»Schön, daß du auch noch kommst«, sagte eine Stimme in seiner Nähe. Er vermochte nicht genau zu sagen, woher sie kam. Die Welt begann sich um ihn herum zu drehen, einen irrsinnigen, wilden Tanz aufzuführen, so daß er für einen Moment nicht mehr wußte, wo oben, unten, rechts und links war.
»Wir hatten die Hoffnung schon beinahe aufgegeben.«
Skar hob mühsam den Kopf und blickte zu Gowenna auf. Ihr Gesicht war verbrannt wie das seine, aber in ihrer Stimme schwang nichts als böser Spott, allenfalls noch eine Spur unverhohlener Befriedigung, daß sie ihn hier verletzt und am Ende seiner Kräfte am Boden liegen sah.
Einer der Sumpfmänner ging neben ihm in die Hocke, stützte seinen Kopf mit der Hand und hielt eine Schale mit eiskaltem Wasser an seine Lippen. Skar trank mit schnellen, gierigen Schlucken, hustete, brach einen Teil des Wassers wieder aus und trank weiter, bis die Schale geleert war.
»Danke«, murmelte er.
»Ich hatte dir gesagt, du sollst hinter mir bleiben«, fuhr Gowenna vorwurfsvoll fort.
»Das habe ich ...«
»Nicht getan«, fiel sie ihm ins Wort. »Du bist geradewegs in die Flammenwand hineingelaufen, nach links, statt nach rechts, wie es richtig gewesen wäre. Es ist ein Wunder, daß du noch lebst. Willst du noch mehr Wasser?«
Skar nickte, überrascht von dieser plötzlichen Fürsorge. Er setzte sich auf, fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen, um die Tränen fortzuwischen, und sah sich blinzelnd um. Er befand sich in einem hohen, rechteckigen Raum, dessen Wände aus dem gleichen schwarzen Stein wie das Fundament der Kuppel bestanden. Die Mauern waren schmucklos und kahl, und es gab zahlreiche Türen, die tiefer in das Gebäude hineinführten. Die Luft war trotz des weit offenstehenden Eingangs kühl, als gäbe es die Hitze draußen nicht. El-tra brachte ihm eine zweite Schale mit Wasser. Er leerte sie langsamer und bedächtiger als die erste, drehte das Gefäß einen Moment unschlüssig in den Händen und reichte es mit einem dankbaren Lächeln an den Sumpfmann zurück.
»Woher kommt das?«
»Das Wasser?« Gowenna deutete mit einer Kopfbewegung auf eine der Türen. »Es gibt einen Brunnen, dort im Nebenraum, und er funktioniert noch. Wir werden unsere Wasserschläuche dort auffüllen, ehe wir uns auf den Rückweg machen. Fühlst du dich kräftig genug, weiterzugehen?«
»Jetzt?« Skar machte instinktiv eine Bewegung, als wolle er aufstehen, führte sie aber nicht zu Ende. »Warten wir nicht auf die anderen?«
»Du warst der letzte, Skar. El-tras Brüder, Gerrion und Arsan sind bereits auf dem Wege zum Treppenschacht. Wir sind zurückgeblieben, um auf dich zu warten.«
»Und ... Nol?« fragte Skar stockend, obwohl er die Antwort bereits kannte.
Gowenna schüttelte fast unmerklich den Kopf. »Er verbrannte vor unseren Augen. Wir... konnten nichts für ihn tun.« Sie atmete hörbar ein, und für einen winzigen Moment glaubte Skar beinahe so etwas wie Trauer in ihren Augen zu sehen.
»Komm jetzt«, fuhr sie fort. »Wir haben keine Zeit zum Ausruhen.«
Skar wollte noch mehr Fragen stellen, aber sie wandte sich rasch um und ging mit schnellen Schritten auf eine der Türen zu, so daß er sich beeilen mußte, sie einzuholen. Seine Haut begann zu brennen, als er sich bewegte. Der Luftzug, der ihnen aus dem Inneren des Tempels entgegenschlug, schien mit einem Male nicht mehr kühl und wohltuend, sondern eisig zu sein, und als er an sich herabsah, bemerkte er, daß sich von seiner Haut große Fetzen zu lösen begannen. Die Salbe. Plötzlich erinnerte er sich wieder Tantors Worte: ›Sie verliert ihre Wirkung um so schneller, je größerer Hitze du sie aussetzte‹. Und er hatte in Flammen gebadet. Auf dem Rückweg würde ihn Tantors Zauber nicht mehr schützen.
Sie betraten einen niedrigen, von sanfter grauer Helligkeit erfüllten Gang. Das Licht war von der gleichen Art wie das, welches das Gebäude draußen in den verwüsteten Bezirken Combats erhellt hatte; unwirklich, mild und doch hell genug, jede noch so winzige Kleinigkeit zu erkennen.
Er beschleunigte seine Schritte, um neben Gowenna zu kommen, und deutete fragend nach vorne. »Wohin führt dieser Gang?«
»Dorthin, wo alle Gänge in diesem Tempel enden«, antwortete Gowenna unwillig. »Es gibt eine Treppe in seiner Mitte. Sie führt nach oben.«
»Und dort befindet sich der Stein?«
Gowennas Gesicht zuckte. Skar konnte nicht erkennen, ob es ein Ausdruck des Unmuts oder einfach Schmerz war. Ihre Haut war versengt und verbrannt wie seine eigene. Große, pockennarbige Brandblasen verunzierten ihre Wangen. Die Lippen waren aufgesprungen und bedeckt von verkrustetem Blut, und ihr Haar war von verbrannten Strähnen durchzogen.
»Ich weiß es nicht«, antwortete sie schließlich. »Ich kenne den Plan dieses Gebäudes nicht, aber der Legende nach soll die Altarkammer am oberen Ende der Treppe liegen, direkt unter dem Zenit der Kuppel.«
»Und wenn es nicht so ist?«
»Suchen wir weiter«, antwortete Gowenna so schnell, als hätte sie auf die Frage gewartet. »Wir haben noch Zeit. Die Hitze kann uns hier drinnen nichts anhaben.«
Anstelle einer direkten Antwort hob Skar die Hand, griff nach ihrer Wange und riß ein winziges Stück der dünnen Salbenhaut herunter. Gowenna zuckte schmerzhaft zusammen. Ein einzelner Blutstropfen lief über ihr Gesicht. Skar verrieb den pergamenttrockenen Fetzen zwischen Daumen und Zeigefinger. Es knisterte, als hätte er einen von der Sonne ausgedörrten Insektenflügel in Händen.