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Als die Sonne unterging, legten sich die beiden jungen Leute ans Ufer. Aneinander geschmiegt, ließen sie die letzten Strahlen des Tages in ihre Augen dringen. Sie nahmen die friedliche Stimmung auf wie Nahrung, wie eine Gabe des Himmels, die sie wie ein kostbares Gut bewahren mussten. Als sie gerade innig verbunden dalagen, kam der Verwalter sie holen.

Richter Rensi war zurückgekehrt.

»Ich werde mit ihm sprechen«, erklärte Kamose.

»Nein. Das ist meine Aufgabe. Ich werde ihn überzeugen können. Mein Vater will mein Glück. Er wird unser Glück wollen.«

»Und wenn er dagegen ist?«

Nofret antwortete nicht. Sie weigerte sich, die Möglichkeit des Scheiterns ins Auge zu fassen. Zwischen ihr und ihrem Vater hatte immer vollkommenes Einverständnis geherrscht. Er spürte ihre tiefsten Wünsche, erlaubte ihr, sie zu äußern und ihr Leben danach zu führen. Warum sollte es heute anders sein?

Richter Rensi studierte Verwaltungsdokumente, als Nofret und Kamose in sein Büro traten.

»Einen Augenblick«, forderte er abweisend. »Ich beende noch die Prüfung dieses Berichts.«

Die beiden jungen Leute sahen sich an. In ihren Blicken leuchtete dieselbe Flamme. Sie hatten die Stärke der Liebe auf ihrer Seite, die über alle Hindernisse siegen würde.

»Ich habe in meinem Büro in Theben den leitenden Priester des Katasteramtes getroffen«, begann Richter Rensi. »Es war ein heikles Unterfangen. Ich habe ihm den Fall erklärt, der zu meinem Vorgehen führte. Er schien mir höchst unzufrieden, aber angesichts meiner Stellung hat er eingewilligt, mich in den geschlossenen Tempel zu führen und mich das Kataster einsehen zu lassen.«

Nofret legte ihre rechte Hand auf Kamoses Arm. Der junge Mann zitterte vor Ungeduld.

»Es ist jetzt alles klar«, fuhr Richter Rensi fort. »Das Land, auf dem Geru und Nedjemet gearbeitet haben, hat ihnen nie gehört. Es handelte sich um eine einfache Verpachtung. Tatsächlich ist das Land durch ein königliches Dekret zum Besitz des Helden Setek geworden, eines Veteranen, der an den Asienfeldzügen teilgenommen und großen Ruhm erworben hat.«

Kamose war wie gelähmt.

»Das ist unmöglich… Der Bürgermeister hat meinen Eltern vor mehreren Jahren persönlich die Besitzurkunde gezeigt.«

»Er hat sich getäuscht. Die meisten örtlichen Beamten kennen sich in rechtlichen Dingen nicht aus. Ich kann dir versichern, dass alles in Ordnung ist. Als Ramses der Große, unser innig geliebter Herrscher, den Helden Setek gefragt hat, welches Gelände ihm genehm wäre, hat er jenes benannt, das deine Eltern bestellten. Der Bürgermeister deines Dorfes hat die Akte an das Kataster weitergeleitet. Dem gibt es nichts hinzuzufügen.«

»Aber natürlich!«, wandte Kamose ein. »Das ist doch ein Gespinst von Lügen!«

Der Tonfall von Richter Rensi wurde schneidend.

»Es reicht jetzt, mein Junge! Du bist nichts weiter als ein Schreiberlehrling, der sich seiner künftigen Aufgabe als unwürdig erweist. Aus Gründen, die ich nicht kenne und die ich nicht zu kennen wünsche, hast du eine unglaubliche Geschichte erfunden. Um meiner Tochter einen Gefallen zu tun, habe ich mich lächerlich gemacht. Das wird mir eine Lehre sein. Ein hoher Richter hat nicht das Recht, irgendjemanden zu begünstigen, nicht einmal die, die er liebt. Ich werde nicht zweimal denselben Fehler begehen. Was dich betrifft: Verlasse dieses Haus und kehre niemals wieder!«

»Mein Vater«, unterbrach Nofret, »du hast kein Recht…«

Der Richter wandte sich seiner Tochter zu und sah sie zärtlich an.

