Mit Ausnahme Arsans waren alle bereits fertig und wieder angekleidet, als er zum Feuer zurückkam. Gerrion hatte den Kaftan, den er bisher getragen hatte, gegen einen schwarzen, hauteng anliegenden Anzug aus geschmeidigem Leder getauscht, der ihn um Jahre jünger erscheinen ließ. Die drei Sumpfmänner wirkten jetzt grau und irgendwie durchscheinend, als bestünden sie nicht mehr aus Fleisch und Blut, sondern aus Nebel, der durch einen bizarren Zauber in einer menschenähnlichen Form gehalten wurde. Die Salbe mußte auf ihrer Chamäleonhaut einen besonderen Effekt hervorrufen. Skar empfand ein flüchtiges Gefühl des Bedauerns. Für einen kurzen Moment hätte er vielleicht die Chance gehabt, sie so zu sehen, wie sie wirklich waren. Aber vielleicht wäre das gar nicht gut gewesen. Der Anblick dreier Wesen, die sich glichen wie drei Abdrücke aus ein und derselben Gießform, die nicht nur auf den gleichen Namen hörten, sondern sich auch wie ein Mann bewegten und vermutlich auch die gleichen Gedanken dachten, war unheimlich genug.
Sie warteten geduldig, bis auch Arsan fertig eingesalbt und wieder angezogen war. Arsan verzichtete darauf, sich wie die anderen zu rüsten, sondern schlüpfte in die gleichen Kleider, die er die ganze Zeit getragen hatte: Hemd, Hose und wadenlange, eng anliegende Stiefel. Als einziges zusätzliches Stück nahm er ein schmuckloses Tuch aus seinem Gepäck, das er sich in der Art eines Turbans um Gesicht und Kopf wickelte, bis nur noch ein schmaler Streifen über Augen und Nasenwurzel frei blieb. Seine Pupillen wirkten größer als normale, und Skar war nicht sicher, ob die glitzernden Perlen auf Arsans Stirn Schweiß oder Tropfen der Salbe waren. Er versuchte, ihm aufmunternd zuzulächeln, aber Arsans Blick schien geradewegs durch ihn hindurchzugehen.
»Gehen wir«, sagte Gowenna. »Der Weg ist noch weit.«
Skar wandte sich an den Zwerg, als hätte er Gowennas Worte gar nicht gehört. »Ich kann nur hoffen, daß deine Salbe so gut ist, wie du versprochen hast«, sagte er drohend. »Wenn nicht, schichte ich höchstpersönlich einen Scheiterhaufen für dich auf.«
»Dazu hättest du schwerlich Gelegenheit, wenn mein Zauber nicht wirken würde«, antwortete Tantor grinsend. Er trippelte zum Feuer, streifte den Ärmel hoch und hielt die Linke in die knisternden Flammen. Zwei, drei Sekunden lang stand er reglos da, sah Skar spöttisch an und zog dann die Hand ohne sichtliche Eile wieder zurück. Sein Umhang schwelte, wo ihn das Feuer gestreift hatte, aber seine Haut war unversehrt und rosig wie die eines neugeborenen Kindes.
»Reicht dir das als Beweis?« fragte er. »Allerdings würde ich dir trotzdem raten, nicht direkt durch die Flammen zu marschieren. Die Salbe verliert ihre Wirkung, wenn sie trocknet, und sie trocknet rascher, je größer die Hitze ist, der du sie aussetzt. Sieh dich also vor.«
Skar setzte zu einer wütenden Entgegnung an, aber Gowenna fuhr mit einer ärgerlichen Handbewegung dazwischen.
»Hört auf!« sagte sie scharf. »Combat ist noch weit, und wir müssen bis ins Zentrum der Stadt.«
»Wie weit genau?«
Gowenna überlegte einen Moment. »Vier, vielleicht fünf Meilen.«
»Zu Fuß?« ächzte Beral.
