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Skar schlug seine Hand beiseite, aber der Kohoner griff sofort wieder zu. In seinen Fingern lag eine erstaunliche Kraft.

»Misch dich nicht ein!« zischte Skar.

»Hör auf!« sagte Arsan noch einmal. »Ich bitte dich, hör auf. Du hast sie besiegt. Du mußt sie nicht auch noch demütigen.«

Für einen winzigen Moment kreuzten sich ihre Blicke, und Skar las in den Augen des Kohoners eine Stärke, die er ihm nicht zugetraut hätte. Eine Stärke, die vielleicht aus Furcht geboren, aber trotzdem da war.

Sekundenlang blieb er reglos stehen, dann streifte er Arsans Hand endgültig ab. »Gut«, knurrte er. »Vielleicht hast du recht. Aber ich mußte die Sache klären. Es ist auch dein Leben, das auf dem Spiel steht.«

»Leben ...« Arsan gab einen seltsamen, schwer zu deutenden Laut von sich. »Wir sind doch längst tot, Skar.«

»Du vielleicht«, konterte Skar barsch. Sein Blick glitt an Arsan vorbei und suchte die beiden Sumpfmänner. Sie hatten nicht in den Kampf eingegriffen, sich noch nicht einmal gerührt. Skar war sich nicht sicher, ob sie überhaupt Notiz davon genommen hatten. Er verstand nicht, warum.

»Wir sollten uns auf den Kampf vorbereiten«, sagte Arsan nach einer Weile, »statt uns gegenseitig an die Kehlen zu fahren.« Sein Blick war wieder klar, und seine Stimme hatte den gleichen leicht resignierenden und doch zuversichtlichen Tonfall wie immer. Er hatte die Beherrschung verloren, aber nur für einen Moment. »Welchen Kampf?« fragte Skar. »Es wird keinen Kampf geben.« Arsan legte den Kopf auf die Seite. »Was heißt das? Willst du aufgeben?«

»Fliehen«, korrigierte Skar. »Wir fliehen, wenigstens für den Moment. Sie brauchen zwei, vielleicht drei Stunden, uni hier zu sein. Das gibt uns Zeit genug, zu verschwinden und sie in weitem Bogen zu umgehen.«

»Sie haben Pferde.«

»Eben.« Skar nickte aufmunternd. »Und vermutlich Bögen und Armbrüste und jede Menge anderer unliebsamer Dinge. Aber auch Decken und Feuerholz und Essen, alles, was wir brauchen.«

»Du willst... sie überfallen?« fragte Arsan stockend.

Skar nickte. »Wir haben keine andere Wahl. Sie werden eine Weile hier herumstreifen und uns suchen. Zeit genug, um ihnen irgendwo einen Hinterhalt zu legen. Sie sind in der Überzahl und besser bewaffnet und vermutlich ausgeruht, aber wir überleben zu Fuß und ohne Ausrüstung nicht einmal den ersten Tag in den Bergen. Also komm. Wir haben schon viel zuviel Zeit verloren.« Er bückte sich nach einem der Wasserschläuche, band ihn sich um die Hüfte und forderte Arsan mit einer befehlenden Geste auf, es ihm gleichzutun. Hinter ihm kam Gowenna mit einem stöhnenden Laut auf die Füße. Er sah nicht einmal hin.

»Du willst sie wirklich angreifen?« fragte Arsan noch einmal. »Hast du eine bessere Idee?« antwortete Skar. »Du kannst natürlich auch hierbleiben und dich abschlachten lassen. Ich will dich nicht zwingen, mit mir zu kommen.« Er richtete sich auf, zog sein Schwert aus der Scheide und ließ die Klinge spielerisch ein paarmal vor Arsans Gesicht durch die Luft pfeifen.

»Ihr habt mich doch mitgenommen, damit ich für euch kämpfe, oder?«

Es war gleichzeitig heiß und kalt, aber wie alles in diesem Teil der Welt war es nicht bloß einfach heiß und kalt, sondern unerträglich heiß und unerträglich kalt. Er hatte geglaubt, zu wissen, was sie erwartete. Aber er hatte vergessen, wie ungeheuerlich der Feuersturm Combats war, wie schneidend der Wind, der, angesogen von der Kraft der brennenden Stadt, in ihre Gesichter fuhr und die Eiseskälte der Berge mitführte, wie brennend die Hitze, die selbst gegen die Macht des Sturmes hinter ihnen herkroch und sie versengte, den Boden unter ihren Füßen zum Glühen brachte und die Luft in brennenden Sirup verwandelte, der jeden Atemzug zu einer unerträglichen Qual werden ließ. Er hatte es längst aufgegeben, die Entfernung abzuschätzen, die sie noch bis zum Gebirge zurückzulegen hatten. Sie waren gelaufen, gerannt, stunden-, tagelang, wie es ihm vorkam, aber die schneegekrönte Mauer im Westen schien noch um keinen Fußbreit näher gekommen zu sein. Er hatte kaum mehr die Kraft, sich auf den Beinen zu halten und weiterzuschleppen. Woher Gowenna und Arsan die Energie nahmen, noch einen Fuß vor den anderen zu setzen und weiterzumarschieren, war ihm ein Rätsel. Selbst die beiden Sumpfmänner zeigten bereits deutliche Anzeichen von Erschöpfung. Ihre Gestalten schienen im schwächer werdenden Licht des Abends zu flackern; die Nebel unter ihren Kapuzen wogten stärker. Und es war Schmerz in diesen Wogen.

