Skar schluckte die bissige Antwort, die ihm auf der Zunge lag, hinunter und beließ es bei einem stummen Kopfnicken.
»Ich habe Euch mir größer vorgestellt«, fuhr der Zwerg fort. »Ihr seht gar nicht aus wie ein mächtiger Krieger.«
»Was willst du?« erwiderte Skar unwillig. »Bist du zum Verhandeln gekommen, oder möchtest du mich nur beleidigen?«
Der Zwerg lachte leise. Seine Stimme klang im Verhältnis zu seiner Größe ungewöhnlich voll und tief. »Es gibt nichts zu verhandeln«, sagte er bestimmt. »Es bleibt nur die Frage, ob du uns freiwillig folgst oder nicht.«
»Und wohin soll ich dir folgen?«
»Es gibt jemanden, der dich zu sprechen wünscht«, antwortete der Zwerg. »Du kennst ihn.«
Skar nickte. »Vela.«
»Du kannst dich wehren«, fuhr der Zwerg fort, »und wir bringen dich mit Gewalt weg. Aber du kannst auch freiwillig mitkommen. Das Ergebnis bleibt sich in jedem Fall gleich.«
»Für dich nicht«, sagte Skar ruhig.
»Du würdest Hand an einen Zwerg legen?« ächzte der kleinwüchsige Mann.
Skar vermochte nicht zu sagen, ob seine Worte spöttisch oder ernst gemeint waren.
»Ich vergreife mich mit Vorliebe an Zwergen«, antwortete er im gleichen Tonfall. »Deinen Begleitern scheint es ja auch nichts auszumachen, wehrlose Männer abzuschlachten. Warum also sollte ich Rücksicht auf dich nehmen? Nur weil du kleiner bist als ich?« Der Zwerg machte eine wegwerfende Handbewegung. »Soldaten«, sagte er abfällig. »Wozu sind sie gut, wenn nicht zum Sterben? Du kommst mit?«
Skar überlegte fieberhaft. Das Leben der vier Männer lag allein in seiner Hand, aber er hatte praktisch keine Chance mehr, sie zu retten. Der Zwerg hatte seine Lage genau richtig beschrieben. Er konnte sich wehren und ein paar von ihnen umbringen, aber das Ergebnis blieb sich gleich.
»Gib mir dein Wort, daß du die Männer am Leben läßt, und ich komme mit«, sagte er.
Wieder lachte der Zwerg, und diesmal war sich Skar sicher, daß er sich den boshaften Unterton in seiner Stimme nicht nur einbildete. »Du kannst mein Wort so oft haben, wie du willst«, sagte er. »Allerdings hast du keine Garantie, daß ich es auch halte.«
Skar nickte betrübt. »Das stimmt«, meinte er. Dann ließ er sein Schwert fallen, war mit einem Satz bei dem Zwerg und riß ihn wie ein Spielzeug vom Boden hoch. Sein Arm schlang sich um den dürren Hals des Gnoms, verdrehte ihn, daß er die Knochen knacken hörte, und lockerte den Griff um eine Winzigkeit, gerade weit genug, ihn atmen zu lassen und den Schmerz dicht an der Grenze des Erträglichen zu halten.
»Du bist zu vertrauensselig, Winzling«, sagte er freundlich. »Ich werde dich begleiten. Aber erst, wenn diese vier Männer in Sicherheit sind.«
Der Zwerg strampelte hilflos mit den Beinen und versuchte, Skar mit seinen dürren Krallenfingern die Augen auszukratzen. Skar verstärkte den Druck auf sein Genick. Der Zwerg keuchte, und der dürre Körper erschlaffte.
»Das wirst du noch bereuen«, würgte er.
