Der Wind drehte sich für einen Augenblick und trug ein leises, vibrierendes Grollen zu ihm herüber, ein Geräusch, das, obwohl gedämpft, einen winzigen Funken von Furcht in ihm aufglühen ließ. Die Bantas waren unruhig. Wahrscheinlich hatte man sie wochenlang nur mit Blut gefüttert, um sie für den Kampf wild zu machen. Skar war froh, als der Wind abermals drehte und das Geräusch verschluckte. Er hielt nichts davon, wilde Tiere gegeneinander antreten zu lassen. Obwohl er - wie jeder - die Bantas fürchtete, achtete er sie gleichzeitig auch als stolze und furchtlose Kämpfer, als Wesen, die ungleich besser als der Mensch dazu ausgerüstet waren, in einer wilden und unbarmherzigen Welt wie dieser zu überleben. Und trotzdem würden in wenigen Stunden die Gitter vor den beiden Käfigen zurückgezogen werden, und die beiden geschuppten Gegner würden übereinander herfallen und sich gegenseitig zerfleischen, unfähig, auch nur zu begreifen, daß ihr Tod keinem anderen Zweck diente als dem, die Schaulust der Menge zu befriedigen und die Geldbeutel der Lastaren zu füllen.
Aber vielleicht war das, was Del und er taten, auch nichts anderes. Vielleicht war es sogar noch schlimmer. Sie wußten, was sie taten.
Skar verscheuchte den Gedanken und beschäftigte sich eine Weile damit, den Männern zuzusehen, die über das weite Oval eilten und versuchten, den aufgeweichten Boden zu glätten; ein ebenso lächerliches wie sinnloses Unterfangen. Selbst wenn es ihnen gelänge, aus diesem Matschloch so etwas wie eine Arena zu machen, würden die tobenden Bantas den Boden in wenigen Augenblicken wieder in das verwandeln, was er vorher gewesen war. Das Geräusch leiser, regelmäßiger Hammerschläge ließ ihn aufblicken. Er entdeckte eine Anzahl Arbeiter, die damit beschäftigt waren, auf halber Höhe der Zuschauerränge und direkt gegenüber vom Tor ein großes, hölzernes Podest zu errichten. Skar runzelte verwundert die Stirn, als er die Farben der Tempelkönige auf dem erst halb aufgespannten Baldachin erkannte. Es kam selten vor, daß die Herren Iknes den Verbotenen Bezirk verließen und sich in der Öffentlichkeit zeigten.
Skar hatte sie in den sechs Monaten, die er jetzt in der Stadt war, nicht einmal zu Gesicht bekommen. Und irgendwie erschien ihm die Vorstellung, sie bei einer so ordinären Volksbelustigung wie einem Arenakampf zu sehen, absurd. Aber die rotgelben Karos dort oben waren die Farben der Tempelkönige. Wieder fühlte er für einen Moment diese bohrende Unruhe, aber wieder verging das Gefühl, ehe er es richtig erfassen konnte.
Er spürte plötzlich, daß er nicht mehr allein war, und drehte sich rasch um. In dem wuchtigen, eisenbeschlagenen Tor hinter seinem Rücken hatte sich eine kleinere Tür geöffnet. Ein kurzbeiniger kleiner alter Mann mit grauem Haar und ständig blinzelnden Augen war in die Arena hinausgetreten.
»Hier bist du also«, sagte Cubic anstelle einer Begrüßung. Er machte einen Schritt auf ihn zu, blieb abrupt stehen, als ihn die ersten Regentropfen ins Gesicht trafen, und zog sich dann hastig in den Windschatten des Tores zurück. »Ich habe dich in deinem Quartier gesucht.«
Skar schnitt eine Grimasse. »Ich habe mir erlaubt, es für kurze Zeit zu verlassen«, sagte er bissig. »Verzeiht, wenn ich vergaß, Euch um Erlaubnis zu fragen, gütiger Herr. Es wird nicht wieder vorkommen.«
Cubic blinzelte verwirrt. »So ... habe ich es nicht gemeint«, sagte er hastig.
Skar zog die Augenbrauen zusammen. »Aber ich«, meinte er. »Das Moderloch, in dem du uns einquartiert hast, lädt wirklich nicht zum Verweilen ein.«
Cubic überging die Bemerkung. »Ich habe dich gesucht«, sagte er noch einmal.
