Er rannte weiter, taumelte über einen Boden aus Magma, hinein in den Leib eines glühenden Feuerdämons, stürzte wieder und sprang noch einmal auf, stützte sich mit Händen, die blutige Abdrücke auf dem Boden hinterließen, ab. Er wollte schreien, aber die Hitze verwandelte die Laute in Flammen, die seine Kehle versengten. Er hätte längst tot sein müssen, aber er lief weiter, floh vor einem Himmel, aus dem unerträgliche weiße Glut auf ihn herabsengte, taumelte, stieß gegen ein Hindernis und wankte weiter. Trotz seiner geschlossenen Augen konnte er sehen, dunkle, brennende Umrisse in einem Meer gleißender Helligkeit. Er nahm die Hände herunter, wandte sich in Richtung der Schatten und stolperte weiter, nur weiter, immer weiter. Irgendwann ließ die Hitze nach, verbrannte nur mehr seinen Rücken. Er wankte weiter, mobilisierte Kraftreserven, von denen er selbst nicht gewußt hatte, daß er sie besaß, und ließ sich mit einem krächzenden Schrei in den rettenden Schatten fallen.
Minutenlang lag er reglos da, die Hände über den Augen zu Fäusten verkrampft, die heiße Luft durch verbrannte, aufgesprungene, blutende Lippen gierig einsaugend, nicht mehr länger Mensch, sondern nur noch ein Bündel zuckenden Schmerzes, ein verbranntes Etwas, in dem wie durch ein Wunder noch Leben war. Es dauerte lange, bis er wieder fähig war, zu denken, etwas anderes zu fühlen als Qual und Schmerzen. Der Wind, der über sein Gesicht strich, war noch immer heiß, brütend heiß, aber er kam ihm trotzdem wie ein köstlicher kühler Hauch vor. Langsam nahm er die Hände herunter, öffnete zögernd, beinahe ängstlich, die Augen und sah sich um. Obwohl er im Schatten lag, schien die Welt um ihn herum nur aus blendendem Weiß zu bestehen.
Er rang mühsam nach Atem, stemmte sich in eine halb sitzende, halb liegende Position hoch und sah an sich hinab. Seine Kleider waren versengt und schwarz, die Haut dort, wo sie nicht von Stoff oder Leder geschützt gewesen war, verbrannt, an manchen Stellen blutig und aufgeplatzt, so daß das rohe Fleisch zutage trat. Er versuchte vorsichtig, sich zu bewegen. Es schmerzte, wenn auch längst nicht so schlimm, wie er befürchtet hatte.
Er stand auf, blinzelte aus tränenden Augen in die gleißende Helligkeit hinter sich und hielt nach den anderen Ausschau. Das Gebäude, aus dem sie herausgekommen waren, lag am gegenüberliegenden Rand eines weiten, halbmondförmigen Platzes, war verborgen hinter einem brodelnden Wasserfall aus Licht, der geradewegs aus dem Boden zu wachsen schien und irgendwo über ihm mit der grellweißen Glut des Himmels verschmolz. Die weißen Marmorplatten des Platzes waren vielerorts gesprungen, und da und dort entdeckte Skar einen Fleck rotglühender Hitze, als wandere die Feuerwolke.