»Natürlich zu Fuß. Der Stollen ist für Pferde nicht passierbar Außerdem wäre die Hitze zu groß.«
»Du meinst«, wiederholte Beral ungläubig, »dieser Stollen führt fünf Meilen unter der Erde bis in die Stadt hinein?«
Gowenna verzog ungeduldig die Lippen. »Wir sind längst in Combat«, sagte sie. »Schon seit gestern abend. Dies alles hier hat einmal zur Stadt gehört, das ganze Gebiet vom Fuß der Berge bis zur anderen Seite weit in die Ebenen von Tuan hinein. Es gibt unzählige Stollen und Katakomben unter der Stadt. Ein ganzes Labyrinth. Wir benutzen es, um unter der Stadtmauer hindurchzukommen. Einen anderen Weg gibt es nicht.«
Skar war von Gowennas Eröffnung nicht überrascht. Er hatte etwas Ähnliches erwartet. Die zerborstenen Felsen, die Trümmer und Krater, die bizarren Gebilde aus geschmolzenem und zu Glas erstarrtem Gestein, an denen sie vorbeigezogen waren, waren nicht natürlich gewachsen, sondern Überreste der Stadt, Ruinen, die geblieben waren, wo der Atem der Götter das ungeschützte Land gestreift hatte, stumme Zeugen, die von der unvorstellbaren Gewalt kündeten, mit der Combat vom Antlitz der Erde getilgt worden war. Er versuchte sich vorzustellen, wie groß Combat vor der Vernichtung gewesen sein mußte, wie viele Menschen hier gelebt hatten und wie mächtig sie gewesen sein mußten, um so etwas zu erschaffen, aber seine Phantasie reichte nicht aus. Und er empfand nicht einmal mehr Erstaunen oder jene Ehrfurcht, die beim ersten Anblick der Stadt von ihm Besitz ergriffen hatte. Sein Vorrat an Staunen schien aufgebraucht, es gab nichts mehr, was ihn noch erschüttern konnte. Die Dinge hatten die Dimensionen, die zu erfassen er noch imstande war, längst überschritten, und er konnte nichts anderes mehr tun, als alles, was jetzt noch kam, einfach hinzunehmen, ohne wirklich darüber nachzudenken.
»Wo beginnt dieser Stollen?« fragte er. »Hier?«
Gowenna erwiderte: »Dicht hinter dem Gebäude. Nicht weit. Aber der Eingang ist verborgen.«
»Dann übernimmst du die Führung«, bestimmte Skar. »Bis wir am Ziel sind, hast du das Kommando.«
»Eine andere Möglichkeit gibt es ja auch kaum«, antwortete Gowenna lakonisch. »Und nun laßt uns gehen.«
»Du hast es verdammt eilig, getötet zu werden«, murmelte Beral. Gowenna ging an ihm vorüber, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen, stemmte das Tor auf und trat mit gesenktem Kopf in den heulenden, glühend heißen Wind hinaus.
Er konnte nicht lange bewußtlos gewesen sein. Als er erwachte, hing er mit ausgestreckten Armen und Beinen zwischen zwei Arenadienern, die ihn die ausgetretenen Stufen zu seinem Quartier hinuntertrugen. Sein Schädel dröhnte, und seine Schultergelenke schmerzten entsetzlich. Er bewegte den Kopf, gab einen halblauten, unartikulierten Laut von sich und lehnte sich einen Moment erschöpft gegen die Wand, als die Männer ihn absetzten. Der Gang begann sich vor seinen Augen zu drehen, und in seinem Mund war plötzlich der bittere Geschmack von Erbrochenem und Niederlage. Er stemmte sich hoch, wankte und schüttelte den Kopf, als einer der Männer ihn stützen wollte. »Es ist... gut«, sagte er mit schwerer Zunge. »Ich kann ... allein gehen.«
Der Mann trat hastig zurück. In seinem Gesicht stand Unsicherheit geschrieben, vielleicht sogar so etwas wie Furcht. Er wechselte einen verstohlenen, schnellen Blick mit seinem Kameraden und zog sich zwei, drei Schritte in Richtung der Treppe zurück.
»Wenn Ihr... sonst keine Wünsche habt, Herr, dann ...«
»Geht ruhig«, murmelte Skar. Der Schmerz in seinen Armen wurde schlimmer. »Ich schaffe die paar Schritte schon allein. Wo ist Del?«
»Euer Kamerad befindet sich schon in seinem Quartier, Herr«, antwortete der Mann rasch. Skar fiel auf, daß er seinem Blick auswich und nervöser war, als es seiner Situation angemessen schien. Skar nickte dankbar, drehte sich um und ging schwankend den abschüssigen Gang hinunter. Die Luft schien durchdringender nach Moder und Fäulnis zu riechen als vorher, und der Boden war unter dem unablässig nachsickerndem Wasser aufgeweicht und klebrig geworden.
Skar lehnte sich erschöpft gegen die Wand, nahm einige tiefe Atemzüge und versuchte, den Schmerz in seinen Schultern zu verdrängen. Diesmal ging es. Seine Arme waren noch immer taub, und in seinen Muskeln lauerte ein böses, wühlendes Ding, bereit, bei der kleinsten Unachtsamkeit über ihn herzufallen, aber er konnte sich wenigstens bewegen, ohne ständig vor Schmerz die Zähne zusammenbeißen zu müssen.
Er stieß sich von der Wand ab und ging gebückt durch den niedrigen Eingang seiner Kammer.
Del lag ausgestreckt auf dem Bett, war aber wach. Ein breiter, blutiger Verband zierte seine Stirn, und der rechte Arm hing in einer Schlinge.