Aber diesmal ging es nicht.
Irgend etwas war da, eine seltsame, körperlose Kraft, die es vor Augenblicken noch nicht gegeben hatte und die ihn daran hinderte, sich auf die gewohnte Art zu konzentrieren.
Er wandte rasch den Kopf und sah, daß es Del ebenso erging. Obwohl sie sich nach verschiedenen Seiten der Arena bewegt hatten und nun mehr als dreißig Schritte auseinanderstanden, konnte er das Erschrecken auf dem Gesicht des jungen Satai deutlich erkennen.
Skar blieb stehen, zog das Schwert aus der Scheide und wechselte die Waffe in die Linke, um mit der rechten Hand einen Wurfstern vom Gürtel zu lösen. Der Kohoner beobachtete seine Vorbereitungen ohne sichtliche Regung. Sein Gesicht - Skar war jetzt dicht genug heran, um zu erkennen, daß er jünger war, als er bisher angenommen hatte - blieb starr, aber Skar zweifelte nicht daran, daß den dunklen Augen auch nicht die winzigste seiner Bewegungen verborgen blieb.
Skar hatte niemals den Fehler begangen, einen Gegner zu unterschätzen, und er tat es - trotz allem, was er vorher gesagt und gedacht hatte - auch diesmal nicht. Cubic und die anderen mochten recht haben, wenn sie sagten, daß die beiden Kohoner nur zur zweiten Garde gehörten, aber sie hatten es immerhin geschafft, sich in ihrer Klasse bis zur Spitze hinaufzukämpfen; weit genug, um in der Arena von Ikne antreten zu dürfen.
Die Bewegung war fast zu schnell, als daß er sie noch erkennen konnte. Die Hand des Kohoners zuckte zum Gürtel, kam mit unglaublicher Schnelligkeit wieder hoch und beschrieb einen kurzen, abgehackten Viertelkreis. Ein silberner Schemen wirbelte durch die Luft, zischte in einer unmöglichen Kreisbewegung weit an ihm vorbei und jagte wie ein winziger silbriger Bumerang auf Del zu. Skar begriff im letzten Augenblick. Er duckte sich, machte einen halben Schritt nach rechts und ließ sich verzweifelt in den Morast fallen. Irgend etwas sauste mit einem häßlichen Geräusch an seiner Schläfe vorbei, schrammte über seine Schulter und prallte gegen die Wand. Die beiden Kohoner mußten die Art ihres Angriffs genau abgesprochen haben. Während Skars Gegner seinen Dolch auf Del geworfen hatte, hatte der andere seine eigene Waffe auf Skar geschleudert.
Skar wälzte sich auf den Rücken, sah eine zweite, mit unglaublicher Zielsicherheit geworfene Waffe auf sich zufliegen und riß instinktiv sein Schwert hoch. Die Waffe war aber zu schwer und zu unausgewogen, um wirklich gut zu sein. Hätte er sein Tschekal gehabt, wäre es ihm ein leichtes gewesen, den heranwirbelnden Dolch beiseite zu schlagen. So aber gelang es ihm gerade, die Waffe ein wenig abzulenken. Sie verfehlte sein Gesicht, auf das sie gezielt gewesen war, prallte jedoch mit unbarmherziger Wucht gegen seinen Brustharnisch und schleuderte ihn abermals in den Morast zurück. Skars Herz tat einen schmerzhaften Schlag, als er sah, wie das Wurfmesser von seinem Panzer abprallte und in der Mitte entzweibrach. Er hatte von diesen Waffen gehört, ohne jemals eine zu Gesicht bekommen zu haben - ein Chaloc, ein Dolch, dessen Klinge so angefeilt war, daß sie in den Körper des Gegners eindrang und dort abbrach. Selbst ein Treffer in Arm oder Bein würde ihn kampfunfähig machen. Nicht einmal ein Satai kämpft mit fünf Zentimeter beißendem Stahl im Leib weiter.
Aber sein Gegner ließ ihm nicht viel Zeit zum Nachdenken. Ein weiteres Messer zischte heran, verfehlte ihn um wenige Zentimeter und grub sich dicht neben seinem Gesicht in den Boden.
Skar sprang mit einem wütenden Knurren auf die Füße, schleuderte dem Kohoner seinen Wurfstern entgegen und riß gleichzeitig den Umhang von der Schulter. Der Shuriken fetzte dem Kohoner den nächsten Dolch aus den Fingern, schrammte über seinen Handrücken und riß seinen Arm von der Handwurzel bis fast zum Ellbogen auf. Der Mann schrie überrascht auf, taumelte zurück und umklammerte sein blutendes Gelenk. Zum ersten Mal las Skar in seinen Augen nicht mehr Sicherheit, sondern Erschrecken und Schmerz.
