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»Ihr hört meinen Worten nicht aufmerksam zu, Majestät. Ich habe gesagt: vorübergehend.«

»Was ist der Grund für diese außergewöhnliche Entscheidung?«, fragte der Pharao verwundert.

»Das ist noch schwer zu erklären«, antwortete der Alte rätselhaft.

»Gebt Ihr mir keinen Hinweis?«

»Ich muss mich um einen Taugenichts kümmern.«

»Wollt Ihr damit sagen… dass Ihr zum Privatlehrer eines jungen inkompetenten Schreibers werden wollt?«

»Etwas in dieser Art, in der Tat.«

Ramses der Große war verblüfft.

»So habt Ihr nur zwei Mal reagiert«, erinnerte sich der Pharao. »Ihr wart mein Privatlehrer und der eines meiner Söhne, den ich für den Thron bestimmt habe. Und wir waren keine… Taugenichtse.«

»Niemand weiß, was Ihr ohne den Unterricht des Weisen geworden wärt«, wandte der Alte ein. »Aber Ihr habt verstanden, auf ihn zu hören.«

»Wer ist dieser Ausnahmeschüler?«, fragte der König.

»Ausnahmeschüler?«, wiederholte der Alte unzufrieden. »Ein einfacher Schlingel, störrisch, selbstgefällig, aufbrausend, der hundert Stockschläge verdient hätte!«

»Ich verstehe Euer Vorgehen nicht«, gestand Ramses der Große. »Ihr beschreibt mir tatsächlich einen Taugenichts, und Ihr, der gelehrteste aller Schreiber, wünscht, ihm all Eure Zeit widmen zu können!«

»Es macht mir kein Vergnügen«, räumte der Alte ein. »Ich hätte wahrlich andere Aufgaben zu erfüllen. Aber ich habe in den heiligen Zeichen gelesen, dass dies meine Aufgabe sei.«

Der Pharao wusste, dass niemand, nicht einmal er selbst, den Alten umstimmen konnte.

»Ich vermute, Euer Schüler legt eine nicht geringe Begabung für die Wissenschaft der Schreiber an den Tag.«

»Eine nicht geringe, in der Tat«, räumte der Alte ein.

Aus seinem Mund war das ein gewaltiges Kompliment. Der König selbst hatte von seinem Lehrer nie ein derart positives Urteil erhalten.

»Dieser Junge muss ganz besonders stolz auf Eure Entscheidung sein«, vermutete Ramses der Große.

»Das ist nicht der Fall.«

»Aber warum? Ist er sich ihrer Bedeutung nicht bewusst?«

»Er weiß noch nichts von ihr«, verriet der Alte.

Nofret war nicht in die Villa zurückgekehrt. Sie hatte beschlossen, Kamose in den Tempel von Deir el-Bahari mitzunehmen, wo ein bedeutendes Kollegium von Hathor-Priesterinnen seinen Sitz hatte.

Nofret kannte die oberste Priesterin, eine sehr schöne Frau, deren Aufgabe darin bestand, die wichtigsten Zeremonien zu leiten. Die Priesterin mochte Nofret seit ihrer Kindheit. Sie hatte sie die Kunst gelehrt, das Sistrum zu spielen, jenes merkwürdige Musikinstrument, das einen metallischen Klang hervorruft, der Dämonen und schlechte Einflüsse abzuwehren vermag.

Dem Tempel vorgelagert war ein weitläufiger Garten, dessen Prunkstück eine Reihe von Weihrauchbäumen war. In ihrem Schatten wandelten Priester. An diesem Ort wurde die Seele der großen Königin Hatschepsut verehrt. Das Heiligtum war Amun-Re geweiht, dem König der Götter, Anubis, dem Schakal, dessen Aufgabe es ist, die Gerechten auf die Wege zum Jenseits zu führen, und der Göttin Hathor, die in Form einer Kuh dargestellt war, die die Königin säugt.

Kamose war hingerissen. Er hätte gerne über die Macht verfügt, die Zeit anzuhalten und hier in diesem von den Weisen geschaffenen Paradies zu bleiben, in Begleitung der Frau, die er heiraten wollte.

Nofret und Kamose gingen langsam und genossen jeden Augenblick ihres unerbittlich fliehenden Glücks.

