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»Ich bin zufällig hier. Du hast von Richter Rensi gesprochen… Weißt du, wo er wohnt?«

»Natürlich. Er bewohnt das schönste Haus der Stadt im Viertel der Adligen. Davor liegt ein durch Mauern abgeschlossener Garten. Der Zugang erfolgt durch ein gewaltiges Tor, das von bewaffneten Männern und einem gezähmten Panter bewacht wird. Komm nicht auf den Gedanken, ihn zu provozieren. Er hasst Fremde.«

Der Panter, der fest an der Leine gehalten wurde, fauchte, kaum hatte er Kamose gesehen.

»Ganz ruhig, mein Guter, ganz ruhig«, befahl der Wächter.

Sein Kollege griff nach seiner Lanze.

Der junge Schreiber, der da auf sie zukam, wirkte nicht sonderlich gefährlich, und schon viele Jahre war es in Theben zu keinem Überfall mehr gekommen. Aber es gab strenge Anordnungen.

Kamose, den die Raubkatze nicht im Geringsten beeindruckte, blieb in einiger Entfernung stehen.

»Was wünschst du?«, fragte einer der beiden Wächter.

»Ich möchte Richter Rensi sprechen.«

»Aus welchem Grund?«

»Eine dringliche Angelegenheit.«

»Hast du einen Passierschein vom Gericht?«

»Nein, aber seine Tochter kennt mich.«

Die Wächter schienen in einer schwierigen Situation.

»Ohne offizielles Dokument können wir dich hier nicht hereinlassen«, sagte der Wächter, der den Panter an der Leine hielt. »Aber du würdest den Richter sowieso nicht antreffen. Er ist abgereist und erholt sich in seiner Villa auf dem Westufer.«

Kamose verneigte sich ehrfurchtsvoll, als ob er sich an einen Ausbilder wandte. Die Wächter waren erfreut über diese Respektsbekundung und hielten den jungen Schreiber für höflich und sehr wohlerzogen.

Das Feuer, das in ihm brannte, erkannten sie nicht.

13

Die Nacht brach herein.

Der Nil war nur noch ein unter den letzten Strahlen der Sonne funkelnder Silberstrom.

Das emsige Treiben der großen Stadt kam zur Ruhe. Die Mütter bereiteten das Abendessen zu. Die Männer, die von den Feldern oder den Büros zurückgekommen waren, genossen ein kühles Bier und lauschten dabei den Worten der Geschichtenerzähler.

Im Viertel der Adligen wurden reiche Bankette vorbereitet, bei denen die schönen Damen darum wetteiferten, welche die eleganteste sei.

Kamose konnte den Frieden und das ruhige Glück nicht genießen. Der junge Mann kauerte im hohen Gras des Ostufers und beobachtete angespannt, wie die letzten Boote der Flusspolizei in ihren Heimathafen zurückkehrten.

Bald würde Dunkelheit herrschen. Kein einziges Schiff fuhr dann noch auf dem Gottesfluss.

Alles war ruhig.

Kamose betrat einen Wald aus Schilfrohr, dessen Stängel im Wasser standen. Er lief eine ziemlich lange Strecke, bevor er sich auf Höhe der Landgüter der Adligen auf dem anderen Ufer befand. Es gab dort nicht viele. Nur die Vertrauten des Pharao hatten die Erlaubnis, sich an diesem Ort in der Nähe eines der königlichen Paläste niederlassen zu dürfen.

Kamose wurde von unzähligen Mücken gestochen, aber das kümmerte ihn nicht. Auch das wimmelnde Leben, das in der unentwirrbaren Pflanzenwelt um ihn herrschte, schreckte ihn nicht weiter. Amphibien, Wasserschlangen, kleine Raubtiere… Diese Welt lebte nach ihren eigenen Gesetzen und ließ sich nur kurz von dem Eindringling stören, der mit großen Schritten voranschritt und dabei kraftvoll das Schilf zur Seite bog.

An der Stelle angelangt, an der der Fluss am schmalsten war, zog Kamose seinen Schurz aus, legte ihn auf den Kopf, knotete ihn um die Stirn und glitt ins Wasser.

Er hatte schon als Kind schwimmen gelernt, als er mit anderen Jungen aus dem Dorf spielte. Selbst der Pharao musste lernen, sich im Wasser zu bewegen. Für all die, denen das Lernen schwer fiel, benutzte man einen Schwimmkörper aus Schilf. Kamose hatte ein solches Hilfsmittel jedoch nie gebraucht. Rasch hatte er die Bewegungen und die Körperhaltung gelernt, die es ihm erlaubten, eins zu werden mit der Strömung und sich mühelos vorwärts zu bewegen.

