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Skar erwachte erst aus seiner Erstarrung, als die anderen hinter ihm der Reihe nach auf den Felsen gestiegen waren und, je nach Temperament und Veranlagung, stumm auf das tote Ungeheuer hinunterstarrten oder erschrockene Rufe ausstießen.

»Bei den Sümpfen von Cosh!« stieß Beral hervor. »Was ist hier geschehen?«

Skar wandte sich hastig um. Sein Blick begegnete für eine halbe Sekunde dem Gowennas, und er sah das gleiche Erschrecken und die gleiche bange Furcht, die auch er verspürte, in ihren Augen. Ihre Hand zuckte instinktiv zum Schwertgriff, die Lippen waren zu einem dünnen, blutleeren Strich zusammengepreßt. Ihr Blick wanderte an ihm vorbei und bohrte sich in die undurchdringliche Dunkelheit vor ihnen.

»Sie ist tot«, sagte er hastig. »Es besteht keine Gefahr mehr. Tantor ist nur erschrocken. Aber das kann man ihm wohl kaum verübeln«, fügte er mit einem absichtlich übertriebenen Lächeln hinzu. Beral wirkte totenbleich. Seine Lippen zitterten. »Aber wieso ...«

»Ich dachte, sie verlassen ihre Höhlen niemals«, murmelte Nol verwirrt.

Skar zuckte gleichmütig mit den Schultern. »Diese hier schon«, sagte er. »Und vielleicht ist ihr gerade das zum Verhängnis geworden.« Er grinste, trat näher an den Rand des Felsens heran und stellte sich so, daß er wie durch Zufall den direkten Blick auf das tote Untier versperrte.

»Ihr seht«, sagte er mit erhobener Stimme, »es gibt keinen Grund zur Unruhe oder gar Furcht. Wahrscheinlich liegt sie schon seit Tagen hier. Wenigstens wird der Rückweg ungefährlicher.«

Beral versuchte sich an ihm vorbeizuschieben, aber Skar blieb unverrückbar stehen und tat so, als würde er es gar nicht bemerken. »Geht zurück zum Lager«, sagte er. »Es gibt hier nichts zu sehen. Und wir werden unsere Kräfte morgen brauchen.«

»Ich verstehe nicht, warum sie herausgekommen ist«, murmelte Beral kopfschüttelnd. »Sie leben nur in ihren Höhlen und ...«

»Sie ist aber herausgekommen«, antwortete Skar ungeduldig. »Und jetzt ist sie tot. Seid froh, daß wir ihr nicht früher begegnet sind. Und nun geht zurück und bereitet das Lager vor. Jemand«, fügte er spöttisch hinzu, »sollte Tantor begleiten, damit er keinen Herzschlag bekommt, wenn er einen Schatten sieht.«

»Wir ... sollten Wachen aufstellen«, sagte Arsan zögernd.

»Wozu?« Skar deutete mit einer Kopfbewegung auf das tote Ungeheuer. »Schneespinnen leben allein, und es gibt nie mehr als eine auf einem Gebiet von zehn Meilen im Quadrat.«

»Sie kann Junge haben.«

»Sicher. Aber die werden sich oben in den Bergen herumtreiben. Es gibt hier unten keine Beute für sie. Dieses Tier ist vielleicht hergekommen, um zu sterben. Vielleicht war es krank. Oder einfach alt.«

»Trotzdem -«

»Du kannst ja bis morgen früh wachen, wenn dir danach ist«, fiel ihm Skar scharf ins Wort. Arsan zuckte sichtlich zusammen, und Skar spürte, daß ihn seine Worte und ihr ungewohnt scharfer Tonfall verletzten. Doch er hatte keine Wahl. »Aber du wirst es im Lager tun, wie die anderen. Geht jetzt!«

Arsan schien noch etwas sagen zu wollen, doch Skar wandte sich mit einem Ruck ab. Sein Blick suchte wieder den Gowennas. Sie nickte, unmerklich und sehr rasch. Sie hatte verstanden.

»Geht jetzt«, sagte er noch einmal. »Ich werde noch einen Moment hierbleiben und nach Spuren Ausschau halten. Ich komme gleich nach.«

Zwei, drei Sekunden rührte sich keiner der Männer, dann wandten sie sich der Reihe nach um und verschwanden in der Dunkelheit. Skar atmete innerlich auf.

Er wartete, bis ihre Schritte auf dem harten Boden verklungen waren, ging in die Hocke und fuhr mit den Fingerspitzen über den dunklen Fleck, den er die ganze Zeit mit dem Fuß verborgen hatte. Es war Blut. Kein menschliches Blut, sondern das Blut der Spinne, das aus dem aufgeplatzten Leib bis hier oben gespritzt war. Und es war noch warm.

