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Eine sehr junge, vielleicht sechzehnjährige Frau mit kurzem, schwarzem und mit seltenen Essenzen parfümiertem Haar, die ein langes, durchscheinendes Faltenkleid trug, trat aus dem Kreis der Priesterinnen, beugte in einer anmutigen Geste ein Knie zu Boden und hob die Garbe auf.

Ihr Kleid wurde in der Taille durch einen schmalen Gürtel zusammengehalten, der ihre schlanke Gestalt betonte. Den Hals schmückte ein fünfreihiges Perlenhalsband. An ihren Handgelenken trug sie zwei goldene Armbänder, im Haar ein Diadem aus Türkisen.

Kamose war von der strahlenden Schönheit der jungen Frau fasziniert. Zum ersten Mal, seitdem er das Dorf verlassen hatte, dachte er nicht mehr an das Unglück seiner Eltern.

Er hielt den Blick starr auf das Gesicht der Priesterin gerichtet. Er musterte ihre vollkommene Stirn, die lapislazuli-blauen Augen, die leicht gebogene Nase, die schmalen, rot bemalten Lippen.

Noch nie zuvor hatte Kamose eine solche Schönheit erblickt. Die Göttin Hathor konnte keine herrlichere Getreue haben. Diese junge Frau war die Liebe. Sie war die göttliche Vollkommenheit.

Die Priesterin trug die Garbe auf Brusthöhe vor sich und schritt bis ans äußerste Ende eines Steilhangs, der den Fluss überragte. Sie blieb stehen.

Die alte Priesterin sprach einige Verse einer Zauberformel, die den Nil anwies, sich dem Volke Ägyptens großzügig zu zeigen, die Erde fruchtbar zu machen und alle Formen des Lebens zum Wachsen zu bringen.

»Möge der Flussgott eine Gabe seiner Reichtümer empfangen!«

Die junge Priesterin hob die Braut des Nil über den Kopf und warf sie in den Strom.

Freudige Ausrufe begrüßten ihre Geste. Nur Kamose schwieg, er war unfähig, den Blick von der jungen Priesterin abzuwenden. Wirkte hier etwa schon der Zauber der Braut des Nil? Ihm offenbarte sich die Allmacht eines Gefühls, das sein ganzes Wesen erfüllte, die Liebe.

Eine wahnsinnige Liebe, eine Liebe, die machtvoll zu strömen begann wie der junge Nil, der zur Zeit des Hochwassers über die Ufer tritt.

7

Bereits seit über einer Stunde waren alle Handwerker des Tempels von Karnak an der Arbeit. Sie hatten den Auftrag für eine bedeutende Grabeinrichtung erhalten, für zahlreiche Statuen und etwa zehn Stelen. Ramses der Große, einer der größten Erbauer der ägyptischen Geschichte, ließ die Tempel vom Norden bis zum Süden des Landes verschönern. Er hatte sogar zwei Heiligtümer auf der nubischen Stätte Abu Simbel errichten lassen, eines für ihn selbst, das andere für die große königliche Gattin Nefertari.

Erregt stürzte der Aufseher in das Büro des Geometermeisters.

»So etwas habe ich noch nicht erlebt!«, rief er heiser. »Seit einer Stunde laufe ich durch alle Werkstätten… Ich habe sogar ein zweites Mal gesucht… er ist unauffindbar!«

»Von wem sprecht Ihr?«, fragte der Meister.

»Von Eurem Lieblingsschüler Kamose natürlich!«

»Ich habe keinen Lieblingsschüler«, berichtigte der Geometer. »Kamose ist einfach der begabteste von allen. Wenn er nicht bei der Arbeit ist, dann ist er krank.«

»Er ist nicht in seinem Zimmer. Das habe ich überprüft.«

»Hat Euch keiner seiner Kameraden Auskunft geben können?«

»Ihr wisst genau, dass Kamose ein scheuer, einzelgängerischer Junge ist. Er hat sich niemandem anvertraut. Aber das ist mir egal. Ich verlange, dass die Vorschriften durchgesetzt werden. Jeder, der zu spät kommt, muss bestraft werden, wenn er keinen triftigen Grund hat, wer immer es auch ist. Der einzige triftige Grund ist Krankheit. Das ist nicht der Fall.«

»Ihr habt Recht«, räumte der Geometer ein. »Bringt ihn zu mir, sobald er in die Werkstatt kommt.«

Kamose konnte nicht mehr schlafen und nicht mehr essen. Er hatte nur noch einen Gedanken im Kopf: die junge Priesterin wiederzusehen, die die Braut des Nil in den Fluss geworfen hatte. Die Liebe, die er für sie empfand, wuchs mit jeder Sekunde und wurde immer mächtiger, umfassender.