»Ich liebe dich mehr als alles andere auf der Welt, das weißt du, Nofret. Deshalb befehle ich dir, diesen Jungen zu vergessen. Diese Trennung ist hart, ich weiß. Du wirst leiden, aber rasch darüber hinwegkommen und verstehen, wie richtig meine Entscheidung ist.«

Nofret drückte Kamoses Handgelenk, um ihn zu hindern, heftig zu werden.

»Ich werde dir gehorchen, mein Vater«, sagte sie mit fester Stimme.

16

Kamose war vor lauter Wut wie im Rausch und sah weder den klaren Himmel noch das vollkommene Blau des Wassers im Becken. Der junge Mann ballte die Fäuste zusammen.

»Das ist niederträchtig… so niederträchtig! Dein Vater steckt mit den Übeltätern vom Kataster unter einer Decke!«

Nofret bewunderte ihren Vater. Sie glaubte, sie könne keinerlei Kritik gegen ihn ertragen, erst recht keine Beleidigung. Und doch reagierte sie nicht. Sie war überzeugt, dass die von Kamose benutzten Ausdrücke heftiger waren als seine wahren Gedanken.

Sie verehrte ihren Vater, und sie liebte Kamose. Sie würde mit aller Kraft darum kämpfen, das unermessliche Glück, das die Götter ihr gerade geschenkt hatten, nicht zu verlieren.

»Gib dich nicht deinem Zorn hin. Er verdunkelt das Herz.

Mein Vater ist der aufrichtigste aller Richter. Jeder kann dir das bezeugen.«

»Bist du wirklich sicher, Nofret? Könntest du es mir schwören?«

»Ich schwöre es bei meinem Leben und bei unserer Liebe.«

Kamose beruhigte sich. Er konnte keine bessere Gewissheit erhalten als die, die ihm Nofret soeben gegeben hatte.

»Du musst die Wirklichkeit anerkennen«, riet sie ihm traurig. »Das Kataster hat sich nicht geirrt. Seine Meinung ist Gesetz.«

»Die Wirklichkeit… Wie sollte ich anerkennen, dass meine Eltern dazu verurteilt sind, den Rest ihres Lebens wie Sklaven zu leben?«

»Komm mit mir zum Palmenhain«, flehte Nofret.

Den Tränen nah willigte Kamose ein.

»Ich liebe dich, Kamose. Auch das ist die Wirklichkeit.«

»Eine so schwache Wirklichkeit, dass sie dazu bestimmt ist, zu verschwinden«, bemerkte der junge Mann. »Dein Vater hält mich für einen Geschichtenerfinder. Er wird unserer Heirat nie zustimmen.«

»Nicht er trifft eine solche Entscheidung. Ich wähle mir meinen Mann. So lautet das Gesetz.«

»Ich weiß, Nofret, aber trotzdem bleibt das ein Traum. Ich bin ein Bauer. Ich habe kein Vermögen. Ich habe kein Haus, das ich dir schenken kann. Du bist die Tochter eines der reichsten Männer von Theben. Nur der Sohn eines Adligen wird dich heiraten können.«

»Nein! Kamose, nein…«

»Du darfst die Wirklichkeit nicht zurückweisen«, entgegnete der junge Mann beharrlich. »Ohne die Einwilligung deines Vaters ist unsere Verbindung unmöglich.«

Nofret hatte nicht gewusst, was Leiden bedeutet. Der Schmerz, der ihr nun das Herz zerriss, war unerträglich. Sie würde nicht darauf verzichten, mit Kamose zu leben, sollte sich auch das gesamte Land gegen sie verbünden.

Warum verwandelte sich das Lächeln des Schicksals in eine teuflische Fratze?

Die Nacht war lau, die Oase lag verlassen. In der Wüste riefen sich Schakale. Sie machten sich auf die Suche nach Kadavern. In der Unterwelt durchquerte die Sonne die Bezirke des Todes.

»Unser Glück ist hier«, sagte Nofret. »Verlassen wir diesen Palmenhain nicht mehr.«

»Das ist doch auch nur ein Traum, Nofret. Diese Welt ist schrecklich. Ich hielt sie für rein und gerecht. Aber sie ist die Beute von Plünderern. Man braucht nur Gewalt anzuwenden, um seine Habgier zu befriedigen.«

»Sei nicht so düster…«

»Nenne mir Gründe für Hoffnung. Ich sehe keinen.«

Verzweifelt suchte die junge Frau nach einer Antwort.

»Es gibt nur noch eine Lösung«, erklärte Kamose entschlossen.

»Welche?«

»Die Ursache des Übels zu beseitigen.«

Nofret sah ihn angsterfüllt an.