Skar zuckte gleichmütig die Achseln. »Mag sein. Aber darüber unterhalten wir uns, wenn diese Männer weg sind, einverstanden? Du wirst deinen Leuten sagen, daß sie die Gasse räumen. Und keine Tricks! So schnell, daß ich dir nicht noch den Hals umdrehen könnte, können sie mich gar nicht umbringen.«
Der Zwerg schwieg eine Weile. »Gut«, sagte er dann. »Im Moment bist du in der besseren Position, Satai.« Er hob, langsam und äußerst vorsichtig, um Skar nicht zu reizen, die Linke und gab den Männern in der Gasse einen Wink.
»Laßt sie laufen!« befahl er mit erhobener Stimme. »Der Satai wird uns folgen. Die Soldaten sind unwichtig. Zieht euch zurück.« Skar konnte nicht erkennen, was geschah, aber aus der Dunkelheit vor ihnen drangen scharrende Geräusche und Schritte, die sich - langsamer, als sie gekommen waren - entfernten.
»Zufrieden ?«
Skar schüttelte den Kopf. »Wir werden zuerst gehen«, sagte er. »Die Soldaten folgen uns. Wenn deine Leute irgendwo auf uns lauern, stirbst du.«
»Jaja«, knurrte der Zwerg. »Ist ja schon gut. Ich hab's begriffen.« Skar wartete, bis sich die Männer vollends aus der Gasse zurückgezogen hatten, ehe er langsam, den Körper des Zwerges wie einen lebenden Schutzschild vor sich haltend, losging. Die vier Soldaten folgten ihm unmittelbar. Keiner der Männer sprach, aber ihre abgehackten Bewegungen und die nervösen Blicke, mit denen sie sich umsahen, sprachen ihre eigene Sprache.
»Du wirst es noch bereuen, Satai«, grollte der Zwerg. »Niemand behandelt Tantor ungestraft so wie du.«
»Tantor? Ist das dein Name?«
Der Zwerg versuchte zu nicken. »Das ist er.«
Skar grinste. »Macht sich bestimmt gut auf einer Grabplatte«, sagte er. »Du solltest zu allen Göttern beten, die du kennst, daß sich deine Kameraden an unsere Abmachung halten.«
Tantor murmelte etwas, das Skar nicht verstand, zerrte einen Moment vergeblich an seinem Arm und strampelte wieder mit den Beinen.
Die Bewegung war zu schnell, als daß Skar noch etwas dagegen hätte tun können. Tantors Hand fuhr unter den Halsausschnitt seines Mantels und kam mit einem feuchtglitzernden weißen Pulver wieder zum Vorschein.
Skar schloß schmerzgepeinigt die Augen, als das weiße Pulver seine Haut berührte. Ein Licht blitzte auf, schien zu flackern, erlosch und wurde von einem kalten, bläulichen Leuchten abgelöst. Hinter ihm schrien die vier Soldaten gequält auf, aber ihre Stimmen wurden von einem dumpfen, brausenden Geräusch verschluckt, das wie eine unsichtbare Sturmböe über die schmale Gasse hereinbrach. Skar taumelte zurück, ließ den Zwerg fallen und brüllte vor Schmerz, als sein nackter Rücken die Wand berührte. Im ersten Moment hatte er das Gefühl, sich verbrüht zu haben. Die Wand schien zu glühen. Aber dann sah er das kalte, blaue Licht, die Schicht glitzernder Eiskristalle, die sich über Boden und Wände ausbreiteten, die Körper der vier Soldaten mit einem schimmernden Panzer überzogen, sie in groteske, mitten in der Bewegung erstarrende Skulpturen verwandelten, und er begriff, daß es Kälte war, die wie mit tausend winzigen glühenden Messern in seinen Rücken biß, Kälte, die gegen jede Logik und mit grausamer Gewalt plötzlich da war und Licht und Wärme und jedes andere Gefühl auslöschte. Er wollte schreien, aber es ging nicht. Seine Kehle war erstarrt. Sein Körper gefror. Er sah, wie sich das Gesicht des Soldaten neben ihm in eine glitzernde Grimasse verwandelte, als hätte er ein bizarres Visier über seine Züge geschoben, wie seine Augen gelierten, wie die Haut unter dem Druck des gefrierenden Blutes platzte, wie der Körper, erstarrt zu einem schimmernden Eisblock, nach vorne und zur Seite sank, einen Moment in einer unmöglichen Schräglage verharrte und dann mit einem hellen, splitternden Laut auf dem erstarrten Boden aufschlug, zerbrach. Zerbrach wie eine riesige gläserne Skulptur und - Skar dachte den Gedanken nicht mehr zu Ende. Sein Körper erstarrte zu Eis und Stein und Schmerz.
