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Sofort begannen die anderen Kandidaten, Kamose neugierig zu mustern. Wie hatte dieser Bauernlümmel, der einer unbekannten, völlig mittellosen Familie angehörte, das Vertrauen des Alten gewinnen können?

Kamose, der es dank seiner Erfahrung als Handwerker gewohnt war, sich zu konzentrieren, ließ sich von dem Vorfall nicht ablenken. Er setzte sich in der Haltung der Schreiber, die Beine vor sich verschränkt, den Kopf leicht gesenkt.

Das Thema erwies sich als ausgesprochen schwierig. Zunächst sollte man einen Text in Spalten schreiben und ihn dann ohne die geringste Worthilfe übersetzen.

Einige Kandidaten verloren sofort den Mut. Andere wurden Opfer ihrer Hast. Kamose nahm sich Zeit nachzudenken. Statt sein Gedächtnis zu quälen, ließ er seine Intuition sprechen.

Einige Worte waren Kamose unbekannt. Er erschloss sich ihre Bedeutung aus dem Kontext. Als er seine Übersetzung noch einmal durchlas, musste er lächeln.

»Die Pferde müssen gut dressiert werden. Die Hausaffen lernen zu tanzen, die Hunde zu gehorchen. Die Schüler sind von Natur aus unwissend und undiszipliniert. Nur der, der jeden Tag lernt und die kleinen Aufgaben nicht vernachlässigt, wird stark. Ein einziger Tag der Nachlässigkeit genügt, und es kommt zur Züchtigung. Das Ohr des Schülers ist sein Rücken. Wenn er den Stock gespürt hat, wird er aufmerksamer. Er versteht, dass man nur vorankommt, wenn man mit seinen Meistern spricht. Mögen diese Worte vom Herzen gehört werden, und mögen sie von Nutzen sein!«

Die Prüfer gingen durch die Reihen und sonderten die Kandidaten aus, die den Anforderungen nicht genügten. Nur zehn blieben übrig, darunter Kamose. Man forderte ihn auf, sich zu erheben. Nach kurzem Warten wurde er vor eine Jury älterer Männer geführt.

»Was denkst du über den Text, den du übersetzt hast?«, fragte einer von ihnen.

»Er ist richtig und gut.«

»Du befürwortest also Stockschläge?«

»Wenn sie gerechtfertigt sind: ja.«

»Wann sind sie gerechtfertigt?«

»Wenn eine Aufgabe vernachlässigt wurde.«

»Bist du sicher, keine einzige vernachlässigt zu haben?«

Kamose spürte, dass er in der Falle saß.

»Ich habe versucht, meine Tätigkeit korrekt auszuüben.«

»Der Versuch allein reicht nicht aus. Ist dir in jeder Situation alles gelungen?«

Unmöglich, das zu bejahen. Kamose zog es vor, zu schweigen.

»Dein Schweigen ist vielsagend. Du gestehst deine Fehler ein. Du verdienst also Stockschläge. Auf die Knie!«

Einer der Schreiber kam mit einem Stock in der Hand auf ihn zu. Kamose sah ihm gerade in die Augen, dann kniete er nieder und wartete auf die ersten Schläge.

»Steh auf«, befahl der Prüfer. »Du hast noch viel zu lernen.«

Nur fünf junge Männer wurden als würdig erkannt, weiterführende Studien im Haus der Bücher zu betreiben. Auf diese Weise kam Kamose mit vier Söhnen von Adligen zusammen, die reiche Anwesen in Theben und große Landgüter besaßen. Einem von ihnen war das eigene Vermögen wie auch das von seinesgleichen gleichgültig, er begeisterte sich ausschließlich für Literatur. Er hatte die klassischen Autoren gelesen, kannte zahlreiche Gedichte auswendig und konnte stundenlang über den Unterricht der Weisen reden.

Aber er war schwach in Geometrie, was ein großer Nachteil war, wollte man königlicher Schreiber werden.

Ohne Hintergedanken bot Kamose ihm seine Hilfe an. Während ihrer dreiwöchigen Ausbildung wurden die beiden jungen Männer zwar nicht Freunde, aber ergänzten einander. Der junge Adlige war sehr redselig und fasste in wenigen Worten die berühmten Texte zusammen, von denen sich Kamose auf diese Weise das Wichtigste merken konnte. Kamose wiederum erklärte seinem Mitschüler einfache Methoden zum Erlernen der räumlichen Geometrie, die sein Meister ihm beigebracht hatte.

