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»Magie«, murmelte Del schließlich. »Es muß Zauberei im Spiel gewesen sein.«

Skar lächelte. »Ich glaube nicht an Zauberei.«

»Ich kannte einmal ein Reh«, antwortete Del, der sich offenbar für seine eigene Idee zu begeistern begann, »das glaubte nicht an Pfeil und Bogen. Es hat hervorragend geschmeckt.«

Skar antwortete nicht. Vielleicht hatte Del mit seiner Vermutung nicht einmal unrecht. Wenn auch in anderer Art, als er annehmen mochte.

Der Regen wurde stärker. Skar bedauerte schon, nur den dünnen Kampfharnisch und den Lederrock angelegt zu haben. Vorhin, in der Arena, war diese Kleidung Schutz genug gewesen, aber hier draußen in der Kälte begann er schmerzhaft zu spüren, wie wenig Widerstand der Harnisch dem Wind und der Feuchtigkeit entgegenbrachte. Sein Blick wanderte an der glitzernden Steinmauer zu seiner Linken empor. Die Wände waren so hoch, daß sie sich über ihnen gegeneinander zu neigen schienen und nur ein schmaler, grau marmorierter Streifen des Himmels sichtbar blieb, und obwohl dort oben noch Dämmerung herrschte, bewegten sie sich hier, am Grund dieser künstlichen Klamm, schon durch wattige Finsternis, in der die Silhouetten ihrer Bewacher zu tiefenlosen schwarzen Schatten zu werden schienen. Irgendwo weit, weit entfernt grollte Donner. »Wonach suchst du?« drang Dels Stimme in seine Gedanken. »Nach einem Engel, der vom Himmel herabsteigt und uns rettet?« Skar lächelte dünn. »Vielleicht«, sagte er. »Aber vielleicht auch nach einem Dämon.«

Del zog die Brauen zusammen und schien einen Moment über den Sinn der Bemerkung nachzudenken. »Du machst dir doch nicht etwa wirklich Sorgen wegen dieses Angebers von Kommandanten, oder?« fragte er nach einer Weile. Er lächelte, aber es wirkte ein wenig gekünstelt, so, als gelte es eher seiner eigenen Beruhigung. »Nicht einmal die Priesterkönige von Ikne würden es wagen, Hand an zwei Satai zu legen.«

»Der Berg der Götter ist weit«, antwortete Skar.

Del schwieg. Diesmal schien seine Ruhe sichtlich erschüttert. Skar sah wieder nach rechts und links. Die Häuser standen hier dichter als zuvor, und von Zeit zu Zeit passierten sie schmale Seitenwege, die auf die Hauptstraße hinausführen mochten. Doch er verwarf den Gedanken an Flucht wieder. Sie hatten keine Waffen, aber selbst, wenn es anders gewesen wäre, hätten sie einen Kampf in der schmalen Gasse nicht gewinnen können. Außerdem hatte er die Worte des Kommandanten nicht vergessen - Ikne war trotz allem eine Festung, und so unmöglich, wie es gegen den Willen ihrer Herren war, hineinzugelangen, so unmöglich war es auch, herauszukommen. Es gab nur zwei Tore, und es hätte einer kleinen Armee bedurft, die Wachen zu überwältigen.

Eine Hand berührte ihn an der Schulter. Skar drehte sich im Gehen herum und sah in das bärtige Gesicht eines Soldaten. »Ihr solltet nicht versuchen, zu fliehen, Herr«, sagte er.

Skar runzelte die Stirn, sah den Mann einen Herzschlag lang durchdringend an und lächelte. »Liest du meine Gedanken?« Der Mann erwiderte das Lächeln, wenn es auch entschieden unsicher und verlegen wirkte. »Das war... nicht schwer, Herr«, sagte er. »Aber es wäre ein Fehler. Vielleicht könntet Ihr uns entkommen, aber Ihr wärt in Ikne nicht sicher. Eure Verhaftung geschah auch zu Eurem Schutz. Das Volk fordert Euren Kopf, und es ist ihm gleich, ob Ihr Satai seid oder nicht.«

Obwohl Skar sich dagegen zu wehren versuchte, glaubte er dem Mann. Irgend etwas in seiner Art zu reden, überzeugte ihn davon, daß er die Wahrheit sprach.

»Ihr erwartet von uns, daß wir uns widerstandslos zum Scheiterhäufen führen lassen?« mischte sich Del ein. »Würdest du das tun, Soldat?«

Der Gardist kam nicht mehr dazu zu antworten. Ein häßliches Zischen überlagerte das plätschernde Geräusch des Regens, und dann war da, wo ein Lidzucken zuvor noch der Kopf des Soldaten gewesen war, nur noch ein blutendes Etwas, aus dem der zitternde Griff einer Wurfaxt ragte.