Schon der Abstieg war eine Qual gewesen. Skar hatte erwartet, daß es unter der Erde kühler sein würde, aber das stimmte nicht. Der Schacht, der senkrecht und wie ein gigantisches, von einer Götterfaust geschlagenes Loch tief, tief in die Erde hineingeführt hatte, hatte sie mit einer Welle stickiger, kochender Luft empfangen. Es war eine Hitze, die sich wie ein erstickender, schmieriger Film über ihre Gesichter, über ihre Münder und Nasen und Lungen gelegt, jeden Atemzug in breiige Hitze und jeden Schritt in ein mühsames Vorwärtskämpfen verwandelt hatte.
Er wußte nicht mehr, wie lange es her war. Stunden, sicher. Sie waren gelaufen, gerannt trotz der übermenschlichen Anstrengung, die jeder einzelne Schritt bedeutet hatte, durch Gänge, Stollen, über Rampen und Treppen, durch hohe, von brütender Hitze erfüllte Hallen. Sie waren über zerborstene Steine geklettert, hatten sich durch Tunnel gezwängt, deren Decken und Wände von ungeheuren Gewalten eingedrückt worden waren, hatten sich die Haut an glühendem, knisterndem Stein verbrannt und waren vor brennenden Sturmböen geflohen, blind, ohne zu wissen, wohin sie liefen oder woher sie kamen. Es war ein Reich der Vernichtung, durch das sie sich bewegten, Katakomben, in denen ein chthonischer Gott des Chaos herrschte, zertrümmerte Gänge und geborstene Treppenschächte, Säulenhallen, höher als die höchsten Türme Iknes, von Urgewalten zermalmt, Flure, von den Krämpfen der Erde, die sich unter den Hammerschlägen der Götter in Agonie gewunden hatte, verdreht, Hallen, an deren Wänden schrecklich, verbrannte Dinge hingen, ein steinerner Himmel, von dem selbst jetzt noch Tod und Hitze regneten, Brücken, die sich in aberwitzigen Bögen über bodenlosen Abgründen oder brennenden Feuerseen spannten, eine Welt tief unter der Erde, in die noch nie ein Sonnenstrahl gedrungen war und die doch von flackerndem, tödlichem Licht erfüllt war. Skar hatte schon nach wenigen Augenblicken die Orientierung verloren, aber er war einfach weiter gerannt, den Blick starr auf den Rücken Gowennas und ihrer drei Begleiter gerichtet, die ihren Weg mit traumwandlerischer Sicherheit zu finden schienen. Es war heißer geworden, je weiter sie sich der Stadt näherten, und für eine Weile liefen sie unter einer Decke entlang, deren Stein wie ein flammender Himmel dunkelrot glühte. Irgendwann hatte die Hitze nachgelassen, aber Skar hatte es kaum mehr bemerkt. Und irgendwann war die Zahl der Stufen, die sie emporstiegen, größer geworden als die Anzahl derjenigen, die sie hinuntergingen. Der Boden unter ihren Füßen vibrierte, und das Zischen und Prasseln der Flammen wurde allmählich von einem mächtigen dumpfen Grollen überlagert. Es wurde heller und heller, als liefen sie geradewegs in die Sonne hinein.