Überhaupt brannte längst nicht die ganze Stadt. Die Flammen, die an unzähligen Stellen emporschlugen - hier nur kleine, mühsam flackernde Brände, dort gewaltige, brüllende Feuersäulen -, vereinigten sich über den Dächern Combats zu einem ungeheuren wabernden Pilz aus Glut und mochten von außen den Eindruck erzeugen, als wäre die ganze Stadt ein einziger kochender Krater. Wäre es aber wirklich so gewesen, hätte keiner von ihnen auch nur die erste Minute überlebt. Das Gebäude, in dessen Schatten Skar lag, schien fast unversehrt, zumindest die unteren drei Etagen. Der Marmor war glatt und weiß, als wäre der Bau erst vor wenigen Tagen errichtet worden, und an den Brüstungen der Fenster konnte Skar sogar noch Reste der Stuckarbeiten erkennen, mit denen es verziert gewesen war. Weiter oben aber wirkte der Stein zerfressen, pockennarbig, als beginne er unter einer gewaltigen inneren Spannung zu zerbröckeln. Dunkle, gerissene Adern durchzogen den weißen Stein, wuchsen zu einem Spinnennetz haarfeiner Verästelungen und Risse zusammen, bildeten große, schwärzliche Nester, aus deren Zentren Rauch und dünne, gelbe Flammenlinien wuchsen. Es war der Stein selbst, der brannte, ein Feuer, das von einem unbegreiflichen Zauber entfacht worden war und ihn langsam, in einem Prozeß, der Jahrhunderte, vielleicht Jahrtausende andauern mochte, verzehrte. Skar glaubte für einen winzigen Moment zu ahnen, welche Gewalten hier aufeinandertrafen, welche ungeheure Macht die Herren Combats gegen den Zorn der Götter aufgeboten hatten.
Und er war hier, um den Schlüssel zu dieser Macht zu holen ... Er riß sich gewaltsam von dem Anblick los, beschattete die Augen mit der Hand und sah sich weiter um. Es war, wie Gowenna gesagt hatte - der Tempel war auch von hier aus deutlich sichtbar, eine gewaltige Kuppel, die die Dächer der Häuser weit überragte und irgendwo hoch über ihm in den brennenden Himmel eintauchte. Das Licht brach sich in den unzähligen Facetten des Kristallgebildes, bildete tanzende Feuerlinien und grelle, unablässig wechselnde Formen und Umrisse, Kaskaden und lautlose Wirbelstürme aus Helligkeit, in denen die Stadt zu ertrinken schien.
Skar zuckte zusammen, als ein kochender Luftstrom seine Beine streifte. Er fuhr herum und erkannte mit plötzlichem Schrecken, daß die Feuerwand, der er mit Mühe entkommen war, nun auf ihn zuwanderte, als wolle sie sich das entgangene Opfer noch im nachhinein holen. Er wich zwei, drei Schritte zurück, stieß mit dem Rücken gegen die Wand und wandte sich eilig zur Flucht. Er war keineswegs in Sicherheit. Die Stärke, die er zu spüren glaubte, trog. Sein Körper hatte einen Grad der Erschöpfung erreicht, mit dem er eine zweite Tortur wie die gerade überstandene nicht mehr verkraften konnte.
Die Straße vor ihm war von Flammen übersät; kleine, wie geschäftige Insekten hin und her eilende Feuernester, dünne Linien greller Weißglut, wie das Netz einer Feuerspinne quer über den zerborstenen Marmor gespannt, aber auch gewaltige, brüllende Säulen unerträglicher Lohe, die wie feurige Geysire aus dem Boden brachen. Er lief im Zickzack, sprang, den Kopf schützend zwischen den Armen verborgen, durch dünne Feuervorhänge und duckte sich unter den Glutstrahlen, die aus den geschwärzten Fensteröffnungen eines brennenden Hauses auf die Straße fauchten. Der Boden unter seinen Füßen zitterte, und mehr als einmal konnte Skar im letzten Moment zurückspringen, wenn ihm dort, wo ein scheinbar sicherer Weg war, siedendheiße Luft entgegenschlug.
Er sah sich immer wieder im Laufen um. Die Feuerwand hatte den Platz überquert und den Anfang der Straße erreicht, in die er sich geflüchtet hatte, war jedoch dort zur Ruhe gekommen. Aber so, als hätte der glühende Geist dieser Stadt alles in seiner Macht Stehende aufgeboten, um ihn zu verfolgen, tanzten nun kleine, flammende Wirbel über die Straße, flinke Wesen aus Hitze und Licht, wie winzge Windhosen in beständiger Bewegung, hierhin und dorthin eilend und nur manchmal und fast widerwillig den Boden berührend. Obwohl ihm der Gedanke selbst absurd erschien, konnte er sich des Eindrucks nicht erwehren, daß diese Flammenwesen wirklich lebten, keine Launen des Sturmes und der Hitze waren, sondern denkende, bewußt handelnde Wesen, feurige Wächter, die aufgestanden waren, ihr Reich zu beschützen.
