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»Ich glaube, ich bin durchgefallen«, sagte er schließlich.

»Dann wirst du von neuem beginnen«, erwiderte der Alte. »Willst du dich an die Themen erinnern, oder schläfst du lieber ein paar Stunden?«

»Ich würde ebenso gern gleich Bilanz ziehen. Eure Meinung wird meine Illusionen zerstören.«

Kamose nutzte sein außergewöhnliches Gedächtnis und durchlebte die Prüfung noch einmal in Begleitung seines Lehrers. Er nannte ihm die Antworten, die er gegeben hatte.

»Das ist nicht gerade gut«, urteilte der Alte. »Zu viele dumme Fehler und zu viele Lücken. Wenn du nicht vor der Jury brilliert hast, fürchte ich, dass es schlecht ausgeht.«

Kamose blickte wie ein geprügelter Hund.

»Ich fürchte, das Mündliche war noch weniger gut als das Schriftliche.«

»In diesem Fall wirst du dich ohne Verzug an die Arbeit machen. Ich gewähre dir ein paar Tage Ruhe für das schöne Talfest. Dann werde ich darüber wachen, dass du deine Kenntnisse verbesserst. Ich war nicht streng genug mit dir.«

Über eine Woche würde die Bevölkerung nun feiern. Jeder freute sich über die lange erwartete freie Zeit, denn das schöne Talfest gehörte zu den beliebtesten Festlichkeiten.

Das Fest begann mit dem Heraustragen der heiligen Barke des Gottes Amun aus seinem Heiligtum in Karnak. Ramses der Große leitete das Ritual. Wie gebannt schaute ihm die Menge zu.

In heiterer Atmosphäre erfolgte die Nilüberquerung. Dann wandte sich der königliche Zug in Richtung des Tempels von Deir el-Bahari, in dem der Pharao sich für die Dauer des Festes aufhalten würde. Nach dem öffentlichen und fröhlichen Teil des schönen Talfests folgte nun der Teil des Rituals, der von den Priester und Priesterinnen hinter den Tempelmauern vollzogen wurde, verborgen vor den Augen der Menschenmassen. Die Dienerinnen der Göttin Hathor waren besonders glücklich, Ramses dem Großen Gastfreundschaft gewähren zu dürfen.

Am letzten Tag des Festes legte der Pharao einen weiß-goldenen Schurz an. Er schmückte sich mit einer prachtvollen Krone, die die Hörner der Kuh, das Symbol der Göttin Hathor, aufgerichtete Kobras, die ihn vor seinen Feinden schützen sollten, und die aufgehende Sonne, die den Sieg des Lichts über die Dunkelheit bezeugte, vereinte.

Der Pharao wurde von zwei Dienern begleitet, die einen Fächer und einen Sonnenschirm trugen. Im Zentrum des Zuges, der hinter ihm schritt, erinnerte eine auf einer Sänfte getragene Statue an die Vorfahren, die der Pharao nun ehren würde.

Ramses der Große besuchte alle Tempel der Millionen Jahre des Westufers. Er verweilte an dem Ort, an dem sich den Annalen nach der Urhügel befand, der im Augenblick der Erschaffung der Welt aus den Wassern aufgetaucht war.

Als die Nacht hereingebrochen war, fand die Prozession der Hathor-Priesterinnen statt. Hinter der obersten Priesterin lief Nofret, die die heilige Flamme trug, an der die Teilnehmer des nächtlichen Festes ihre Fackeln entzünden würden.

Die Prozession begab sich in das Gebiet der Gräber, dorthin, wo Könige und Königinnen, Adlige und auch einfache Leute für alle Ewigkeit ruhten. Die Schönheit der sternenklaren Nacht konnte Nofrets Angst nicht vertreiben. Ihr Vater hatte sie mehrfach nach ihren neuen Vorsätzen gefragt. Nofret hatte ihr demütiges Verhalten beibehalten und nur von ihren religiösen Bestrebungen gesprochen.

Der Versuch, den sie und Kamose wagen wollten, war riskant. Begingen sie nicht eine Majestätsbeleidigung, wenn es ihnen nicht gelänge, den Pharao von der Richtigkeit ihrer Sache zu überzeugen? Nofret hatte Angst, schaffte es aber, die Selbstbeherrschung zu bewahren. Alle bewunderten ihr gewandtes Auftreten und ihre Haltung.

Am Eingang zu dem wüstenartigen Tal, in dem die Adligen ruhten, warteten die Angehörigen ihrer Familien mit Lampen in der Hand auf das Vorbeiziehen der Prozession. Unter dem aufmerksamen Blick des Pharao entzündete Nofret die Lampen, die ins Innere der Gräber gestellt wurden. Das Festmahl mit den Seelen der Verstorbenen konnte nun beginnen.

