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Über dem westlichen Kraterrand erschien ein Schatten.

Grau.

Fließendes, wirbelndes Grau, das den Himmel wie eine kochende Flutwelle überrollte, wuchs und wuchs und wuchs und schließlich einen ganzen Abschnitt des Horizonts verdeckte, grauer Schrecken ohne sichtbare Konturen, als hätte sich die Dämmerung aus diesem Teil der Schöpfung angstvoll zurückgezogen, geflohen vor einem Etwas, einem unbeschreiblichen Alptraum, der plötzlich aus dem tiefsten Schlund der Hölle emporgestiegen war...

»Nein!« schrie Gowenna. Ihre Stimme überschlug sich, wurde zu einem irren Kreischen. »Nein. Nicht das!«

Langsam begann Skar Einzelheiten zu erkennen. Da war ein Schädel, irgendwo über ihm, absurd hoch über ihm, ein gigantisches, verzerrtes Ding, gewaltig und häßlich und abstoßend, das Maul breit genug, einen Mann zu verschlingen. Darunter ein graugeschuppter dürrer Schlangenhals. Auf dem Hals, dicht unterhalb der Stelle, an der er mit dem Kopf verwuchs, war ein Sattel. Und in diesem Sattel saß ein Mensch.

Skars Atem stockte. Eine eisige, körperlose Hand schien sein Herz zu umfassen und zusammenzupressen. Sein Blick glitt an der grauverhüllten Gestalt empor, saugte sich an einem Paar dunkler, kalter Augen fest, das er hinter dem grauen Gesichtsschleier mehr erahnen als wirklich erkennen konnte. Lange, länger als eine Minute, starrten sie sich an, und Skar war von einem wahren Wirbelsturm von Gefühlen erfüllt: Haß - oder etwas, von dem er sich wünschte, daß es Haß sein konnte -, Verzweiflung und Zorn, ohnmächtiger, hilfloser Zorn.

»Warum?« fragte er. Seine Stimme klang brüchig. »Warum, Vela?«

»Weißt du das wirklich nicht, kleiner Satai?« Velas Stimme klang nur dumpf hinter dem grauen Schleier hervor, und Skar versuchte vergeblich, irgendein Gefühl darin zu erkennen.

»Du solltest niemals versuchen, eine Errish zu hintergehen, Skar. Nie!« Der Drache bewegte sich unruhig. Ein Teil seines Körpers wurde hinter dem steinernen Kraterwall sichtbar und verschwand wieder, als Vela die Hand zwischen seine gewaltigen Hörner legte. Sie beherrscht dieses Ungeheuer wie ein Puppe, dachte Skar entsetzt. Der Drache war nicht so groß, wie Skar im ersten Augenblick geglaubt hatte - nicht größer als ein gewöhnlicher Wüstendrache, nicht einmal so groß wie die Feuerechsen, auf denen die Errish normalerweise ritten. Aber er war gefährlicher, viel gefährlicher. Skar konnte die Aura von Gewalt und Bosheit, die das geschuppte Monstrum umgab, fast sehen.

Und er spürte, wie etwas in ihm darauf antwortete, einen schrillen Willkommensschrei ausstieß, Herausforderung, Haß, Wut, aber auch eine bizarre Freude, Befriedigung, hier endlich einen würdigen Gegner gefunden zu haben.

»Hast du wirklich geglaubt, ich würde in Ikne bleiben und darauf warten, daß du mir den Stein bringst oder vielleicht auch nicht?« fuhr Vela fort. Sie lachte, leise, spöttisch und boshaft, schüttelte den Kopf und riß sich mit einer Gaschen Geste den Schleier vom Gesicht. Ihr Blick löste sich von Skar, glitt teilnahmslos über die reglos daliegenden Körper der Soldaten und heftete sich schließlich auf den schwarzen Satai.

»Komm!«

Sie sprach leise, aber selbst Skar konnte den unbezwingbaren, übermenschlichen Willen spüren, der ihre Worte begleitete; etwas wie eine unsichtbare, eisige Hand, deren Berührung ihn wanken ließ, obwohl ihn nicht mehr als ein schwacher Hauch streifte.

Der Satai schob langsam seine Waffe in den Gürtel und ging an Skar vorbei zum Kraterrand. Seine Bewegungen wirkten eckig. Skar mußte unwillkürlich an eine lebensgroße, menschliche Puppe denken, eine Puppe, an deren Fäden die Errish zog.

