»Wer war das?« fragte Del.
»Jemand, den du nicht kennst«, antwortete Skar barsch. »Wie du siehst, bist du nicht der einzige, der Ärger mit Frauen hat.« Del starrte ihn kurz an und wandte sich dann beleidigt ab.
»Ich erkläre es dir, wenn der Kampf vorbei ist«, fügte Skar etwas leiser hinzu. »Es ist... nicht einfach.«
Del wandte den Kopf und runzelte die Stirn. Dann lächelte er. Skar atmete innerlich auf. Der Bann war gebrochen.
»Macht euch bereit«, sagte Cubic.
Skar nickte und schloß für die Dauer von vier, fünf Herzschlägen die Augen. Es dauerte nicht lange, bis er jenen Zustand völliger Entspannung erreicht hatte, in dem er normalerweise in den Kampf ging. Sein Herz schlug ruhiger, und er spürte den kalten Wind und die Feuchtigkeit, die von draußen hereindrangen, intensiver. Das Tor schwang mit leisem Knarren nach innen. Die Fackeln flackerten und zauberten für einen Moment tanzende Schatten an die Wände.
Cubic zog sich mit ein paar raschen Schritten zurück, und auch die Diener, die beiderseits des Tores gestanden waren, verschwanden rasch aus dem Sichtbereich der Menge.
Langsam, mit gemessenen Schritten, traten sie in die Arena hinaus.
Skar kam sich mit einem Mal unsagbar lächerlich vor. Er bewegte sich so, wie es die Menge erwartete, wie sie glaubte, daß sich ein Held bewegen mußte, spielte ein Spiel, das nicht seines war und ihn im Grunde anwiderte, trat neben Del vier, fünf Schritte in den aufgeweichten Sand hinaus und blieb stehen. Hinter ihnen schwang das Tor zu und rastete mit einem dumpfen Schlag ein.
Ihm fiel auf, wie still es geworden war. Die Ränge waren - wie erwartet - bis auf den letzten Platz gefüllt, aber wenn die Menge noch vor Augenblicken wie ein außer Rand und Band geratener Mob getobt hatte, so war sie jetzt wie auf ein geheimes Zeichen hin verstummt. Er begann langsam zu begreifen, was Cubic gemeint hatte.
Sein Blick glitt über die Bankreihen und blieb an der Loge der Tempelkönige haften. Das Bauwerk war größer geworden, als es am Vormittag den Anschein gehabt hatte. Ein dreifach gestaffelter Kordon von Wachen umgab das mannshohe, mit eilig herbeigeschafften Ranken und Wimpeln geschmückte Podest, und trotz der qualvollen Enge auf der hoffnungslos überfüllten Tribüne waren die Menschen in weitem Umkreis angstvoll von den Soldaten abgerückt. Die Tempelkönige selbst waren unsichtbar, wenig mehr als zwei schlanke, verschwommene Schatten hinter einem Vorhang aus dünnen Schleiern, der sie gleichermaßen vor dem Regen wie vor dem Erkanntwerden schützte. Niemand hatte die Tempelkönige Iknes je zu Gesicht bekommen, außer in Form mehrerer verhüllter Gestalten, die sich hinter einer Mauer aus Schweigen und Geheimnissen verbargen. Ein Umstand, der natürlich den besten nur denkbaren Nährboden für Gerüchte und Vermutungen abgab - die Versionen reichten von einem Paar Unsterblicher bis hin zu Dämonen, die von den Sternen herabgestiegen waren, um über die Menschen zu herrschen. Skar sah die Sache wesentlich nüchterner. Der Schleier von Geheimnissen und Vermutungen, hinter denen sich die Könige verbargen, stellte einen besseren Schutz dar, als ihn selbst die höchsten Mauern hätten bilden können. Auch der tapferste Wächter konnte besiegt oder überlistet werden, aber niemand konnte einen Gegner angreifen, den er nicht kannte.
Um so mehr erstaunte es ihn, daß die Tempelkönige hier anwesend waren.
Eine der schattenhaft erkennbaren Gestalten hob die Hand, und ein zweiter hallender Posaunenstoß unterbrach die Stille. Skar deutete eine Verbeugung in Richtung der Königsloge an und wandte sich dann wieder der Arena zu.