Während der drei Festtage hatte Kamose versucht, sie wiederzusehen.

Vergeblich.

Die Hathor-Priesterinnen hatten sich in den Tempel von Deir el-Bahari begeben, der von der berühmten Pharaonin Hatschepsut zu Ehren Hathors errichtet worden war. Zu Recht hatte der Tempel seinen Namen erhalten: Erhabener der Erhabenen. Eine große, breite Rampe stieg hoch zum Felsen auf, kunstvoll ausgearbeitete Reliefs schmückten ihn und riefen die Bewunderung ihrer Betrachter hervor. Ein tiefes Gefühl der Erhebung erfasste jeden, der den Tempel besuchte.

Aber Kamose konnte nicht in die blühenden, mit Weihrauchbäumen bepflanzten Gärten gelangen.

Auch zu diesem Tempel war Laien der Zugang verboten. So war Kamose trotz der brennenden Sonne die Felsen bis zu einem hohen Sporn emporgestiegen, von dem aus er auf den Tempel hinuntersehen konnte. Er hatte gehofft, die Priesterinnen von hier oben entdecken zu können. Aber Säulen und Vorhallen schützten sie vor jedem Blick von außen.

Schließlich zeigten sie sich ihm doch, als die Priesterinnen den Tempel von Deir el-Bahari verließen, um den Fluss zu überqueren und sich wieder nach Karnak zu begeben. Kamose folgte ihnen.

Er konnte sich ihnen aber nicht nähern. Die oberste Priesterin war ganz besonders streng, was den Umgang der jungen Priesterinnen betraf.

Allerdings gelang es Kamose, mit dem Führer der Aufseher zu sprechen, die über ihre Sicherheit wachten. So erfuhr er, dass die, in die er sich unsterblich verliebt hatte, auf den Namen Nofret hörte, »die Schöne«.

Obwohl das Fest beendet war, irrte Kamose die ganze Nacht durch die Straßen Thebens. Seine Schritte führten ihn immer wieder zum Tempel, zu den gewaltigen Bauwerken, deren Größe den Göttern entsprach, und zu jener Umfassungsmauer, die die Geheimnisse vor den Laien verbarg.

Jene Umfassungsmauer, innerhalb derer die Frau lebte, die er liebte.

»Da bist du ja endlich, Kamose. Aber in was für einem Zustand…«

Als Kamose nach wenigen Stunden schweren Schlafs aufgewacht war, stand die Sonne bereits hoch am Himmel. Er hatte den Schutz der Palme verlassen, unter der er trunken vor Müdigkeit niedergesunken war, und sich rasch zu seiner Werkstatt begeben, wo der Aufseher ihn zornig erwartete.

Er drohte dem jungen Mann mit seinem Stock und führte ihn sofort ins Büro des Geometers.

Mit seinen verquollenen Augen und verknittertem weißen Gewand machte Kamose einen kläglichen Eindruck.

»Äußere dich«, forderte der Geometermeister.

»Ich habe verschlafen… Das ist doch nicht so schlimm. Andere haben diesen Fehler auch schon begangen. Ich werde mit zwei oder drei Tagen Frondienst bestraft und muss die Werkzeuge meiner Kameraden säubern. Das schreckt mich nicht.«

»Du kennst dich in den Vorschriften gut aus«, räumte der Geometer ein. »Sie werden in aller Strenge angewandt.«

»Warum sollte es anders sein? Ich gehe wieder an meine Arbeit. Ich muss mit dem Behauen einer Statue anfangen.«

»Warte einen Augenblick… Hast du mir nichts weiter zu sagen?«

Der junge Mann zog sich in sich zurück.

»Nein, nichts weiter.«

»Du lügst immer noch genauso schlecht, mein Junge. Ich kenne deine fixe Idee: Du willst in den geschlossenen Tempel eindringen. Während der drei Festtage hattest du natürlich Kontakt zu Menschen, die dort leben. Ich vermute, du hast dir schon zu helfen gewusst, um Informationen zu bekommen.«

»Ja und nein… nichts wirklich Interessantes.«

»Nichts… und niemand?«

Kamose zögerte. Fast wollte er sich anvertrauen, zog es aber vor, zu schweigen. In seinem Kopf und seinem Herzen herrschte ein solcher Sturm, dass er sich nicht in der Lage fühlte, seine Gedanken klar auszudrücken.

»Nichts und niemand.«

Der Geometer schwieg eine Weile. Auch er schien zu zögern.