Sein Blick fiel wieder auf den Kadaver der Spinne, glitt weiter und bohrte sich in die Dunkelheit hinter ihr. Das Winseln des Sturmes schien lauter geworden zu sein, schriller, und seine überreizten Nerven gaukelten ihm Bewegungen vor, schwarze, monströse Schatten, die zu bizarrem Leben erwacht waren und sich irgendwo dort draußen, dicht hinter der Grenze des Sichtbaren, bewegten. Nach einer Weile hone er gedämpfte Schritte hinter sich. Er sah auf und blickte in ein helles, von glattem schwarzem Haar eingerahmtes Gesicht. Gowenna. Hinter ihr bewegten sich drei dunkle Umrisse.

»Schick sie weg«, verlangte Skar mit einem Blick auf die Sumpfmänner.

Gowenna starrte ihn einen Herzschlag lang durchdringend an, ehe sie sich umwandte und ein paar Worte in einer schnellen, unverständlichen Sprache ausstieß. Die drei Schatten verschmolzen mit der Dunkelheit, aber Skar zweifelte nicht daran, daß sie in der Nähe warten würden.

»Glaubst du, daß deine Vorstellung sehr überzeugend war?« begann Gowenna übergangslos.

»Sicher nicht. Aber das spielt keine Rolle. Es ist mir gleich, was sie denken - solange sie der Wahrheit nicht zu nahe kommen. Das Biest ist noch keine halbe Stunde tot.«

Gowenna nickte ungerührt. »Ich weiß«, sagte sie. »Tantor muß dem Wesen, das sie umgebracht hat, fast über den Weg gelaufen sein. Es war richtig, daß du geschwiegen hast.« Sie ließ sich neben Skar auf die Knie nieder und betrachtete neugierig den dunklen Blutfleck auf dem Stein.

»Du weißt, was es war?« fragte sie nach einer Weile.

»Was?«

»Was sie umgebracht hat.«

Skar schüttelte den Kopf. Er konnte sich beim besten Willen kein Wesen vorstellen, das ein Monster wie die Schneespinne so schnell und lautlos umzubringen imstande war, wie es sich hier zugetragen hatte. »Nein«, sagte er.

Gowenna wandte sich ohne ein weiteres Wort um, stützte sich mit der Linken auf dem Felsen ab und sprang zu der toten Spinne hinunter. Sie wich rasch ein paar Schritte von dem reglosen Kadaver zurück, sah zu Skar hinauf und winkte.

»Komm. Ich möchte dir etwas zeigen.«

Skar verspürte ein Gefühl beinahe unüberwindlichen Ekels, aber irgend etwas sagte ihm, daß Gowenna ihn nicht nur zu sich herabrief, um ihm ihre Überlegenheit zu demonstrieren. Auch ihr bereitete es sichtliches Unbehagen, sich der Spinne zu nähern.

Er stand auf, schlug seinen Umhang zurück und sprang mit weit ausgebreiteten Armen zu Gowenna hinab. Der Boden war uneben und mit Geröll und Steinsplittern übersät, so daß er um ein Haar das Gleichgewicht verloren hätte. Er stolperte einen halben Schritt auf den Kadaver zu, fing sich im letzten Moment und wich angeekelt zurück. Gowenna runzelte die Stirn, sagte aber nichts. Auch sie schien zu spüren, daß dies nicht der Moment war, ihre persönlichen Streitigkeiten fortzuführen.

Sie bewegte sich ein Stück von der Spinne weg in die Dunkelheit hinein und blieb stehen. »Hier«, sagte sie. »Sieh selbst.«

Skar blickte stirnrunzelnd auf die Stelle zwischen den Felsen, auf die sie deutete. Es dauerte einen Moment, bis er sah, was Gowenna ihm zeigen wollte.

Der Boden bestand hier nicht aus Fels und verbranntem Gestein, sondern aus Erdreich, das der Wind vom Gebirge heruntergetragen und in einer geschützten Senke abgeladen hatte. Es war ein Fleck von vielleicht zwanzig Fuß Durchmesser und dunkelbrauner, schwärzlicher Farbe. Und genau am Rande dieses Flecks befand sich der Abdruck einer ungeheuren, vierzehigen Klaue.

Skars Herz machte einen schmerzhaften Sprung. Der Abdruck war groß genug, daß er sich bequem hätte hinsetzen können, und fast zwei Handbreit tief. Drei der mächtigen Zehen waren kurz und verkrüppelt und, nach den tiefen, dreieckigen Löchern am Ende der Spur zu schließen, mit fürchterlichen Krallen bewehrt; die vierte stand etwas auswärts und war in der Art eines Daumens gekrümmt. »Beral hatte vollkommen recht«, sagte Gowenna halblaut. »Sie kommen niemals aus ihren Höhlen heraus, auch nicht, um Beute zu machen. Es sei denn, irgend etwas würde sie herausjagen.« Sie trat einen Schritt zurück, nahm etwas vom Boden auf und hielt Skar die ausgestreckte Hand entgegen. Auf ihrer Handfläche glitzerte ein graues, körniges Pulver.