Skar schüttelte seufzend den Kopf, drückte die Waffe nach unten und trat einen Schritt auf Gowenna zu.
Sie wich hastig zurück. Ihre Haltung verriet plötzlich Anspannung.
Skar blieb stehen. Er spürte, daß sie ihn angreifen würde, wenn er auch nur einen einzigen Zentimeter näher kam. »Aber das stimmt doch gar nicht«, sagte er sanft.
In Gowennas Augen blitzte es zornig auf. »Das mußt gerade du sagen«, zischte sie. »Seid es nicht ihr, die Satai, die nur für das Schwert leben? Ihr habt eine Religion daraus gemacht, einen Gott, den ihr anbetet und für den ihr sterbt. Sag mir, Skar, wie viele Mythen habt ihr um Helden gewoben, die mit dem Schwert in der Faust gelebt haben? Wie viele Lieder gibt es, in denen ihr eure Heldentaten besingt. Ihr habt das Schwert zu einem Symbol der Männlichkeit erhoben, und ihr verachtet jeden, der an diesem Mythos zu kratzen wagt. Du glaubst, ich wolle ein Mann sein, nur weil ich ein Schwert führe und mich eurem Überlegenheitsdenken nicht beuge? Wie viele Männer hast du getötet, Skar? Ich bin sicher, es sind sehr viele. Und du wirfst mir vor, ich wäre anders, als ich sein sollte?«
»Ich laufe jedenfalls nicht herum und lege mich mit jedem an, der mir auch nur einen schrägen Blick zuwirft«, antwortete Skar absichtlich in gemäßigtem Tonfall. Er spürte, daß er zu weit gegangen war, daß er einen Punkt in Gowennas Seele berührt hatte, den er besser unangetastet gelassen hätte.
»Ich tue nichts anderes als du«, sagte Gowenna. »Ich wehre mich, wenn man mich angreift.«
»Nein«, meinte Skar. »Das tust du nicht. Du wehrst dich, bevor man dich angreift, Gowenna, und das ist der Unterschied zwischen dir und mir. Wenn du all dies tust, nur um als das anerkannt zu werden, was du bist, wirst du dein Ziel niemals erreichen. Es gibt einen Unterschied zwischen Respekt und Angst, und solange du ihn nicht erkannt hast, wirst du immer ein Außenseiter bleiben.«
»Ich -«
»Du stehst zwischen den Fronten«, fuhr er ruhig fort, obwohl er wußte, daß es besser gewesen wäre, zu schweigen. »Du willst anerkannt werden, nicht als Frau oder Mann, sondern nur als Mensch, als das, was du bist. Ich verstehe diesen Wunsch, aber du lebst in der falschen Welt, Gowenna. Du bist keine Frau mehr, weil dir die Rolle der Frauen in unserer Welt nicht gefällt, und du wirst nie von den Männern akzeptiert werden, weil du sie haßt. Ich sage nicht, daß mir dieses System gefällt, aber ich kann es nicht ändern, ebensowenig, wie ich diese ganze verdammte Welt ändern kann. Auch sie gefällt mir nicht, aber ich habe keine Wahl. Wir haben nur dieses eine Leben, und es gibt nur eine bestimmte Anzahl von Rollen, die wir in ihm spielen können.«
»Und damit gibst du dich zufrieden? Eine Rolle zu spielen?« Skar nickte. »Ja. Du willst stark sein, Gowenna, aber Stärke bedeutet auch, die eigenen Grenzen zu erkennen.« Er schwieg einen Moment und deutete dann mit einer Kopfbewegung auf die verendete Spinne. »Sieh sie dir an, Gowenna. Sie war stark, ungeheuer stark, sicher das stärkste Wesen, das es in diesem Teil der Welt gegeben hat.«
»Unsinn«, sagte Gowenna. »Sie ...«
»Sie war so lange stark, wie sie ihre Rolle spielte«, schnitt ihr Skar das Wort ab. »Solange sie in ihrer Höhle saß, war sie unbesiegbar. Als sie herauskam, wurde sie getötet. Sie hat ihre Grenzen nicht gekannt, Gowenna, und ihre ganze Stärke hat ihr nichts mehr genutzt. Du ... du versuchst dasselbe, Gowenna. Du lehnst dich gegen das Schicksal auf und forderst die Götter heraus, wie es auch die Bewohner Combats getan haben. Gib acht, daß es dir nicht ebenso ergeht wie ihnen. Ein Menschenleben ist rascher zerstört als eine Stadt.«
Gowenna funkelte ihn wütend an. Sie schien etwas sagen zu wollen, beließ es aber dann bei einem ärgerlichen Schnauben und ging wortlos an ihm vorbei, um in der Dunkelheit zu verschwinden. Skar sah ihr kopfschüttelnd nach. Seine Worte waren überflüssig, das wußte er. Gowenna war intelligent genug, um das, was er ihr gesagt hatte, auch so zu wissen.
