Daß ferner Edmund dem Bassanio gleich der Anweisung der letzten Worte folgte und die in glühendem Purpur errötende Geliebte an sein Herz drückte – küßte, und daß der Kommissionsrat ganz vergnügt war und glücklich über den fröhlichen Ausgang der verwickeltsten aller Heiratsangelegenheiten.
Der Baron Bensch hatte ebenso emsig fortgefeilt als der Geheime Kanzleisekretär fortgelesen. Beide nahmen von dem, was sich eben begeben, nicht eher Notiz, als bis der Kommissionsrat laut verkündete, daß Edmund Lehsen das Kästchen, worin Albertinens Porträt befindlich, gewählt, folglich ihre Hand erhalte. Der Geheime Kanzleisekretär schien darüber außer sich vor Freuden, indem er nach der Art, wie er sein Vergnügen zu äußern pflegte, sich die Hände rieb, zwei-, dreimal etwas weniges in die Höhe sprang und eine feine Lache aufschlug. Den Baron Bensch schien die Heirat gar nicht weiter zu interessieren; dafür umarmte er aber den Kommissionsrat, nannte ihn einen vortrefflichen Gentleman, der ihn durch das solide Geschenk der Feile ganz und gar glücklich gemacht habe, und versicherte, daß er in jedem Geschäft auf ihn rechnen könne. Dann entfernte er sich schnell.
Ebenso dankte der Geheime Kanzleisekretär dem Kommissionsrat unter vielen Tränen der innigsten Rührung, daß er ihn durch das seltenste aller Bücher, welches er ihm aus seiner Bibliothek verehrt habe, zum glücklichsten aller Menschen gemacht, und folgte, nachdem er sich noch in galanter Höflichkeit gegen Albertine, Edmund und den alten Goldschmied erschöpft, dem Baron eiligst nach.
Bensch quälte von nun an nicht mehr die literarische Welt mit ästhetischen Mißgeburten, wie er sonst getan, sondern verwandte lieber die Zeit, Dukaten abzufeilen. Tusmann fiel dagegen nicht mehr den Bibliothekaren zur Last, die ihm sonst tagelang alte, längst vergessene Bücher herbeischaffen mußten.
Nach einigen Wochen des Entzückens und der Freude ging in des Kommissionsrats Hause aber schreckliches Herzeleid los. Der Goldschmied hatte nämlich den jungen Edmund dringend ermahnt, seiner Kunst, sich selbst zur Ehre, sein gegebenes Wort zu halten und nach Italien zu gehen.
Edmund, so schmerzlich ihm die Trennung von der Geliebten werden mußte, fühlte doch den dringenden Trieb, zu wallfahrten nach dem Lande der Kunst, und auch Albertine dachte, während sie die bittersten Tränen vergaß, daran, wie interessant es sein würde, in diesem, jenem Tee Briefe, die sie aus Rom erhalten, aus dem Strickkörbchen hervorzuziehen.
Edmund ist nun schon länger als ein Jahr in Rom, und man will behaupten, daß der Briefwechsel mit Albertinen immer seltener und kälter werde. Wer weiß, ob am Ende einmal gar aus der Heirat der beiden jungen Leute etwas wird. Ledig bleibt Albertine auf keinen Fall, dazu ist sie viel zu hübsch, viel zu reich. Überdies bemerkt man auch, daß der Referendarius Gloxin, ein hübscher junger Mann, mit schmaler, engeingeschnürter Taille, zwei Westen und auf englische Art geknüpftem Halstuch, die Demoiselle Albertine Voßwinkel, mit der er den Winter hindurch auf den Bällen die angenehmsten Françaisen getanzt, häufig nach dem Tiergarten führt, und daß der Kommissionsrat dem Pärchen nachtrippelt mit der Miene des zufriedenen Vaters. Zudem hat der Referendarius Gloxin schon das zweite Examen bei dem Kammergericht gemacht und ist nach Aussage der Examinatoren, die ihn in der frühsten Morgenstunde sattsam gequält oder, wie man zu sagen pflegt, auf den Zahn gefühlt haben, welches weh tut, vorzüglich wenn der Zahn hohl, vortrefflich bestanden. Eben aus diesem Examen soll sich denn auch ergeben haben, daß der Referendarius offenbar Heiratsgedanken im Kopfe hat, da er in der Lehre von gewagten Geschäften ganz vorzüglich bewandert.