Er lief schneller, überquerte einen weiteren, von Feuer und Glut übersäten Platz und bog in eine breite, von Marmorsäulen gesäumte Allee ein. An ihrem Ende, unerträglich schön und unerträglich schrecklich zugleich, lag der Tempel.
Eine brüllende Feuerwolke explodierte aus einem der Häuser heraus und hüllte ihn ein, fauchte weiter, zu schnell, um ihn wirklich zu verbrennen, aber wütend genug, um ihn von den Füßen zu reißen und mit grausamer Wucht zu Boden zu schleudern. Er fiel, rollte meterweit mit hilflos rudernden Armen über den Stein und schnappte verzweifelt nach Luft. Zwischen den Säulen zu seiner Linken tauchte ein Feuerwirbel auf, klein, flackernd und leichtfüßig, hüpfte auf die Straße hinaus und sprang mit einem erschrockenen Satz wieder zurück, kehrte um. Ein zweiter gesellte sich dazu, dann ein dritter, vierter. Skar stemmte sich hoch, griff mit einer ebenso sinnlosen wie verzweifelten Bewegung nach seinem Schwert und rannte weiter auf den Tempel zu. Die Luft vor ihm begann zu flimmern. Der Tempel schien plötzlich hinter einer senkrechten Wasserwand zu liegen, verzerrte, verbog sich auf gräßliche Weise, schleuderte Licht und Hitze auf ihn herab. Ein hoher, singender Ton mischte sich in das Brüllen der Flammen, ein Geräusch, als wisperten Tausende heller böser Kinderstimmen durcheinander. Er rannte schneller, versuchte den Eingang des Tempels zu entdecken und schloß gepeinigt die Augen. Es war unmöglich, den Tempel direkt anzusehen; die gewaltige Kristallkuppel reflektierte das Licht, verstärkte es zu dünnen, brennenden Pfeilen, die sich wie mit glühenden Spitzen in seine Augen gruben. Darunter war nur ein schmaler schwarzer Streifen aus behauenem Granit, nicht mehr als ein fadendünner Schatten unter der lohenden Kuppel. Er taumelte blind weiter, übersprang eine der Steinsäulen, die wie ein bizarrer, geborstener Marmorbaum quer über der Straße lag, tauchte unter Flammenbögen und zwischen Feuergeysiren hindurch und wankte die breite Treppe zum Eingang des Tempels hinauf. Erst jetzt, als er dem Gebäude ganz nahe war, erkannte er, wie gewaltig die Kuppel wirklich war. Ihr Durchmesser mochte mehr als eine halbe Meile betragen, und ihre schimmernden Flanken schwangen sich weit in den Himmel. Er quälte sich die Stufen hinauf, Stufen, die zu hoch und zu breit für menschliche Füße zu sein schienen, wankte auf den mächtigen schwarzen Bogen des Eingangs zu, strauchelte, raffte noch einmal alle Kräfte zusammen und taumelte weiter, blind, halb am Rande der Besinnungslosigkeit und ohne überhaupt noch zu wissen, weshalb er lief, nur noch beseelt von dem Gedanken, weiterzugehen, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Eine Gestalt tauchte in den brodelnden Schatten vor seinen Augen auf, grau und seltsam verzerrt und mit flackerndem Gesicht, streckte ihm die Hände entgegen. Er taumelte an ihr vorüber, brach in die Knie und rang verzweifelt nach Atem. Die Luft im Inneren des Tempels war kalt, so kalt, daß sie in seiner verbrannten Kehle schmerzte, aber er sog sie gierig und in tiefen, hektischen Zügen ein, preßte sein geschundenes Gesicht gegen den Boden und genoß die kühle Glätte des Steines.