Aber es gab noch einen anderen Schwimmer, dessen besorgniserregende Anwesenheit der junge Mann vergessen hatte. Ein Schwimmer, der den Tag damit verbrachte, auf grünen Inselchen mitten im Nil zu schlafen, und der so reglos schien wie ein Stein. Ein Schwimmer mit einem gewaltigen Maul und mit Zähnen, die nur darauf warteten, ihre Beute zu zerreißen.

Das Krokodil erwachte aus seinem Nickerchen und bewegte sich blitzschnell über den schmalen Uferstreifen, der es vom Nil trennte.

Die Flussgottheiten waren Kamose wohlgesonnen. Hätte das Krokodil von hinten angegriffen, hätte er keine Chance gehabt, ihm zu entkommen. Aber der Schwimmer sah das Ungeheuer, dessen Kamm aus dem Wasser ragte, auf sich zukommen.

Ohne Waffe zu kämpfen war nutzlos. Kamose verteidigte sich, wie er es von seinem Vater gelernt hatte. Es kam öfter vor, dass eine Echse die Viehherden angriff, wenn sie die Furt durchquerten. Die Zauberpriester hatten den Bauern Sprüche beigebracht, deren Wirksamkeit schon einige Tiere gerettet hatte.

Kamose ruderte so kräftig wie möglich mit den Armen. So laut er konnte, sprach er die Machtworte: »Halt, Krokodil, Sohn des Seth! Bewege deinen Schwanz nicht mehr, schwimme nicht weiter voran! Möge das Wasser eine Feuermauer gegen dich bilden! Werde blind!«

Bis zur Erschöpfung ruderte der Schwimmer mit den Armen, wiederholte den Spruch und schlug Wellen gegen das Krokodil, die es wegdrängen sollten.

Kamose hatte die Augen geschlossen. Wenn er scheiterte, wollte er den abscheulichen Tod nicht sehen.

Erschöpft streckte er sich auf dem Wasser aus.

Das Krokodil war verschwunden.

Wieder einmal hatte sich die Zauberkraft der Vorfahren als wirkungsvoll erwiesen.

Der Alte unterbrach seine Arbeit an den Hieroglyphen des Totenbuchs. Sein Herz hatte heftig geschlagen und ihm verkündet, dass Kamose in Gefahr war.

Der alte Schreiber erhob sich und näherte sich einer kleinen Granitstatue, die mit in den Stein gehauenen Texten bedeckt war. Sie stellte einen sitzenden Arzt dar, der einen Papyrus ausgerollt auf den Knien liegen hatte.

Der Alte goss der Statue Wasser auf den Kopf. Es lief über den Steinkörper. Beim Hinabfließen brachte es mehrere in den Texten enthaltene Hieroglyphen zum Glänzen. Hieroglyphen, die immer dasselbe Tier darstellten: ein Krokodil.

Folglich schwamm Kamose im Fluss und würde von einer Echse angegriffen werden. Der Alte hatte nicht eine Sekunde zu verlieren. Auf einen unbeschriebenen Papyrus zeichnete er mit roter Tinte ein Krokodil. Aber er achtete sorgfältig darauf, den Kopf in zwei Teile zu teilen und ihm Messer in den Kopf, den Rücken und den Schwanz zu stechen. Auf diese Weise machte er das Ungeheuer unschädlich. Das Symbol ging der Wirklichkeit voraus. Das Krokodil, das Kamose angreifen wollte, hätte keine Kraft mehr.

Friedlich schlief der Alte ein.

In den kommenden zwei Stunden brauchte sein Schüler seine Hilfe nicht mehr, selbst wenn andere Gefahren auftauchen würden.

Es bliebe genug Zeit, beim Aufwachen darüber zu entscheiden.

Kamose brauchte lange, um wieder zu Atem zu kommen. Erst als er das westliche Ufer erreichte, spürte er die Auswirkung der Angst. Trotz der warmen Nacht fröstelte er. Er zitterte an allen Gliedern und klapperte mit den Zähnen.

Der Vorfall hatte seine Entschlossenheit nicht im Geringsten ins Wanken gebracht. Er hatte den Fluss überquert. Er würde bis ans Ende gehen.

Alle Thebaner sprachen davon, wie prachtvoll die gewaltige Villa des Richters Rensi war, dessen Reichtum dem des Bürgermeisters von Theben gleichkam. Es war für Kamose nicht schwierig gewesen, sich von Händlern das prunkvolle Landgut beschreiben zu lassen.

Nachdem er das Ufer hinaufgeklettert war und erneut einen Wald aus Schilfrohr durchquert hatte, ging er einen Pfad entlang, der über ein Dinkelfeld führte, und hörte in der Ferne Musik und Gesang.