Am unteren Ende der Rampe, die zu dem in den Berg gegrabenen Heiligtum hinaufführte, wurden die beiden jungen Leute von einem Aufseherpriester angehalten.

»Ich bin Hathor-Priesterin«, erklärte Nofret.

»Wenn du die Wahrheit sagst, so kennst du die Losung.«

»Der Mann ersteht in Osiris wieder auf, die Frau in Hathor.«

Der Wächter ließ die junge Frau vorbei, hielt Kamose aber zurück.

»Warte auf mich und werde nicht ungeduldig«, riet sie ihm.

Die oberste Priesterin arbeitete in Begleitung von etwa zehn jungen Priesterinnen vor den Flachreliefs, die den Gott Anubis mit Menschenkörper und Schakalkopf zeigten.

»Er entledigt die Natur der Kadaver«, erklärte sie ihnen. »Aber er begnügt sich nicht mit dieser Aufgabe. Er kennt die Geheimnisse der Mumifizierung. Wenn der Mensch vom Gericht des Jenseits als gerecht anerkannt wird, vertraut es Anubis seinen Lichtkörper an. Der Gott lehrt ihn die Zaubersprüche, die es ihm erlauben, friedlich auf den schönen Wegen des Jenseits zu wandeln.«

Die Priesterin verstummte, als sie Nofret kommen sah. Sie schickte ihre Schülerinnen weg.

Nofret näherte sich ihr und verneigte sich.

»Wie glücklich ich bin, Euch zu sehen…«

»Ich auch«, antwortete die Priesterin. »Aber es gehört nicht zu deinen Gewohnheiten, den Unterricht zu stören. Du hast hierin häufig deine Unnachsichtigkeit gezeigt, Nofret. Um unsere Ordnung derart zu verletzen und mich zu zwingen, dich unerwartet zu empfangen, musst du wirklich einen sehr guten Grund haben.«

Nofret betrachtete ein Kapitell, das das Gesicht der Göttin Hathor darstellte. Sie hatte ein bezauberndes Lächeln, das vollendete, heitere Gelassenheit ausstrahlte. Die junge Frau flehte die Herrscherin der Sterne an, ihr den Mut zu verleihen, den sie brauchen würde.

»Hathor hat mir die Liebe enthüllt«, sagte Nofret. »Sie hat mein Herz geöffnet und es mit dem größten Glück gefüllt.«

Die Priesterin nahm Nofret in die Arme.

»Ich bin glücklich für dich, mein Kind. Du wirst zur Frau und Eingeweihten. Du wirst die Fülle des Lebens kennen lernen.«

»Hathor hat mir die Liebe enthüllt«, wiederholte Nofret mit erstickter Stimme. »Aber das Glück, das sie mir darbietet, ist unmöglich.«

18

Die oberste Priesterin spürte die Verzweiflung der jungen Priesterin, die sie unter allen anderen ganz besonders liebte.

»Komm, Nofret. Gehen wir auf die höchste Terrasse des Tempels hinauf. Lass uns dort unter dem wohlwollenden Auge des Sonnengottes Re sprechen.«

Das Heiligtum der Göttin war in den Felsen geschlagen worden. Die Rückseite des Allerheiligsten war der Felsen selbst.

Von der höchsten Stelle des Gebäudes mit übereinander liegenden Säulenreihen ging der Blick über sonnenbeschienenes Land, Dinkel- und Bohnenfelder und den Nil mit seinem strahlenden Blau, der das Leben durch den Körper des Landes fließen ließ.

»Du liebst jemanden, der nicht der Kaste der Adligen angehört, Nofret. Ist das der Grund für dein Unglück?«

»So ist es tatsächlich.«

»Er ist jung, hat einen unbeugsamen, ungestümen Charakter, lehnt alle Kompromisse ab und würde gern Gerechtigkeit in der Welt herrschen sehen.«

»Woher wisst Ihr das?«

»Du kannst nur einen solchen Mann lieben. Die jungen Adligen von Theben sind viel zu schwächlich und zu beschränkt, um dir gefallen zu können. Aber der, den du heiraten möchtest, ist nicht adlig. Es wird nicht leicht sein, gegen deinen Vater zu kämpfen.«

»Das ist nicht die einzige Schwierigkeit«, gestand Nofret. »Die Eltern desjenigen, den ich liebe, müssen eine Ungerechtigkeit erdulden.«

»Dank der Stellung deines Vaters dürfte es nicht schwer sein, diese Ungerechtigkeit zu beseitigen«, bemerkte die Priesterin.