Bald jedoch würden die Schreiberlehrlinge sich trennen. Die jungen Adligen würden wieder nach Hause gehen und sich mit ihren Hauslehrern auf die nächsten Prüfungen vorbereiten. Kamose würde zum Alten zurückkehren.

»Hast du keine Familie?«, fragte ihn der junge Gebildete.

Kamose hatte die Frage erwartet und sich eine kühne Antwort zurechtgelegt. Eine Antwort, die ihm den Weg zum Glück eröffnen konnte.

»Meine Eltern wohnen in einer Provinz im Norden. Ich bin wegen Nofret hier.«

»Wegen Nofret, der neuen Hathor-Priesterin? Der Tochter von Richter Rensi?«

»Ganz genau.«

»Du genießt mächtigen Schutz. Mit deinem Talent für die Hieroglyphen ist dir deine Karriere sicher. Welchen Dienst im Tempel hast du dir erwählt?«

»Den im Kataster.«

Der junge Gebildete verzog missbilligend das Gesicht.

»Du verdienst etwas Besseres… Im Kataster arbeiten viele alte pedantische Schreiber.«

»Und doch ist es schwierig, dort hineinzukommen, hat man mir gesagt.«

»Ja und nein… Man braucht vor allem lange Erfahrung. Diejenigen, die es nicht geschafft haben, in der Hierarchie aufzusteigen, enden im Kataster.«

»Und doch ist es ein wichtiges Amt. Es wacht über alle Besitztümer aller Ägypter.«

»Du hast nicht Unrecht, aber dafür braucht man vor allem einen pedantischen Geist und eine leidenschaftliche Liebe für Archive.«

»Ich vermute, die Büros des Katasters befinden sich in Theben und werden streng bewacht.«

»In Theben? Sie sind hier in Karnak im geschlossenen Tempel! Ich glaube, es gibt keinerlei Wache. Die Umfassungsmauer reicht aus, die heiligen Orte zu schützen.«

»Bestimmt ist es unmöglich, den genauen Ort herauszufinden…«

»Da täuschst du dich«, widersprach der junge Gebildete. »Das ist kein Geheimnis. Sie befinden sich im ersten Teil des geschlossenen Tempels vor dem großen Säulensaal.«

»Woher weißt du das?«, fragte Kamose erstaunt.

»Mein Vater hat vor einem Jahr Zugang erhalten. Er hat mir davon erzählt. Nach seinen Worten ist der Archivsaal fast immer menschenleer. Rechts Streitigkeiten sind so selten… Gewöhnlich werden sie an Ort und Stelle geklärt. Es kommt nur sehr selten vor, dass man dafür das Kataster einsieht.«

»In den geheimen Tempel einzudringen dürfte also nicht sehr schwer sein.«

»Täusch dich nicht! Dort herrscht die Zauberkraft der Eingeweihten. Sie weist jeden zurück, der nicht den Riten entsprechend zugelassen wurde. Versuche es niemals! Du wirst es mit deinem Leben bezahlen.«

»Ich verstehe das nicht«, gestand Kamose sorgenvoll.

Der junge Gebildete sah ihn verblüfft an.

»Du scheinst so unruhig… Was ist los?«

»Warum ist der Zugang zu den Archiven des Katasters so schwierig?«

»Ich habe mich falsch ausgedrückt… Im Tempel werden nur die Originale aufbewahrt. Die Abschriften sind im Schatzamt im Verwaltungsviertel inventarisiert. Aber warum interessierst du dich denn so für das Kataster? Das ist doch wirklich ein langweiliges Thema. Magst du nicht lieber mit mir das Märchen von Sinuhe lesen? Das ist ein so herrlicher Text voller unerwarteter Wendungen.«

»Aber gern!«

Die drei Ausbildungswochen waren beendet. Die Schreiberlehrlinge wurden getrennt.

Der Alte schrieb weiter an den Hieroglyphen des Totenbuchs, das der König bei ihm bestellt hatte. Kamose hätte seit zwei Tagen bei ihm sein sollen. Wenn einer seiner Schüler fehlte, rief der Alte sofort den Sicherheitsdienst des Tempels, der den Schuldigen suchte und ihn ohne Rücksicht auf Einwände zu seinem Lehrer zurückbrachte. Er erhielt dann eine dem Vergehen entsprechende Strafe. Dieses Mal unternahm der Alte keinerlei Aktion gegen den Schuldigen. Alles verlief wie geplant.