besser macht.«

»Meine Gefühle…«

»Deine Gefühle existieren nicht mehr, sobald du dieses Büro betrittst. Es ist deine Entscheidung. Wenn du willst, dass ich einen Schreiber aus dir mache, so wirst du dich beugen müssen. Ich habe zu viele Schüler. Wäre der Geometermeister nicht schon lange mein Freund, so hätte ich auf sein Gesuch nicht einmal geantwortet. Dein Fall interessiert mich nicht. Er ist sicherlich kompliziert. Den Weg der Handwerker zu verlassen, um den der Schreiber einzuschlagen, erfordert außergewöhnliche Fähigkeiten. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass du über sie verfügst. Auf jeden Fall werde ich nicht lange brauchen, um es herauszufinden. Solltest du einer jener Streber sein, die man mir häufig schickt, so werde ich dich bald brechen wie dürres Holz.«

Während der Alte sprach, hatte er nicht aufgehört, mit sicherer Hand Hieroglyphen zu schreiben.

Die magischen Zeichen bildeten jetzt mehrere, vollkommen regelmäßige Spalten.

»Ich will Schreiber werden«, erklärte Kamose nachdrücklich.

10

Kamoses erste Arbeit bestand darin, das Büro des Alten auszufegen und selbst kleinste Staubspuren daraus zu entfernen. Der junge Mann musste seine Aufgabe völlig geräuschlos erledigen und durfte den Alten dabei keinesfalls stören.

Es war eine harte Prüfung. Sie lehrte Kamose, wie wichtig peinliche Sorgfalt ist, und zwang ihn, die Wutanfälle, die ihn zu überkommen drohten, im Keim zu ersticken.

Nach einer Woche dieses Frondienstes rief der Alte den jungen Mann zu sich.

»Du hast bereits Hieroglyphen in Stein gemeißelt. Welche waren das?«

»Eine Biene und ein Schilfrohr.«

»Kennst du deren Bedeutung?«

»Nein.«

»Das Schilfrohr ist das Symbol des Pharao als König von Oberägypten. Diese Hieroglyphe spielt mit der Wurzel, die ›er‹ bedeutet. Der König ist kein ›ich‹, kein Individuum, das nur nach seinem Vergnügen regiert. Er ist derjenige, in dem das gesamte Volk vereint ist, um mit den Göttern in Verbindung zu treten.«

»Und… die Biene?«

»Die Biene ist das Symbol des Pharao als König von Unterägypten«, erklärte der Alte. »Die Biene ist der Geometer, der dank seiner Kenntnisse über die Proportionen die Stätte errichtet, an der der Honig gemacht wird, das flüssige Gold, die königliche Nahrung. Der Pharao ist der Baumeister des Königreichs, das er mit seinen Wohltaten nähren muss.«

Vor Kamose öffnete sich eine bisher ungeahnte, unermessliche Welt.

»Besteht in diesen Kenntnissen die Wissenschaft der Schreiber?«

»Die meisten von ihnen sind nur Beamte ohne innere Überzeugung«, erwiderte der Alte. »Sie sind mit Verwaltungsaufgaben betraut, die ihr Leben ausfüllen. Was ich dich lehre, ist das Geheimnis der Hieroglyphen. Es reicht nicht aus, lesen und schreiben zu können. Man muss die Bedeutung der Worte verstehen, die uns die Götter offenbart haben. Unsere Sprache ist heilig. Sie ähnelt keiner anderen. Wer sie zu handhaben weiß, hat Macht über die Lebewesen und Dinge. Aber diese Macht darf er nicht missbrauchen. Sonst löst er den Zorn des Thot aus, des Gottes der Schrift.«

»Birgt jede Hieroglyphe ein Geheimnis?«

»Jede Hieroglyphe ist ein Symbol, das du mit dem Herzen verstehen lernen musst. Durch das Lesen kann sie zu einem Klang werden. Durch das Schreiben bildet sie deine Hand und macht sie klug.«

»Wenn ich es schaffe, Euch zufrieden zu stellen, werde ich dann in den geschlossenen Tempel eintreten?«

»Mich zufrieden zu stellen hat keinerlei Bedeutung«, erklärte der Alte ungehalten. »Beginne damit, das Alphabet zu lernen und es von rechts nach links, von links nach rechts und von oben nach unten zu schreiben.«

Kamose erhielt von dem Alten etwa hundert kleine Kalksplitter, auf denen er übte.

Die ersten Versuche waren katastrophal, doch der junge Mann machte verbissen weiter. Die Eule hatte zu lange Füße, der Falke einen zu stark gespaltenen Schnabel, das Wachtelküken einen zu schmalen Kopf. Der Alte überließ ihn einen ganzen Tag seinen Fehlern. Dann verbesserte er hier und da einen Strich, ohne den geringsten Kommentar abzugeben.

Kamoses Geist begriff allmählich, seine Hand mühte sich. Dann begann sie, alleine zu arbeiten. Sie wurde verständig. Nicht über den Verstand, über das Herz hatte sie begreifen gelernt.

Als Kamose dem Alten ein tadellos gezeichnetes Alphabet zeigte, strahlte er mit berechtigtem Stolz.

»Du weiß noch nichts«, bemerkte der Alte, »und lernst eher langsam. Wenn du weiterhin nichts tust, kehrst du wieder aufs Land zurück. Hier ist eine Liste mit Hieroglyphen, die du zeichnen und auswendig lernen sollst. Stell dir beim Zeichnen Fragen zu ihrer Bedeutung. Es gibt keinen anderen Weg, als sie über das Herz zu lernen.«

Gekränkt und wütend sank Kamose in der Ecke des Büros in sich zusammen, wo er über eine einfache Matte zum Schlafen verfügte. Er ging nur zwei Stunden am Tag hinaus, um sich ein wenig Bewegung zu verschaffen und sich kärglich von Brot, Obst und Wasser zu ernähren.

Die Aufgabe, die ihm der Alte aufzwang, war fast übermenschlich. Sie erforderte beträchtliche Konzentrations- und Gedächtnisanstrengungen.