Die Menge schrie grölend auf. Skars Gegenangriff war vollkommen überraschend gekommen, und zum erstenmal, seit der Kampf begonnen hatte, war Blut geflossen. Skar mußte plötzlich an Cubics Worte denken. Die Menge würde ihr Schauspiel bekommen. Er wechselte Umhang und Schwert gegeneinander aus und bewegte sich leicht vorgebeugt auf den anderen zu. Der Kohoner zog die Hand, die schon wieder nach einem neuen Dolch hatte greifen wollen, zurück und zog ebenfalls sein Schwert. Er mußte erkannt haben, daß Skar jeden weiteren Wurf leicht mit dem Umhang abwehren konnte.
Skar sah rasch zur anderen Seite des Platzes hinüber. Auch Del war noch auf den Beinen, aber er kam nicht an seinen Gegner heran, sondern duckte sich verzweifelt unter den heranzischenden Wurfdolchen weg. Sein Umhang war zerrissen, und über dem rechten Arm rötete sich der Stoff von Blut. Aber er stand noch. Und irgendwann würden dem Kohoner die Messer ausgehen.
Skar fühlte sich nicht wohl bei dem Gedanken an die schmerzhafte Verletzung, die Del davongetragen hatte. Er kannte den jungen Satai zu gut, um nicht zu wissen, wie jähzornig er war. Im Kampf Mann gegen Mann hatte der Kohoner nicht die Spur einer Chance. Das Duell ging nicht bis zum Tod, aber Del war stark genug, einem Mann auch ohne Absicht das Genick zu brechen. Der Mob schrie begeistert auf, als Skars Gegner mit hoch erhobenem Schwert vorstürzte. Skar wartete den Angriff ruhig ab, parierte den Schlag und sprang dann mit einem blitzschnellen Satz zur Seite.
Wenigstens versuchte er es.
Seine Füße fanden aber auf dem morastigen Boden keinen Halt. Er sank bis weit über die Knöchel ein, kam mit einem zornigen Ruck frei und verlor das Gleichgewicht, als sein rechter Fuß in dem klebrigen Matsch steckenblieb. Verzweifelt drehte er sich noch im Fallen um seine Achse, parierte einen abwärts geführten Stich und landete zum zweitenmal innerhalb kurzer Zeit auf dem Rücken. Der Kohoner stieß einen triumphierenden Schrei aus, packte das Schwert mit beiden Händen und schlug mit aller Gewalt zu. Ihre Klingen trafen funkensprühend aufeinander. Skar schrie vor Schmerz auf. Die Wucht des Schlages schien ihm die Arme aus den Gelenken zu prellen. Er wälzte sich herum, hieb ungeschickt nach den Beinen des Angreifers und brachte sich mit einem verzweifelten Satz in Sicherheit, als sich die Schwertklinge des anderen dort in den Boden fraß, wo soeben noch sein Kopf gewesen war. Er krümmte sich, zog die Beine an den Leib und trat mit aller Gewalt ru. Seine Füße trafen den Kohoner an der Brust und ließen ihn meterweit zurücktaumeln.
Aber nicht weit genug.
Erneut hatte Skar das blitzartige Gefühl, daß irgend etwas nicht so war, wie es sein sollte. Er hatte mit aller Kraft zugetreten. Der Tritt hätte dem Kohoner - Brustpanzer oder nicht - den Brustkorb zerschmettern müssen. Aber der Mann war nur ein paar Schritte zurückgetaumelt und stand nun, zwar mit schmerzverzerrtem Gesicht und wankend, immer noch aufrecht.
Skar stemmte sich mühsam hoch, wich zwei, drei Schritte zurück und hob abwehrbereit die Waffe. Sein Atem ging schnell und hektisch. Der Matsch, in den Skar gestürzt war, hatte seine Augen verklebt und seine Kleider schwer werden lassen. In seinen Handgelenken pochte ein wütender Schmerz, und so sehr er sich auch bemühte, er fand auf dem glitschigen Boden keinen festen Stand. Ihm fiel auf, wie still es plötzlich geworden war. Vor Augenblicken hatte die Arena noch unter den begeisterten Schreien der Menge gebebt, aber plötzlich war es so leise, daß er die keuchenden Atemzüge seines Gegners hören konnte. Er sah auf. Die Menge auf den Zuschauerrängen schien in ungläubigem Schweigen erstarrt zu sein. Viele hatten sich von ihren Sitzen erhoben und gafften, starr vor Schrecken und Überraschung, zu ihnen herab.
Er konzentrierte seine Aufmerksamkeit wieder auf den Kohoner. Der Mann hatte die winzige Kampfpause genützt, um sich zu erholen, und kam nun mit kleinen, tänzelnden Schritten näher.
Er bewegt sich zu leicht, dachte Skar. Zu elegant. Er dürfte sich nicht so leicht bewegen. Nicht auf diesem Boden! Sein Blick wanderte an der Gestalt des anderen herab und blieb eine halbe Sekunde an seinen Füßen hängen.