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Er sprang aus dem Sattel, riß mit einer wütenden Bewegung den Umhang von den Schultern und stapfte zu den anderen hinüber. Gowenna blickte ihm mit steinernem Gesicht entgegen. Der Widerschein Combats tauchte ihr Haar in Flammen.

»Also«, begann er übergangslos. »Ich denke, es ist an der Zeit, die Karten offen auf den Tisch zu legen. Einer von uns kennt diese Stadt besser, als er bisher zugegeben hat. Und ich will jetzt wissen, was uns erwartet.«

Er beobachtete gespannt die Reaktion auf den Gesichtern der anderen.

Beral sog überrascht die Luft ein und fuhr sichtlich zusammen. In Nols Augen blitzte es bloß spöttisch auf, als hätte er als einziger längst gewußt, wie die Dinge lagen, und amüsiere er sich nun im stillen über Skars Ärger, während Arsan und Gerrion überhaupt keine Reaktion zeigten.

Gowenna lächelte, trat einen Schritt zurück und klatschte in die Hände. »Bravo, Satai. Ein durchaus eindrucksvoller Auftritt. Ich wußte noch gar nicht, daß du einen so ausgeprägten Sinn für das Dramatische hast.« Sie lachte leise und wurde übergangslos ernst, ehe Skar zu einer Erwiderung ansetzen konnte. »Aber du hast recht, Satai. Ich war schon einmal hier, und nicht nur hier, sondern weiter. Ich war in der Stadt.«

»Dann ... ist es möglich'?« keuchte Beral überrascht. »Es gibt einen Weg, Combat zu betreten?«

»Wäre es nicht so, wäre ich jetzt nicht hier, oder?« antwortete Gowenna spöttisch. »Außerdem fällt es dir reichlich spät ein, diese Frage zu stellen, Beral.«

»Komm zur Sache«, knurrte Skar. »Was erwartet uns dort drinnen?«

»Der Tod«, antwortete Gowenna, und die Art, in der sie es sagte, überzeugte Skar davon, daß sie diese beiden Worte genauso meinte, wie sie sie aussprach. »Feuer, Hitze und Tod«, fuhr sie fort. »Wir werden uns jeden Schritt, den wir tun, dreimal überlegen müssen, und auch dann noch kann es der falsche sein. Jeder Fußbreit Boden kann das Verderben in sich bergen. Die Flammen, die ihr seht, sind nicht die einzige Gefahr.«

»Ich möchte keine Rätsel hören«, zischte Skar. »Wenn du dort warst, warum hast du den Stein nicht geholt? Ist er bewacht?« Gowenna schüttelte den Kopf. »Nicht mehr als die ganze Stadt, Skar. Ich habe es versucht, aber es ist mir nicht gelungen. Ich habe ihn nicht gefunden.«

Skar brauchte einige Sekunden, um wirklich zu begreifen, was Gowennas Worte bedeuteten. »Soll das heißen, du ... weißt nicht einmal, wo er ist?« keuchte er.

»Ja«, antwortete Gowenna. »Das soll es heißen, Skar.«

Beral schnappte hörbar nach Luft. »Aber wie ...«, begann er, brach aber sofort wieder ab, als Gowenna eine ungeduldige Handbewegung machte.

»Wir werden ihn finden«, sagte sie überzeugt. »Wenn überhaupt jemand eine Chance hat, ihn zu finden, dann wir. Ich habe es damals nicht geschafft, weil ich Dinge, die ich heute weiß, noch nicht wußte. Ich weiß nicht, wo der Stein exakt ist, aber ich weiß, wie wir ihn finden können.«

»Woher?« fiel ihr Skar ins Won. »Woher weißt du das alles? Woher weißt du, daß es diesen Stein überhaupt gibt, wenn du nicht einmal weißt, wo er zu finden ist?«

»Ich weiß es, und das muß genügen«, antwortete Gowenna scharf.

Skar schüttelte wütend den Kopf. »Das muß es nicht, Gowenna! Du glaubst, daß wir unser Leben aufs Spiel setzen, um -«

»Du wählst schon wieder die falschen Worte, Satai«, sagte Gowenna ruhig. »Ich glaube es nicht. Ich weiß es. Keiner von euch hat eine andere Wahl. Und du scheinst zu vergessen, daß ich euch begleite. Ich habe zwei Jahre gebraucht, um mich von meinem ersten Versuch zu erholen. Ich würde nicht ohne die Überzeugung, den Stein zu finden, noch einmal dort hinübergehen. Wir -«

Irgendwo aus der Dunkelheit hinter ihnen erscholl ein gellender, spitzer Schrei.