Wieder regte sich der Staubdrache. Seine Schuppen glänzten stumpf im Licht der versinkenden Sonne und im Widerschein des brennenden Horizonts, und der Wind trug einen scharfen, ätzenden Geruch zu Skar hinüber; Raubtiergestank, aber auch noch etwas anderes, ein stechender Hauch wie nach Säure und Tod. Der Satai ging langsam bis zur Felswand, stieg - unsicher, aber zielstrebig und schnell - den Kraterrand empor und erstarrte im Schatten des Staubdrachens zur Bewegungslosigkeit. Erneut mußte Skar an eine Puppe denken.

Vela betrachtete die schweigende Gestalt stirnrunzelnd. »Eigentlich sollte ich enttäuscht sein«, murmelte sie. »Doch das, was ich gesehen habe, entschädigt mich für vieles, Skar. Ich liebe diese barbarischen Vergnügungen nicht, aber du bist wirklich etwas Besonderes. Wie hast du es gemacht? Ich meine - was bringt einen Mann dazu, wie ein Drache zu kämpfen?«

Es dauerte eine Weile, bis Skar wirklich begriff. »Du ... warst hier?« keuchte er. »Du hast den Kampf gesehen? Du ... warst die ganze Zeit über hier?«

»Sie ist schon seit Tagen in unserer Nähe«, sagte eine Stimme hinter ihm. Skar wandte den Kopf und erblickte Gowenna, die sich von ihrem Platz gelöst und zu ihm herübergekommen war. Ihre Stimme klang flach, als spräche sie im Traum, und ihre Züge waren zur vollkommenen Ausdruckslosigkeit erstarrt. Ihr Blick war starr auf die Errish und den Drachen gerichtet, aber ihre Worte galten Skar.

»Sie war die ganze Zeit in unserer Nähe«, wiederholte sie.

»Die ... die Drachenspuren, die wir fanden - erinnerst du dich? Es war ihr Drache. Sie hat die Spinne aus ihrer Höhle gejagt und getötet, und sie ...«

»Genug!« unterbrach Vela sie scharf. Zwischen ihren Brauen stand plötzlich eine steile, ärgerliche Falte, und der Ausdruck in ihren Augen schien um mehrere Nuancen härter geworden zu sein. »Ich habe über euch gewacht, das stimmt. Ihr wäret dieser Bestie wie dumme Kinder in die Fänge gelaufen, wenn ich sie nicht erledigt hätte.«

»Das ist nicht wahr«, sagte Gowenna ruhig. »Du hast uns bespitzelt, vom ersten Moment an. Du hattest nie vor, uns -«

»Ich sagte: genug«, fiel ihr die Errish ins Wort. »Ich brauche mich nicht zu rechtfertigen, weder vor dir noch vor irgendeinem Menschen. Habt ihr wirklich geglaubt, daß ich einen Schatz wie den Stein in euren Händen lasse? Habt ihr wirklich erwartet, daß ich etwas, das über das Schicksal der Menschheit entscheiden kann, jemandem wie dir anvertraue, dir oder diesem Satai?« Sie lachte abfällig, rutschte in eine bequemere Position und tätschelte dem Drachen geistesabwesend den Schädel. Das Tier stieß ein tiefes, zufriedenes Knurren aus, obwohl es die Berührung kaum gespürt haben konnte.

»Du hast mich benutzt«, sagte Gowenna. »Wie eine Figur in einem Spiel hast du mich benutzt.«

Vela nickte ungerührt. »Sicher. Was hast du erwartet? Es steht zu viel auf dem Spiel, um auf Gefühle Rücksicht zu nehmen.« Sie beugte sich vor, stützte die Handflächen auf dem Drachenkopf auf und sah Gowenna kalt an.

»Du hast gegen meinen Befehl gehandelt, Gowenna«, sagte sie leise. »Ich befahl dir, den Satai zu töten, aber du hast es nicht getan. Ich habe keine Verwendung für jemanden, der meine Befehle nicht befolgt.«

»Ich bin keine Mörderin, Vela.«

Die Errish antwortete nicht, aber der mitleidlose, kalte Ausdruck in ihren Augen traf Skar mehr, als es jedes Wort getan hätte. Er begriff plötzlich, daß diese Erau sie mit derselben Gleichgültigkeit betrachtete, mit der man einem lästigen Insekt gegenübertrat, daß Worte wie ›Menschlichkeit‹ und ›Wärme‹ in ihrer Sprache nicht vorhanden waren. Was sie tat, tat sie überlegt, nicht unbedingt böse, aber kalt, seelenlos.