Skar reagierte, ohne zu denken. Er ließ sich nach hinten fallen, umklammerte die Beine eines Gardisten und riß den Mann mit sich zu Boden. Neben ihm wich Del mit einem verzweifelten Satz einer zweiten Axt aus und schlug gleichzeitig zwei seiner Bewacher nieder.

Die schmale Gasse verwandelte sich in einen Hexenkessel. Wieder zischte eine Axt durch die Luft, tötete einen Soldaten und blieb zitternd in der Schulter eines zweiten stecken.

»Zurück!« schrie Skar. Er sprang auf, schlug eine heranwirbelnde Axt mit dem Unterarm beiseite und wich, einen vor Schreck starren Soldaten mit sich zerrend, zurück. Er stieß den Mann derb in einen schmalen Seitenweg, sprang geduckt in die Gasse zurück und zerrte einen zweiten Soldaten in Sicherheit. Wieder zischte eine Axt heran, flog, sich drehend und einem wirbelnden Silberrad gleich, auf ihn zu und bog im letzten Augenblick wie von einer geheimnisvollen Kraft gelenkt zur Seite, um einen Soldaten zu fällen. Skar sah sich gehetzt um. Sieben oder acht ihrer Bewacher lagen bereits tot oder verwundet am Boden, und der Rest versuchte sich in heller Panik vor einem Feind in Sicherheit zu bringen, den sie nicht sehen konnten, weil er aus dem Dunkel heraus zuschlug.

Sie hatten keine Chance. Die Äxte zischten, mit perfekter Präzision gezielt, weiter aus der Dunkelheit heran und fanden unbarmherzig ihre Opfer. In den Chor aus Angst- und Schreckensschreien mischte sich immer wieder das dumpfe Klatschen der tödlichen Beile, ein Geräusch, das jeder Krieger kannte und fürchtete. Skar zerrte zwei weitere Soldaten in die Sicherheit des Seitenweges, bückte sich, um einem der Toten das Schwert aus dem Gürtel zu ziehen, und rannte hakenschlagend in seine Deckung zurück. Del hatte, wie Skar mit einem blitzschnellen Blick festgestellt hatte, in einer Nische zwischen zwei Häusern Zuflucht gefunden.

Skar lehnte sich keuchend gegen die Wand und rang einen Moment nach Luft. Sein Herz hämmerte, und er fühlte sich erschöpfter, als es hätte sein dürfen.

»Wir müssen ... weg«, sagte er atemlos. »Hier sitzen wir in der Falle.« Hinter ihm erklang wieder das dumpfe Krachen einer aufprallenden Axt, gefolgt von einem schrillen Aufschrei. Dann war Ruhe.

Skar stieß sich von der Wand ab und half einem Soldaten, der auf die Knie gefallen war, beim Aufstehen. Das Gesicht des Mannes war bleich vor Schrecken. Er stand auf, hielt sich einen Moment an Skars Arm fest und griff dann mit zitternden Fingern nach seinem Schwert. »Warum ... helft Ihr uns, Herr?« fragte er verwirrt. Skar deutete mit einem humorlosen Grinsen über die Schulter. »Weil die Männer dort hinten ebensowenig meine Freunde sind wie eure«, antwortete er. »Und jetzt kommt. Wir müssen aus diesem Rattenloch heraus, ehe sie auftauchen.«

»Und Euer Kamerad?«

»Del kann selbst auf sich aufpassen«, sagte Skar kurz. Er riß den Mann am Arm herum, versetzte ihm einen Stoß in den Rücken und stürmte los.

Die Gasse schien kein Ende zu nehmen. Sie war so eng, daß er sich an dem rauhen Stein rechts und links die Schultern aufriß, und es schien mit jedem Schritt noch dunkler zu werden. Sein Blut rauschte ihm in den Ohren, und die kahlen Wände warfen das Trampeln seiner Schritte und das der vier Soldaten vielfach gebrochen zurück. Skar sah sich ein paarmal im Laufen um, jederzeit darauf gefaßt, eine dunkle Gestalt am Ende der Gasse auftauchen zu sehen oder das helle Zischen einer heranwirbelnden Axt zu hören. Aber sie wurden nicht mehr angegriffen. Der Weg endete auf einem rechteckigen, vielleicht dreißig Schritte messenden Innenhof, der an allen vier Seiten von grauen, fensterlosen Wänden eingeschlossen war. Skar blieb mitten im Schritt stehen, sah sich gehetzt um und deutete mit einer Kopfbewegung auf eine verschlossene Tür in der gegenüberliegenden Wand. »Die Tür dort! Schlagt sie ein!« Zwei der Soldaten machten sich sofort daran, Skars Befehl Folge zu leisten. Aber das massive Türblatt hielt selbst ihren vereinten Kräften stand.

»Sinnlos«, sagte der Krieger neben Skar. »Wir kommen hier nicht mehr raus.« Seine Stimme zitterte, wenn auch vor Erschöpfung und nicht mehr vor Furcht.