Skar fuhr wie von einer Tarantel gestochen herum. Der Schrei wiederholte sich nicht, aber der Laut gellte noch deutlich in seinen Ohren; der Schrei eines Menschen, der Todesängste ausstand. Er riß sein Schwert aus der Scheide, gab den anderen ein Zeichen zurückzubleiben und bewegte sich vorsichtig in die Dunkelheit hinein. Seine Sinne waren zum Zerreißen angespannt. Er spürte eine dumpfe, kribbelnde Erregung, ein Gefühl, das tief in seinem Körper begann und sich wie ein vibrierender Strom bis in seinen rechten Arm fortsetzte. Irgendwo vor ihm waren Geräusche - die wispernden Stimmen des Windes, der sich an Rissen und Vorsprüngen brach, Sand, der über Stein und glasierten Fels rieselte, sich legte und wieder hochgewirbelt wurde, ein polternder Stein, Schritte und ein Rascheln wie von grobem Stoff. Ein Schatten bewegte sich durch die Dunkelheit.

»Hierher!« schrie eine Stimme. »Kommt hierher! Rasch!«

»Tantor!« keuchte Skar. Er rannte los, stolperte über einen Stein, fing sich wieder und lief langsamer weiter.

»Kommt hierher! Schnell!« schrie Tantor. »Schnell!«

Skar rannte, dicht gefolgt von den anderen, weiter in die Dunkelheit hinein. Tantors Geschrei wies ihnen den Weg. Der Zwerg brüllte ununterbrochen, immer wieder die Worte »Hierher!« und »Schnell!«, aber auch abgehackte Silben in einer fremdartig klingenden Sprache. Seine Stimme vibrierte vor Panik.

Skar entdeckte ihn schließlich auf einem mannshohen, zertrümmerten Felsen, der sich nur als schwarzer Schatten gegen den mächtigen Umriß des Gebirges abhob. Er hüpfte unablässig von einem Bein auf das andere und deutete aufgeregt nach Westen.

»Hierher, Satai!« kreischte er, als er Skar erkannte. »Komm hier herauf, schnell!«

Skar rammte sein Schwert in den Gürtel zurück, griff nach oben und zog sich, Tantors hilfreich ausgestreckte Hand ignorierend, auf den Felsen hinauf.

»Was ist passiert?«

»Ich habe ... Krauter gesucht«, stieß Tantor atemlos hervor. »Für die Salbe, die ihr braucht. Und -«

Skar umklammerte seinen Arm plötzlich so fest, daß der Zwerg mit einem keuchenden Schmerzenslaut abbrach und sich unter seinem Griff wand. Skar spürte es nicht einmal. Sein Blick saugte sich an dem gigantischen, weißen Etwas fest, das auf der anderen Seite des Felsens lag: riesig, zerfetzt und blutend, selbst im Tod noch bedrohlich und furchteinflößend, eine ungeheure weiße Scheußlichkeit, die aus gebrochenen, starren Kristallaugen zu ihnen heraufstarrte.

»Ihr Götter!« keuchte er. »Was ist das?!«

Tantor riß seinen Arm mit einem Ruck los und trat hastig einen Schritt zurück, als hätte er Angst, Skar könnte erneut zugreifen. »Die Schneespinne«, sagte er. »Sie muß uns gefolgt sein, nachdem wir ihre Höhle verlassen hatten.«

Skar hörte die Worte kaum. Er war unfähig, sich zu rühren, den Blick von diesem ungeheuren, weißen ... Ding zu nehmen, irgend etwas zu denken oder etwas anderes zu empfinden als Ekel und Abscheu. Der Körper des Ungeheuers war gut doppelt so lang wie ein ausgewachsener Mann, ein aufgedunsener, pelziger weißer Balg, mit Warzen, Geschwüren und Narben übersät. Aus dem dreieckigen Maul wuchsen zwei glitzernde, armlange Beißzangen, schimmernd wie geschliffene Säbel und stark genug, einen Menschen mit einem Biß zu zerteilen. Die beiden Hauptaugen, die Skar selbst im Tod noch gierig zu mustern schienen, waren groß wie Kinderköpfe. Sie war in der für ihre Art typischen Weise verendet - auf dem Rücken liegend, die Beine in einer letzten, zupackenden Bewegung verkrampft, so daß sie wie eine gigantische verkrümmte Riesenhand wirkte. Lebend mußte das Ungeheuer eine Spannweite von gut zwanzig Metern haben.

Aber es lebte nicht mehr. Irgend etwas hatte es umgebracht, so rasch und lautlos, daß sie nicht das leiseste Anzeichen des Kampfes mitbekommen hatten, obwohl er praktisch unter ihren Augen stattgefunden hatte. Der Boden rings um den Kadaver war zerwühlt, dunkel von halbgeronnenem Blut und noch etwas anderem, das Skar in der unsicheren Beleuchtung nicht richtig erkennen konnte. Die beiden hinteren Beinpaare der Bestie schienen mehrfach gebrochen zu sein; das Chitin unter dem glitzernden Pelz war zermalmt, gesplittert wie unter einem ungeheuren Druck. Ein schwacher, rauchiger Geruch hing in der Luft.