»Du hast mich gefunden.«
Cubic seufzte, schüttelte den Kopf und versuchte mit einer verlegenen Geste die Hände in Kitteltaschen zu stecken, die er nicht hatte. »Ich sorge mich um Del«, sagte er nach kurzem Zögern. »Er war die ganze Nacht nicht in seinem Quartier. Du weißt nicht zufällig, wo er ist?«
Skar schüttelte verärgert den Kopf. »Wir sind nicht miteinander verheiratet«, erwiderte er. »Und soviel ich weiß, bezahlst du uns für den Kampf, nicht für das, was wir in der Zeit davor oder danach tun.«
»Aber es wäre besser, wenn Del sich schonen würde«, antwortete Cubic. Er sprach wie immer mit einer unnachahmlichen Mischung aus Unterwürfigkeit und Unverschämtheit, die Skar allmählich in Rage brachte. Cubic war nichts als ein schmieriger alter Mann, aber sie brauchten ihn, trotz allem.
»Ich denke, Del kennt seine Kräfte gut genug, um zu wissen, was er tut«, antwortete Skar gezwungen ruhig. »Solltest du Angst um dein Geld haben, so kann ich dich beruhigen. Zur Not nehme ich es noch allein mit diesen beiden Supermännern auf, die du uns ausgesucht hast.«
Cubic starrte ihn eine Sekunde lang konsterniert an und sah dann an ihm vorbei zur Tribüne hinauf. »Das ist der Grund, aus dem ich dich sprechen muß«, murmelte er. »Es steht eine Menge auf dem Spiel, weißt du.«
Skar deutete mit einer Kopfbewegung auf den halbfertigen Aufbau. »Ist es das, was dir Sorgen bereitet?«
Der Lastar starrte eine Weile wortlos zur Tribüne hinauf. Der Aufbau ging rasch vonstatten. Das Holzgerüst schien bereits fertig, und über der trapezförmigen Konstruktion flatterte schon der Wimpel Iknes im Wind. Ein anderer Trupp war damit beschäftigt, Stühle und Bänke - noch mit weißem Tuch gegen den Regen geschützt - herbeizuschaffen. Cubic lächelte auf eine seltsame, wehleidige Art, schüttelte den Kopf, nickte, schüttelte noch einmal den Kopf und nickte erneut. »Ja«, sagte er. »Warum soll ich dir etwas vormachen? Ich habe eine Menge Geld in den Kampf investiert, Skar. Ich kann es mir nicht leisten, ihn zu verlieren.«
»Das ist wohl auch der Grund, aus dem du dich in letzter Sekünde entschlossen hast, nicht selbst anzutreten, sondern uns zu engagieren«, antwortete Skar sarkastisch.
»Du tust mir unrecht, Satai.«
»So?« sagte Skar, noch ein wenig spöttischer.
Cubic nickte ernst. »Ich weiß, was du denkst«, meinte er. »Aber ich habe diese beiden Männer nicht ausgewählt, um rasches Geld zu verdienen oder Euch gar zu demütigen.«
»Sondern?«
»Es gibt keine Besseren mehr«, antwortete Cubic. »Die Zeiten haben sich gewandelt, Skar. Die Arenen sind voll, doch es gibt keine guten Männer mehr. Nur noch zweite Wahl, so wie diese Grünschnäbel aus Kohon. Du hast sie gesehen. Sie sind gut, in ihrer Klasse, doch sie sind keine Spitzenleute. Wäret ihr vor einem Jahr gekommen, hätte ich euch Gegner aussuchen können, die eurer würdig waren. So aber...« Er seufzte, schüttelte den Kopf und starrte aus zusammengekniffenen Augen in den Himmel hinauf. »Du mußt nicht glauben, daß es mir Spaß macht, Skar. Es hätte wohl keinen Sinn, dir erzählen zu wollen, daß ich nicht daran interessiert bin, Geld zu verdienen. Doch Geld ist nicht alles. Nicht einmal für mich. Ich ... habe einen Ruf zu verlieren, Skar.«
»Wenn es so ist«, antwortete Skar mit einem fragenden Blick auf die Tribüne, »wie kommst du dann zu solchen Zuschauern?« Cubic antwortete nicht gleich, aber er sah mit einem Mal sehr besorgt aus. »Ich wollte, ich wüßte es. Vielleicht«, fügte er ohne rechte Überzeugung hinzu, »kommen sie euretwegen.«
»Um zu sehen, wie wir zwei Kinder niedermachen?« Skar schüttelte den Kopf. »Wohl kaum.«
Cubic verschränkte die Hände hinter dem Rücken und lehnte sich an das Tor; eine Haltung, die nicht zu seiner Gestalt und seinem Gebaren paßte, aber mehr als alle Worte seine Verwirrung zeigte. »Sei es, wie es will«, seufzte er. »Ich bitte dich nur um eines - mach es nicht zu schnell.«