»Einer von uns ist verrückt«, sagte Del ruhig. »Du oder wir. Was redest du da für einen Unsinn von Hinrichten? Wir -«
»Del!« unterbrach ihn Cubic. »Bitte! Wir haben keine Zeit für Spielchen. Die Garde wird in wenigen Augenblicken hier sein, und ich möchte wenigstens wissen, warum ich geköpft werde. War es Geld? Ich weiß, daß ich euch schlecht bezahlt habe, aber ...« Er brach ab, schluckte und fuhr sich mit der Linken über den Mund. »Warum?« sagte er noch einmal, und diesmal klang es fast flehend. »Wenn ich dich richtig verstanden habe«, sagte Skar, »dann ist die Garde zu uns unterwegs, um uns festzunehmen.«
Cubic fuhr auf. »Sie werden euch kaum einen Orden verleihen, weil ihr versucht habt, die ganze Stadt zum Narren zu halten.«
»Haben wir das?« fragte Skar. Er wußte selbst nicht, woher er die Ruhe nahm, so zu reden. Langsam, ganz langsam, begann er zu begreifen. Aber sein Verstand weigerte sich noch, den Gedanken zu akzeptieren. »Du willst sagen«, fuhr er fort, »daß keiner von all denen, die dort draußen auf den Rängen gesessen sind, gemerkt hat, wer unsere Gegner wirklich waren?«
Cubic starrte ihn fassungslos an, aber Skar sprach bereits weiter. »Du willst allen Ernstes behaupten, daß nicht einmal du, der angeblich alle Schliche und Tricks kennt, gemerkt hat, daß wir in Wahrheit gegen zwei Sumpfleute angetreten sind?«
»Sumpf...« Cubic schluckte, rang für einen Moment sichtlich um seine Fassung und gab einen laut von sich, der sowohl ein Krächzen als auch ein völlig verunglücktes Lachen sein konnte. »Sumpf leute?« keuchte er. »Die beiden und Sumpf leute? Du mußt den Verstand verloren haben, Skar, wenn du glaubst, damit durchzukommen. Die beiden waren ebensowenig Sumpfleute wie du oder ich. Wenn es diese Geschichte ist, die du zu deiner Verteidigung vortragen willst, dann stürz dich lieber gleich in dein Schwert.«
»Ich sehe nicht ein, weswegen wir uns verteidigen sollten«, sagte Del. »Wir -«
Auf dem Gang wurden die stampfenden Schritte von einem halben Dutzend Männer laut. Del brach ab, sah verwundert zur Tür und griff automatisch nach seinem TschekaJ, dessen Griff aus dem Bündel mit den wenigen Habseligkeiten, die ihnen geblieben waren, herausragte. Skar warf ihm einen warnenden Blick zu, den Del ignorierte. Del packte das Schwert an Griff und Spitze und wich mit einer raschen Bewegung zur Wand zurück.
Die Schritte machten dicht vor der Tür halt. Metall klirrte, dann betrat ein hochgewachsener, dunkelhaariger Mann in der Uniform eines Hauptmannes der Stadtgarde die Kammer.
Er drängte sich an Cubic vorbei, bedachte Del und die Waffe in dessen Händen mit einem mißbilligenden Blick und wandte sich an Skar.
»Es wäre besser, wenn Ihr Eurem jungen Freund sagen würdet, daß Widerstand sinnlos ist«, sagte er. »Auf dem Gang steht ein Dutzend meiner besten Soldaten, und selbst wenn Ihr sie überwindet, erwarten Euch meine Bogenschützen an der Treppe.«
»Ich wüßte nicht, warum wir sie oder Euch überwinden sollten«, gab Skar mit erzwungener Ruhe zurück. »Ebensowenig, wie ich weiß, was Euer Auftritt zu bedeuten hat, Hauptmann. Ist es neuerdings in Ikne Brauch, Gäste mit der Waffe in der Hand zu empfangen ?«
Der Hauptmann wirkte für einen Moment ernsthaft verwirrt. Skar konnte auf seinem Gesicht deutlich erkennen, daß dies wohl die Reaktion war, auf die er am wenigsten gefaßt gewesen war. Eher hatte er wohl mit Widerstand, vielleicht auch Kampf gerechnet. In einer anderen Situation hätte Skar seinen Mut, trotzdem allein und unbewaffnet hier hereinzukommen, bewundert.
»Ich - bin nicht gekommen, um mit Euch zu diskutieren«, sagte er schließlich. »Ihr werdet mir widerstandslos folgen?« Die Worte klangen wie eine Frage, aber Skar zweifelte nicht daran, daß sie als Befehl gemeint waren.
Er nickte. »Sicher. Vielleicht ist das der einzige Weg, endlich herauszubekommen, was hier eigentlich gespielt wird.«
Er wandte sich um, zog gleich Del sein Tschekal aus dem Kleiderbündel und rammte es mit einer übertrieben heftigen Bewegung in die leere Schwertscheide an seinem Gürtel. Hinter seinem Rücken sog der Hauptmann scharf die Luft ein. Aber der erwartete Protest blieb aus.