Skar ertappte seine Hand dabei, wie sie gleich einem kleinen, selbständigen Wesen, das seinen Befehlen nicht mehr länger gehorchte, zu dem halb gefüllten Wasserschlauch an seinem Gürtel kroch. Aber er gestattete sich nicht zu trinken. Weder sich noch den anderen. Er hatte das Kommando endgültig übernommen, als sie das Gebäude verlassen hatten, einfach dadurch, daß er als erster gegangen war. Gowenna hatte nicht noch einmal versucht, sich zu widersetzen. Sie hatte mehr verloren als einen Kampf.

Aber es war ein Sieg, über den sich Skar nicht freuen konnte. Als wären seine Überlegungen ein Stichwort gewesen, brach Arsan in diesem Moment in die Knie. Skar sprang rasch vor und versuchte ihn aufzufangen, aber die Erschöpfung ließ seine Reaktionen langsamer werden als gewohnt. Er griff daneben. Arsan fiel mit einem wimmernden Laut vornüber und schlug mit dem Gesicht auf dem hartgebackenen Boden auf.

Skar hatte nicht mehr die Kraft, sich um ihn zu kümmern. Erschöpft ließ er sich neben dem Kohoner zu Boden sinken, zog die Knie an den Körper und blinzelte in den Himmel hinauf. Combat schleuderte ihren flammenden Gruß noch immer zu den Wolken hinauf, aber ihr Licht schien jetzt verändert; es war nicht länger nur Hitze und Helligkeit, sondern eine stumme, blutige, unheilvolle Drohung.

»Wir rasten hier«, murmelte Skar. Die Worte waren zu leise, als daß Gowenna oder einer der beiden Sumpfmänner sie hätten verstehen können. Trotzdem blieb Gowenna stehen, schwankte einen Moment und ließ sich dann erschöpft auf einen Felsen sinken. Die beiden El-tra nahmen stumm rechts und links von ihr Aufstellung. Die Erschöpfung schlug wie eine betäubende Woge über ihm zusammen, und diesmal versuchte er nicht mehr sich zu wehren. Es war nicht allein die körperliche Müdigkeit. Er war Satai und verfügte noch immer - selbst jetzt - über Reserven, auf die er zurückgreifen konnte.

Nein, die körperliche Erschöpfung war nicht das Schlimmste. Aber die heiße, ewig brennende Flamme, die ihn zeit seines Lebens erfüllt hatte, die Kraft, die einen Satai zum Weitermachen und immer wieder zum Weitermachen, zum Kämpfen und Durchhalten und Siegen oder Sterben trieb, war erloschen. Sein Kampfeswille war fort.

Er wußte, daß sein Plan nicht aufgehen würde, daß die Verfolger sie einholen mußten, lange bevor sie das Gebirge erreichten, und er wußte, daß sie sie angreifen und töten würden. Aber er empfand nicht einmal Furcht vor diesem Gedanken. Er würde noch einmal kämpfen und mit dem Schwert in der Faust sterben; ein Tod, der unnötig, aber eines Satai würdiger war als das langsame Dahinsiechen, das ihn sonst erwartet hätte.

Sie hatten keine Chance, hatten sie nie gehabt. Das Glück hatte sie - soweit es überhaupt je bei ihnen gewesen war - endgültig verlassen. Sie waren nicht annähernd so gut vorangekommen, wie es nötig gewesen wäre. Das zerschründete Gelände gab ihnen genügend Deckung, aber es hatte sie auch zu unzähligen Umwegen und mühsamen und kräftezehrenden Klettereien gezwungen. Sie hatten Zeit verloren, Zeit, die sie nicht hatten.

Skar lehnte sich zurück, lehnte den nackten Rücken gegen heißen Fels und unterdrückte einen Schmerzlaut, als der glühende Stein in seine verbrannte Haut biß. Die Ebene begann vor seinen Augen zu verschwimmen, und für einen winzigen Moment bildete er sich ein, ein schmales, blasses Gesicht zwischen den wabernden Nebeln vor sich zu erkennen. Velas Gesicht...