Am gegenüberliegenden Rand des Kampfplatzes hatte sich ein zweites Tor geöffnet, das genaue Gegenstück zu dem, aus dem sie hervorgekommen waren. Die Gestalten der beiden Kohoner wirkten seltsam klein und verloren vor dem Hintergrund der mächtigen grauen Mauer. Skar konnte sehen, wie ihnen der Wind ins Gesicht fuhr und mit ihrem Haar spielte. Die beiden Männer glichen sich wie Zwillinge; sie waren groß, sehr schlank und langgliedrig. Nicht der Typ des muskulösen Athleten, dachte er, sondern Männer, die mehr auf Schnelligkeit und Geschicklichkeit setzten als auf die Kraft ihrer Arme. Ihre Kleidung war einfach und zweckmäßig - knielange Hosen, die von einem breiten, metallbeschlagenen Gürtel zusammengehalten wurden, darüber ein langärmeliges Hemd, unter dem sich zweifellos ein Lederharnisch oder ein Kettenhemd verbarg. Sie trugen keine Helme, und ihr einziger Schutz bestand aus runden, kaum tellergroßen Schilden, die nicht so aussahen, als würden sie einem ernstgemeinten Hieb standhalten können.
Skar tauschte einen Blick mit Del und runzelte flüchtig die Stirn. Ihre beiden Gegner trugen das Haar lang bis auf die Schultern und offen; kein Stirnband. Ein beinahe unentschuldbarer Leichtsinn. Ein dritter Posaunenstoß erklang. Der Kampf begann.
»Nimm du den Linken«, sagte Del. »Und gib acht auf ihre Hände. Sie haben Messer.«
Skar nickte knapp. Es hätte Dels Warnung nicht bedurft. In den Metallgürteln der Kohoner steckte fast ein Dutzend schlanker, gefährlicher Wurfdolche. Skar bedauerte für einen Moment, keinen Schild mitgenommen zu haben. Aber dafür war es nun zu spät. Wenn es ein Fehler war, so würden sie es merken.
Ein erwartungsvolles Raunen ging durch die Menge, als sie sich ihren Gegnern näherten. Skar machte einen Schritt in die Arena hinaus und sank fast sofort bis an die Knöchel ein. Er hatte erwartet, daß der Boden schlecht war, aber es war trotzdem noch schlimmer, als er befürchtet hatte. Der Sand war aufgeweicht und sumpfig, seine Schritte wurden von leisen, schmatzenden Geräuschen begleitet und hinterließen eine Spur kleiner Löcher, die sich rasch mit Wasser füllten. Er sah kurz zu Del hinüber und bemerkte, daß der junge Satai mit ähnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Und weiter im Zentrum der Arena würde es noch schlimmer werden. Der Boden war abschüssig und glich einem sehr flachen Krater. Vielleicht würden sie dort bis an die Waden einsinken.
»Bleib zurück«, sagte er so leise, daß die Worte nur von Del verstanden werden konnten. »Ich habe keine Lust, bis an die Hüften in diesem Dreck zu versinken. Laß sie kommen.«
Del nickte unmerklich, verlangsamte seine Schritte und begann nach rechts auszuweichen. Gleichzeitg bewegte sich Skar nach links. Ihm war nicht sehr wohl bei dem Gedanken, daß sie sich trennten. Aber ihre Gegner schienen den gleichen Einfall gehabt zu haben. Auch sie bewegten sich auseinander, statt direkt auf sie zu. Das Raunen auf den Bänken wurde lauter, und die ersten anfeuernden Rufe erklangen, verstummten aber ganz rasch wieder. Skar hob den Kopf, blickte in die Mauer gebannt gaffender Gesichter über sich und dann zur Königsloge. Eine der verschwommenen Gestalten hatte sich leicht vorgebeugt und sah offenbar mit großem Interesse zu ihnen herab.
Irgend etwas an der Szene störte Skar. Doch er wußte nicht, was. Aber vielleicht war er auch nur übernervös. Vela hätte sich keinen besseren Zeitpunkt aussuchen können, die Amazone zu ihm zu schicken.
Er wandte sich wieder seinem Gegner zu und versuchte, alle anderen Gedanken aus seinem Kopf zu verbannen. Für einen Augenblick gab es nur noch ihn und die Arena, alles andere wurde unwichtig, verschwand. Für die Dauer eines Herzschlages bestand die Welt nur noch aus ihm und dem schwarzhaarigen Mann aus Kohon. Aber nur für einen Augenblick. Dann drang das erregte Murmeln der Menge wieder deutlicher an sein Ohr, und er spürte abermals die Kälte und den eisigen, schneidenden Wind.
Skar erschrak.
Eine der Erklärungen für die legendäre Unbesiegbarkeit der Satai bestand in ihrer Fähigkeit, sich mit jeder Faser ihres Seins auf den Kampf zu konzentrieren, jeden anderen Gedanken, jede Empfindung auszuschalten: Es war eine Trance oder jedenfalls etwas, das diesem Zustand so nahe kam, daß nicht einmal die Satai selbst den Unterschied zu definieren vermochten. Sie hatten ihn jahrelang und mit beinahe übermenschlicher Geduld geübt, bis es nur noch eines flüchtigen Gedankens bedurfte, ihn hervorzurufen.