Vielleicht heiratet Albertine gar den artigen Referendarius, wenn er einen guten Posten erschwungen. – Nun! man muß abwarten, was geschieht! –
»Das ist,« sprach Ottmar, als Lothar geendet hatte, »das ist ein wunderlich tolles Ding, was du da aufgeschrieben hast. Mir will deine sogenannte Geschichte mit den unwahrscheinlichen Abenteuern vorkommen, wie eine aus allerlei bunten Steinen willkürlich zusammengefügte Mosaik, die das Auge verwirrt, so daß es keine bestimmte Figur zu erfassen vermag.« »Was mich betrifft,« nahm Theodor das Wort, »so leugne ich nicht, daß ich manches in Lothars Erzählung ergötzlich genug finde, und es ist sogar möglich, daß das Ganze hätte ziemlich gut geraten können, wenn Lothar nicht unvorsichtigerweise den Hafftitz las. Die beiden spukhaften Männer aus jener Zeit, der Goldschmied und der Münzjude, mußten nun einmal hinein in die ›Brautwahl‹, es half nichts, und nun erscheinen die beiden unglückseligen Revenants als fremdartige Prinzipe, die mit ihren Zauberkräften nur auf gezwungene Weise einwirken in die Handlung. Es ist gut, daß deine Erzählung nicht gedruckt wird, Lothar, sonst würdest du schlecht wegkommen vor dem strengen Richterstuhl der Kritik.«
»Könnte,« sprach Lothar, nach seiner skurrilen Art lächelnd, »könnte meine angenehme Geschichte von den seltsamen Drangsalen des Geheimen Kanzleisekretärs Tusmann nicht wenigstens einen Berliner Almanach zieren? Ich würde nicht unterlassen, die Lokalität noch lokaler zu machen, einige zelebre Namen hinzuzufügen und mir so den Beifall wenigstens des literarisch-ästhetischen Theaterpublikums erwerben[1]. Doch nun im Ernste gesprochen, Leute! Habt ihr nicht, während ich las, manchmal recht herzlich gelacht, und sollte das nicht die Strenge eurer Kritik beugen? – Vergleichst du, Ottmar, meine Geschichte mit einer bunten, willkürlich zusammengefügten Mosaik, so sei wenigstens nachgiebig genug, dem Dinge, das du wunderlich toll nennst, eine kaleidoskopische Natur einzuräumen, nach welcher die heterogensten Stoffe, willkürlich durcheinander geschüttelt, doch zuletzt artige Figuren bilden. Wenigstens für artig sollt ihr nämlich manche Figur in meiner ›Brautwahl‹ erkennen, und an die Spitze dieser artigen Personen stelle ich den liebenswürdigen Baron Bensch, der durchaus der Familie des Münzjuden Lippold entsprossen sein muß. – Doch schon viel zu viel von meinem Machwerk, das euch nur als ein bizarrer Scherz für den Augenblick aufregen sollte. Übrigens gewahrt ihr, daß ich meinem Hange, das Märchenhafte in die Gegenwart, in das wirkliche Leben zu versetzen, wiederum treulich gefolgt bin.«
»Und diesen Hang«, begann Theodor, »nehme ich gar sehr in Schutz. Sonst war es üblich, ja Regel, alles, was nur Märchen hieß, ins Morgenland zu verlegen und dabei die Märchen der Dscheherezade zum Muster zu nehmen. Die Sitten des Morgenlandes nur eben berührend, schuf man sich eine Welt, die haltlos in den Lüften schwebte und vor unsern Augen verschwamm. Deshalb gerieten aber jene Märchen meistens frostig, gleichgültig und vermochten nicht den innern Geist zu entzünden und die Phantasie aufzuregen. Ich meine, daß die Basis der Himmelsleiter, auf der man hinaufsteigen will in höhere Regionen, befestigt sein müsse im Leben, so daß jeder nachzusteigen vermag. Befindet er sich dann, immer höher und höher hinaufgeklettert, in einem phantastischen Zauberreich, so wird er glauben, dies Reich gehöre auch noch in sein Leben hinein und sei eigentlich der wunderbar herrlichste Teil desselben. Es ist ihm der schöne prächtige Blumengarten vor dem Tore, in dem er zu seinem hohen Ergötzen lustwandeln kann, hat er sich nur entschlossen, die düstern Mauern der Stadt zu verlassen.«
»Vergiß,« sprach Ottmar, »vergiß aber nicht, Freund Theodor, daß mancher gar nicht die Leiter besteigen mag, weil das Klettern einem verständigen gesetzten Manne nicht ziemt, mancher schon auf der dritten Sprosse schwindlicht wird, mancher aber auch wohl die auf der breiten Straße des Lebens befestigte Leiter, bei der er täglich, ja stündlich vorübergeht, gar nicht bemerkt! – Was aber die Märchen der Tausendundeinen Nacht betrifft, so ist es seltsam genug, daß die mehrsten Nachahmer gerade das übersehen, was ihnen Leben und Wahrheit gibt und was eben auf Lothars Prinzip hinausläuft. All die Schuster, Schneider, Lastträger, Derwische, Kaufleute etc., wie sie in jenen Märchen vorkommen, sind Gestalten, wie man sie täglich auf den Straßen sah, und da nun das eigentliche Leben nicht von Zeit und Sitte abhängt, sondern in der tieferen Bedingung ewig dasselbe bleibt und bleiben muß, so kommt es, daß wir glauben, jene Leute, denen sich mitten in der Alltäglichkeit der wunderbarste Zauber erschloß, wandelten noch unter uns. So groß ist die Macht der Darstellung in jenem ewigen Buch.«
1
Diese Äußerung Lothars zeigt, was er schon damals im Sinne trug. Seine Erzählung, ›die Brautwahl‹, erschien nämlich in der Tat abgedruckt in dem ›Berliner Taschenbuch für das Jahr 20‹, und es sind wirklich zelebre Namen aus der Berliner Kunstwelt genannt und manche Lokalitäten hinzugefügt. Wie gerecht aber der Tadel der Freunde, beweiset der Umstand, daß die Redaktion jenes Taschenbuchs den Verfasser dringend hat, sich künftig doch im Gebiet der Möglichkeit zu halten.