Skar ballte wütend die Fäuste. Es war nicht genug, daß er sich auf ein Spiel eingelassen hatte, das er vermutlich verlieren würde; nicht genug, daß jetzt vermutlich die schlimmste Bestie Enwors auf ihrer Spur war, ein Ungeheuer, vor dem sich selbst die Zuchtmeister der Errish gefürchtet hätten; nicht genug, daß er sich in Gesellschaft eines Verrückten, eines Abenteurers, eines gewissenlosen Mörders und dreier ebenso undurchschaubarer wie unberechenbarer Sumpfmänner befand; nicht genug, daß er den Tod bereits im Körper trug und irgendwo in den Bergen hinter ihnen jemand war: Verfolger, über deren Ziele er allenfalls Vermutungen anstellen konnte. Nein, er mußte auch noch den schwelenden Zwist zwischen sich und Gowenna schüren, mußte eine Konfrontation suchen, die vielleicht unausweichlich war, aber noch Zeit hatte.
Mehr als je zuvor spürte er, während er sich umwandte und langsam hinter Gowenna her zu den anderen zurückging, wie hilflos er in Wahrheit war. Für die anderen - und auch für Gowenna, obwohl sie es nie zugeben würde - war er der Satai, der unbesiegbare Krieger, ein Symbol für Stärke und wohl auch für so etwas wie Weisheit, aber er wußte, daß das nicht stimmte. Mit Del war ihm mehr als ein Freund und Kampfgefährte genommen worden. Auch wenn es für einen Außenstehenden manchmal schwer zu erkennen war, ging ihre Beziehung doch weit über Freundschaft, über das normale Verhältnis zwischen Meister und Schüler hinaus. Del war im Laufe der Jahre zu einem Teil seiner selbst geworden, und umgekehrt. Aber es war lange her, daß er Del das letzte Mal gesehen hatte. Zu lange ...
Das weite Oval der Arena war vom flackernden Schein unzähliger Fackeln erhellt. Die steinernen Sitzbänke, die sich wie Reihen übereinanderliegender, schmaler Terrassen bis in eine Höhe von mehr als zwanzig Manneslängen um den Kampfplatz gruppierten, waren noch leer, aber es würde jetzt nicht mehr lange dauern, bis die ersten Schaulustigen eintrafen, um sich einen guten Platz zu sichern, ungeachtet des noch immer strömenden Regens und der Tatsache, daß die Veranstaltung erst nach dem Abendgebet begann. Die Arena konnte an die zwanzigtausend Menschen aufnehmen, selbst für die Verhältnisse in Ikne eine ungeheure Zahl, und Skar hätte auf Anhieb keine Antwort gewußt, wenn man ihn nach einem größeren Gebäude gefragt hätte. Trotzdem verging kaum ein Tag, an dem die Tribünen nicht bis auf den letzten Platz besetzt waren, und so mancher, der an den Kassen anstand und seinen Dim bereithielt, mußte wieder umkehren. Ikne war nicht reich an Möglichkeiten der Zerstreuung.
Skar hatte versucht, Raches Rat zu folgen und noch ein paar Stunden zu schlafen, aber er hatte keine Ruhe gefunden. Velas Worte gingen ihm nicht aus dem Sinn, auch nicht der Blick, den sie ihm zum Abschied zugeworfen hatte, die kaum verhüllte Drohung in ihrer Stimme. Es war nicht so, daß er Angst hatte - nicht jene Art von Angst, wie er sie bisher gekannt hatte -, aber ihre Worte hatten eine tiefe Beunruhigung in ihm ausgelöst.
Er wußte einfach, daß die Errish nicht der Mensch war, der leere Drohungen ausstieß.
Schließlich war er aufgestanden und hier heraufgekommen, ganz gegen seine sonstigen Gewohnheiten. Skar war nicht abergläubig, aber er vermied es normalerweise, in die Arena zu gehen, wenn er dort am gleichen Tag noch zu kämpfen hatte.
Es war noch immer kalt, obwohl die graue Decke über der Stadt hier und da aufgerissen war, aber im Osten türmten sich bereits neue, dunkle Wolkenburgen auf.
Skar besah sich die Arena mit gemischten Gefühlen.
Der Kampfplatz war über einer gewaltigen Platte aus porösem Stein errichtet worden; Fels, durch dessen unzählige Risse und Sprünge das Wasser ablaufen und sich in mächtigen, unterirdischen Kavernen, von denen aus es in den Fluß abgeleitet wurde, sammeln konnte, so daß der Sand, den man knietief darübergestreut hatte, normalerweise auch bei schlechter Witterung trocken blieb. Aber der tagelange, ununterbrochene Regen hatte das Fassungsvermögen der Anlage längst überfordert, und aus den Kavernen und dem Fluß stieg jetzt eher Wasser nach oben, als daß es abfloß, und die Arena hatte sich in einen klebrigen Sumpf verwandelt: Matsch und flockiger Morast, in den sie bei jedem Schritt knöcheltief einsinken würden. Skar empfand diesen Umstand zwar nicht als direkten Nachteil - schließlich würden auch ihre Gegner darunter zu leiden haben -, aber er hätte sich wohler gefühlt, auf festem Boden zu kämpfen.