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»Ist der Pharao dann auch anwesend? Schickt er nicht einen Vertreter?«

»Er misst der Zeremonie große Bedeutung bei. Er wird von den höchsten Würdenträgern des Königreiches begleitet, darunter mein Vater.«

»Glaubst du wirklich, dass wir es schaffen?«

»Hathor schützt mich. Ich bin ihre Priesterin. Sie hat uns schon erlaubt, uns zu begegnen. Warum sollte sie uns ihre Magie verweigern?«

»Meiner Mutter geht es nicht gut«, berichtete Kamose. »Aber der Alte hat mir versichert, man würde sie behandeln. Ich habe daher eingewilligt, im Tempel zu bleiben. Ich will versuchen, eine weitere Prüfung abzulegen.«

Nofret sah Kamose gerade in die Augen.

»Wenn du eingewilligt hast, so hart zu arbeiten, dann liegt das daran, dass es dich danach drängt. Du willst Schreiber werden, nicht wahr?«

Kamose widersprach nicht. Nofret las besser in seiner Seele als er selbst.

»Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll… Ich habe den Eindruck, dass der Alte mich auf den rechten Weg führt und diese besessene Arbeit uns helfen könnte.«

»Das fühle ich auch«, bestätigte Nofret. »Lass in deinem Eifer nicht nach, mein Geliebter.«

»Der Alte hat mir nicht verhehlt, dass diese Herausforderung meine Fähigkeiten wahrscheinlich übersteigen wird. Die anderen Lehrer haben die Ausbildung ihrer besten Schüler ebenfalls intensiviert. Ich bin nur ein Bauernsohn, Nofret.«

»Und ich nur eine Richtertochter…«

Die beiden jungen Leute fingen an zu lachen.

Doch die Sonne begann bereits zu sinken.

20

»Ein Wunder folgt dem anderen«, bemerkte der Alte griesgrämig. »Du bist pünktlich.«

Auf seinen Stock gestützt, erwartete er Kamose vor der Tür zu seinem Büro. Der junge Mann hatte bis zum letzten Moment gezaudert. Nofret hatte ihn schließlich zwingen müssen, sie zu verlassen. Beinahe hätte er die Fähre verpasst.

»Ich frage dich nicht, woher du kommst.«

»Das ist unnötig, da Ihr alles wisst.«

»Jetzt wirst du auch noch frech… Es wird dir an keinem Laster mangeln, Kamose. Setz dich hin und schweig. Nicht genug, dass ich dich unterrichten muss, ich muss auch noch das Haus verlassen.«

Knurrend entfernte sich der Alte. Kamose aß ein paar Datteln und genoss den Frieden des zu Ende gehenden Tages. Im geschlossenen Tempel vollzog der Pharao oder der ihn vertretende Priester den letzten Ritus des Tages. Er schloss die Türen des Allerheiligsten wieder, das die Statue des Gottes barg.

Aber das Tempelleben ging weiter.

Die Handwerker, die den göttlichen Stoff, das Gold, bearbeiteten, gingen in ihre Werkstätten. Die Zauberpriester bereiteten bei Fackelschein Heilmittel zu.

Kamose ließ sich von der Ruhe und dem Frieden durchdringen, die den heiligen Ort erfüllten. Seine Qualen ließen nach. Hier standen die Menschen seit Jahrhunderten in Verbindung mit dem Heiligen. Ihre Erfahrung und ihre Weisheit hatten sie in die Mauern eingraviert. Den Blick auf die Hieroglyphen zu richten erweckte diese zum Leben. So setzten sich die göttlichen Worte im Geist des jungen Mannes fest.

Ein Priester mit kahl geschorenem Schädel riss Kamose aus seinen Betrachtungen. Er führte ihn wortlos zum Riesentor des geschlossenen Tempels.

»Aber… da darf ich doch nicht hinein!«, protestierte er.

Der junge Priester achtete nicht auf den Einwand und schlug mehrfach gegen die Tür.

Einer der Zedernholzflügel öffnete sich einen Spalt. Wächter und Priester wechselten ein paar Worte.

Der Priester griff Kamose am Unterarm und führte den Schreiberlehrling in den geschlossenen Tempel.

Kamose glaubte, sein Herz würde zu schlagen aufhören. Er hatte den Augenblick, in dem er Zugang zum geheimen Teil des Heiligtums erhalten würde und von dem er weder Tag noch Stunde kannte, so sehr erwartet, dass er nicht mehr wusste, wie er sich verhalten sollte. Ein schwaches Licht erhellte die hohen Säulen, die höchsten, die er je gesehen hatte. Sie waren über und über mit Hieroglyphentexten und rituellen Szenen bedeckt, die den Pharao dabei zeigten, wie er den Gottheiten Opfer darbrachte.