»Mein Vater kann nichts für uns tun. Es geht um einen Veteranen, der als Held gilt. Der Pharao hat die Soldaten belohnt, die ihm gedient haben. Das ist völlig normal. Bei dieser Gelegenheit hat es einen Fehler gegeben. Es ist Aufgabe des Pharao, ihn wiedergutzumachen.«

Die Priesterin sah Nofret aufmerksam an.

»Habe ich recht verstanden, du willst wegen einer so kleinen Angelegenheit eine Unterredung beim Pharao erreichen?«

»Das ist keine kleine Angelegenheit«, widersprach Nofret. »Es ist eine Ungerechtigkeit. Sie steht im Widerspruch zum ewigen Gesetz Ägyptens. Der Pharao steht für das Glück seines Volkes ein. Er ist dafür verantwortlich und darf sich seinen Pflichten nicht entziehen.«

»All das ist richtig«, räumte die Priesterin ein. »Aber verfügst du über Beweise für das, was du vorbringst?«

Nofret zögerte. Lügen war ihr zutiefst zuwider.

»Ich bin überzeugt von dem, was ich vorbringe.«

»Der Junge, den du liebst, hat großes Glück«, sagte die Priesterin. »Du bist wirklich sehr verliebt in ihn.«

»Als oberste der Priesterinnen seht Ihr den Pharao bisweilen«, begann Nofret und bat: »Könntet Ihr Euch zu unseren Gunsten einsetzen und ihn anflehen, uns eine Unterredung zu gewähren?«

»Das überschreitet bei weitem meine Vorrechte, Nofret. Wer ist dein Gefährte?«

»Ein junger Bauer, der in die Schreiberschule von Karnak eingetreten ist. Dort hat er erfolgreich seine erste Prüfung abgelegt.«

»Auch der König unterliegt den Regeln. Er wird ihn an die Gerichtsbarkeit der Schreiber verweisen.«

»Er beklagt sich über nichts. Er kämpft für das Glück seiner Eltern, denen man ihr Land gestohlen hat.«

»In diesem Fall wird das Kataster darüber urteilen.«

Nofret war verzweifelt. Es gab keinen Ausweg. Kamose war viel zu rechtschaffen, um seine Eltern dem eigenen Glück zu opfern. Und was Richter Rensi betraf, so hatte dieser sich seine Meinung gebildet und seine Entscheidung zu ihren Ungunsten gefällt.

So schien sich also auch das Schicksal entschieden zu haben. Aber Nofret würde es nicht hinnehmen. Sie war nicht willens, sich zu beugen, bevor sie nicht bis ans Ende ihrer Kräfte gekämpft hatte.

»Wenn Ihr mir keine Hilfe gewähren könnt, kann ich nur noch nach Hause zurückkehren und mich auf meinen nächsten Aufenthalt im Tempel vorbereiten.«

»Das wäre in der Tat weise.«

»Lasst Ihr mich zur Prozession anlässlich des schönen Talfests zu?«

»Das hängt von dir ab. Den Ritus der Braut des Nil hast du fehlerfrei vollzogen. Wärst du bei diesem Fest gerne Lichtträgerin?«

»Es wäre mein höchster Wunsch«, antwortete Nofret demütig.

»Wenn die Priesterinnen des geschlossenen Tempels damit einverstanden sind, so habe ich nichts dagegen.«

Ehrerbietig küsste Nofret die Hände der Priesterin und verließ die Terrasse des Tempels, um wieder in die Gärten hinunterzugehen.

Was verbarg sich hinter diesem plötzlichen Wandel? Aus der jungen leidenschaftlichen, verliebten Frau war von einem auf den anderen Moment eine ruhige, selbstbeherrschte Priesterin geworden. Man hätte schwören können, Nofret hätte plötzlich die Liebe vergessen, um sich nur noch ihren religiösen Aufgaben zu widmen.

Die Priesterin dachte über die letzten Fragen Nofrets nach. Sie wollte Lichtträgerin bei dem schönen Talfest werden, bei dem die Seelen der Toten auf dem westlichen Ufer mit denen der Lebenden in Kontakt traten.

Ein Fest, bei dem der Pharao seinen Palast in Theben verließ und sich an genau dieses Ufer begab.