Betont langsam drehte er sich wieder um, warf dem Hauptmann ein aufmunterndes Lächeln zu und deutete auf die Tür. »Gehen wir.«
Der Gardist atmete auf. Er trat beiseite und wartete, bis erst Cubic, dann Del und schließlich Skar an ihm vorbeigegangen waren. Aber er folgte ihnen nicht. Skar warf im Hinausgehen einen Blick über die Schulter zurück und bemerkte, wie er sich aufmerksam in der Kammer umzusehen begann: wie ein Mann, der etwas Bestimmtes suchte.
»Was zum Teufel geht hier vor?« murmelte Del verstört. »Sind denn jetzt alle verrückt geworden?«
Skar zuckte die Achseln und verzichtete auf die Antwort, die ihm auf der Zunge lag. Allmählich begann sich alles zu einem logischen Bild zusammenzufügen. Im Grunde war er nicht einmal erstaunt. Auf dem Gang erwartete sie ein Dutzend finster dreinblickender Soldaten. Der Hauptmann hatte nicht übertrieben, als er gesagt hatte, seine besten Männer mitgenommen zu haben - kaum einer der zwölf war wesentlich kleiner als Del, und Skar erkannte auf den ersten Blick, daß sie es hier mit harten, kampferprobten Männern zu tun hatten. Hätten Del und er es in der Enge des Ganges auf einen Kampf mit diesen Männern ankommen lassen, hätten sie verloren.
Einer der Soldaten trat ihnen entgegen und sagte mit einer Mischung aus Herausforderung und vorsichtigem Respekt: »Ihr folgt uns freiwillig?«
Skar zuckte mit den Achseln. »Ich sehe keinen Grund, es nicht zu tun. Wo bringt Ihr uns hin?«
»Zum Kommandanten. Er erwartet Euch in der Halle. Ich ... muß Euch um Eure Waffe bitten.« Der Mann streckte die Hand aus, trat einen halben Schritt vor und verhielt abrupt, als er Skars Blick begegnete. Ein nervöses Zucken lief über sein Gesicht. Die Hand, noch immer in halber Höhe und scheinbar mitten in der Bewegung erstarrt, begann zu zittern und senkte sich.
Zwei, drei Herzschläge lang kreuzten sich ihre Blicke, dann senkte der Gardist betreten den Kopf und wich rasch in die Reihe seiner Kameraden zurück.
»Gut«, sagte er unsicher. »Ich denke, es wird nicht unbedingt notwendig sein, Euch zu entwaffnen.«
»Nein«, sagte Skar ruhig. »Das wird nicht unbedingt notwendig sein. Vielleicht ist es notwendiger, jetzt zu gehen. Wir wollen Euren Kommandanten nicht warten lassen.«
Der Soldat wandte sich um und ging rasch den Gang hinauf. Skar, Del und Cubic folgten ihm, flankiert von einem Dutzend nervöser Soldaten. Sie haben selbst jetzt noch Angst vor uns, dachte Skar. Aber irgendwie erfüllte ihn der Gedanke nicht mit Stolz und Zufriedenheit.
Sie gingen rasch die Treppe hinauf. Der Hauptmann hatte nicht übertrieben - auf jedem Absatz standen Bogenschützen, und ihre Pfeile waren mit fingerlangen, dreifach geschmiedeten Stahlspitzen versehen, die auf kurze Entfernung selbst den steinharten Lederharnisch eines Satai zu durchschlagen vermochten. Skars Beunruhigung wuchs.
Die Soldaten geleiteten sie rasch eine weitere Treppe hinauf in den breiten, von Fackeln und Kohlebecken erhellten Rundgang, der die Arena umgab. Auch hier waren überall Soldaten, Hunderte, wie es schien, die in kleinen Gruppen oder einzeln vor Türen und Treppenaufgängen standen und ihnen neugierig nachstarrten. Ein Ruf wie der unsere, dachte Skar sarkastisch, hat auch gewisse Nachteile. Wer als unbesiegbar gilt, erhält erst gar keine Gelegenheit, diese Tatsache unter Beweis zu stellen.
»Meine Geduld ist bald erschöpft«, murrte Del neben ihm.
»Wenn mich nicht gleich jemand aufklärt, schnappe ich mir einen von diesen Spielzeugsoldaten und prügle die Wahrheit aus ihm heraus.«
Skar bedachte ihn mit einem spöttischen Seitenblick. Ihre Eskorte blieb stehen, und einer der Soldaten deutete stumm in die Halle, in der sie erst vor kurzem darauf gewartet hatten, in die Arena hinauszugehen. Skar und Del traten gehorsam durch die niedrige Tür.