»Dir offenbart sich hier eines der größten Geheimnisse unserer Zivilisation«, erklärte die ernste Stimme des Alten. »Alles, was lebt, ist Opfer, Kamose. Die Opfergabe ist das Feuer der Liebe. Sie nährt den Geist. Derjenige, der nimmt und stiehlt und dabei vergisst zu opfern, verurteilt sich zur Zerstörung seiner Seele. Wenn der Mann, den du beschuldigst, deine Eltern beraubt zu haben, ein habgieriger Mensch mit verschlossenem Herzen ist, so werden die Götter ihn züchtigen. Das ist das Gesetz des Himmels. Kein Mensch wird es je verletzen können.«

Kamose war über seine eigene Reaktion überrascht. Das himmlische Gesetz reichte ihm nicht aus. Er wünschte sich, es würde in der Welt der Menschen angewandt. Im geschlossenen Tempel herrschte jedoch eine solche Gelassenheit, dass das in seinem Herzen lodernde Feuer nachließ und nur noch als Glut sanfte Wärme verbreitete.

Der Stock des Alten war auf den Stufen einer Treppe zu hören. Kamose folgte dem alten Schreiber, der ihn auf das Dach des Tempels hinaufführte.

Dort arbeiteten die in Astronomie kundigen Priester, die bei Einbruch der Nacht mit ihren Himmelsbeobachtungen begannen. Schweigend verrichteten sie ihre Arbeit und notierten ihre Beobachtungen auf Papyri und Lederrollen.

Der Alte führte Kamose in eine Ecke und redete leise mit ihm: »Du wirst die Nacht hier mit einem in der Astronomie erfahrenen Priester verbringen«, erklärte er, »und dabei die Planeten und ihre Bewegungen kennen lernen.«

»Wozu dient das?«, fragte Kamose.

»Das soll dir dazu dienen, die unwandelbaren Gesetze des Kosmos zu entdecken – und dich selbst. Du bist ein Sohn der Erde, Kamose, aber du bist auch ein Sohn des Himmels. Die eine wie der andere sind in dir.«

»Bin ich denn in meinen Gedanken und Gefühlen nicht frei?«, fragte Kamose besorgt.

»Wie jedes Lebewesen bist auch du vom Himmel bestimmt«, antwortete der Alte. »Er bietet dir das Material, dich selbst zu erschaffen. Aber du bleibst der Architekt.«

»Von welchem Planeten wird mein Leben beeinflusst?«

»Bei deiner Geburt haben sich die sieben Planeten über dich gebeugt. Man nennt sie die sieben Hathor, und sie tanzen im Himmel um den herum, der geboren wird. Du bist von Mars, dem roten Horus, geprägt und von Jupiter, dem beeindruckendsten aller Planeten. Sie geben dir Kraft, die Fähigkeit zu denken und zu handeln. Aber das sind nur Möglichkeiten, Kamose. Es ist deine Aufgabe, sie zum Wirken zu bringen.«

»Steht auch mein Schicksal in den Sternen geschrieben?«

Der Alte antwortete ausweichend.

»Befrage sie. Sie werden dir antworten. Ich lasse dich nun zurück. In meinem Alter ist es nicht gut, die Nacht im Freien zu verbringen.«

Der junge Priester mit dem kahl geschorenen Schädel ließ den Schüler des Alten niederknien.

In den Steinen des Tempeldachs zeigte er ihm Zeilen, denen er mit dem Finger folgte. Sie stellten die im Laufe der Zeitalter ermittelten Sternbilder dar. Er lehrte ihn ihre Namen sowie die der Planeten und der Dekaden. Dann erklärte er ihm, wie man die periodische Wiederkehr der Planeten berechnet und ihren Einfluss auf die Kreisläufe der Natur deutet.

Gierig speicherte Kamoses Geist dieses ihm gänzlich neue Wissen. Er stellte tausend Fragen, bat um weitere Ausführungen zu den Themen, die er unverständlich fand, und zwang seinen Lehrer, das vorgesehene Programm weit zu überschreiten.

Die Nacht verging viel zu schnell.

Als der Horizont sich rot färbte, fühlte sich Kamose erfüllt und zugleich herrlich leicht.