Einen solchen Halt machte die Prozession vor jedem der wichtigsten Viertel der riesigen Totenstadt. Dann begab sich der Pharao, nur noch begleitet von der Lichtträgerin, zum Tal der Könige, wo die Leichname seiner ruhmreichen Vorgänger residierten. Nachdem sie den Aufseher passiert hatten, der den Zugang zu dem heiligen Ort überwachte, der ganz der Stille und Einsamkeit vorbehalten war, erreichten Ramses der Große und Nofret das Grab des Vaters des Königs, des erlauchten Sethi I. das größte des ganzen Tals.

Der Pharao ergriff eine Lampe, die an der obersten Stufe des steil hinabführenden Gangs niedergelegt worden war. Er entzündete sie an dem Docht, den Nofret ihm hinhielt, und verharrte in Andacht. Ramses empfand grenzenlose Bewunderung für seinen Vater, der ihn sehr jung an der Herrschaft hatte teilhaben lassen und ihm alles über die Kunst des Regierens beigebracht hatte.

»Eure Majestät… Ich würde gerne mit Euch sprechen.«

Irritiert wandte sich Ramses um.

Es war tatsächlich die Lichtträgerin, die zu ihm sprach, und nicht die Göttin des Westens.

»Mir scheint, dass diese Einmischung nicht zum Ritual gehört.«

Die Priesterin kniete nieder.

»Ich bin Nofret, die Tochter von Richter Rensi. Ich brauche Eure Hilfe in einer ernsten Angelegenheit.«

»Jetzt ist weder der Tag noch die Stunde dafür«, urteilte der König. »Diese Angelegenheit muss wirklich ernst sein, wenn sie die Zuständigkeit deines Vaters überschreitet.«

»Ich flehe Euch an, mich anzuhören, Majestät.«

Der große Ramses betrachtete die junge Frau.

»Du bist sehr schön, Nofret, und du verstehst es, mich anzurühren. Betreten wir das Grab. Wenn wir zu lange an der Schwelle stehen bleiben, werden die Wachen glauben, es geschehe etwas Ungewöhnliches.«

Nofret war geblendet von der Herrlichkeit der Malereien, die die Wände des Grabes von Sethi I. verzierten. Der Vater von Ramses kam in den Genuss von Überlebensritualen, die es ermöglichten, im Jenseits Mund und Augen zu öffnen. Außerdem wurden die Stationen der Wiederauferstehung der Sonne beschrieben, die mit der königlichen Seele gleich war. Eine herrliche Decke über dem Sarkophag zeigte das Bild der Himmelsgöttin, die in ihrem Körper die Unermesslichkeit der Sterne und Planeten trug.

»Diese Ruhestätte der Ewigkeit ist die schönste von ganz Ägypten«, sagte Ramses. »Sie ist das Meisterwerk genialer Handwerker, deren Schaffen ganz der Größe meines Vaters ebenbürtig ist. Diese Nacht gebe ich ihm das Licht zurück, das er mir geschenkt hat, Nofret. Hier sind wir im Jenseits, weit entfernt von den menschlichen Angelegenheiten. Wenn du mir die Sache, die dir so am Herzen liegt, darlegen willst, so begib dich übermorgen in den Palast. Dort versammle ich meinen Rat. Du wirst nach dem königlichen Protokollschreiber fragen und ihm diesen Skarabäus überreichen.«

Nofret empfing den kostbaren Passierschein.

»Verlass jetzt das Grab«, befahl der König. »Ich muss mit den Göttern allein sein.«

Kamose erwartete Nofret in der Umgebung des Gartens von Deir el-Bahari. In allen Gräbern des Westufers traten die Lebenden jetzt unter dem Schutz der lächelnden Göttin des Jenseits in Kontakt mit den Toten. Die Festmahle dauerten die ganze Nacht und wurden von Gesängen und Tänzen begleitet. Jeder wusste, dass die Grenze zwischen irdischem Leben und der Ewigkeit sehr schmal war. In dieser Zeit des Feierns musste man die Augenblicke des Glücks auskosten, die die Götter großzügig gewährten.

Nofret hatte die kostbare Flamme der Priesterin zurückgegeben, die sie wieder in das Heiligtum der Göttin Hathor gestellt hatte. Danach war Nofret die zentrale Rampe zum Garten hinuntergegangen.

»Nofret!«, rief Kamose. »Hast du ihn sprechen können?«

»Ja, aber…«

»Er hat dich nicht angehört.«

»Doch. Der Pharao hat eingewilligt, uns eine Audienz zu gewähren.«