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Später ging sie hinunter in den Keller, wo Max im Dunkeln stand und vermutlich schon wieder mit dem Führer boxte.

»Max?« Das Licht dämmerte vor sich hin – eine rote Münze, die in der Ecke schwebte. »Kannst du mir beibringen, wie man Liegestütze macht?«

Max zeigte es ihr und hob gelegentlich ihren Oberkörper an, um ihr zu helfen, aber trotz ihres hageren Aussehens war Liesel stark und konnte ihr Gewicht ohne große Schwierigkeit selbst halten. Sie zählte nicht, wie viele sie schaffte, aber an diesem Abend machte die Bücherdiebin in dem düster schimmernden Keller genug Liegestütze, um etliche Tage lang Muskelkater zu verspüren. Selbst als Max sie darauf hinwies, dass sie sich überanstrengte, machte sie noch weiter.

Im Bett las sie mit Papa, der merkte, dass etwas nicht stimmte. Es war das erste Mal seit einem Monat, dass er gekommen war und sich zu ihr gesetzt hatte. Sie fühlte sich getröstet, wenn auch nur ein klein wenig. Irgendwie wusste Hans Hubermann immer die richtigen Worte, wusste, wann er bleiben und wann er gehen musste.

Vielleicht war Liesel die einzige Sache, in der er sich ganz und gar auskannte.

»Geht es um die Wäsche?«, fragte er.

Liesel schüttelte den Kopf.

Papa hatte sich ein paar Tage nicht rasiert, und er rieb sich alle paar Minuten über die juckenden Bartstoppeln. Seine silbrigen Augen waren flach und ruhig, voll sanfter Wärme, wie immer, wenn es um Liesel ging.

Als das Lesen zu Ende war, schlief Papa ein. Und erst dann sagte Liesel, was sie die ganze Zeit schon hatte sagen wollen.

»Papa«, flüsterte sie, »ich glaube, ich komme in die Hölle.«

Ihre Beine waren warm. Ihre Knie kalt.

Sie dachte an die Nächte, als sie ins Bett gemacht und Papa die Laken gewaschen und ihr die Buchstaben des Alphabets beigebracht hatte. Jetzt blies sein Atem über die Decke, und sie küsste seine kratzige Wange.

»Du musst dich rasieren«, sagte sie.

»Du kommst nicht in die Hölle«, erwiderte Papa.

Ein paar Augenblicke lang betrachtete sie sein Gesicht. Dann legte sie sich wieder hin, lehnte sich an ihn, und gemeinsam schliefen sie, teilweise in Molching, aber teilweise auch auf der siebten Seite des deutschen Würfels.

RUDIS JUGEND

Am Ende musste sie es eingestehen.

Sein Auftritt war grandios.

EIN PORTRÄT VON RUDI STEINER, JULI 1941

Streifen aus Schlamm saugen sich an sein Gesicht.

Sein Schlips ist wie das Pendel einer Uhr,

die aufgehört hat zu schlagen.

Sein zitronengelbes, lampenerleuchtetes Haar ist zerzaust,

und er trägt ein trauriges, absurdes Lächeln.

Er stand ein paar Meter von der Treppe entfernt und sprach mit großer Überzeugung, großer Freude.

»Alles ist Scheiße«, verkündete er.

Im ersten Halbjahr 1941, als Liesel sich damit die Zeit vertrieb, Max Vandenburg zu verstecken, Zeitungen aus Abfalleimern zu klauben und der Frau des Bürgermeisters die Meinung zu sagen, ertrug Rudi sein Leben bei der Hitlerjugend. Seit Anfang Februar kehrte er von den Versammlungen nie so zurück, wie er hingegangen war. Im Klartext: Er sah schlimm aus. Auf vielen solcher Heimwege wurde er von Tommi Müller begleitet, der sich in einem ähnlichen Zustand befand. Der Ärger setzte sich aus drei Komponenten zusammen:

EIN DREI-KOMPONENTEN-ÄRGER

1. Tommi Müllers Ohren

2. Franz Deutscher, der boshafte Anführer der Hitlerjugend

3. Rudis Unfähigkeit, sich rauszuhalten

Wenn bloß Tommi Müller vor sechs Jahren an einem der kältesten Tage in Molchings Geschichte nicht für sieben Stunden verschwunden wäre. Seine Ohrentzündung und der Schaden an seinen Nerven brachten nach wie vor die Marschordnung der Hitlerjugend durcheinander, was – das kann ich euch versichern – nichts Gutes verhieß.

Anfangs ging es nur allmählich bergab, aber als die Monate vergingen, zog Tommi beständig den Zorn der HJ-Anführer auf sich, besonders beim Marschieren. Erinnert ihr euch noch an Hitlers Geburtstag im vorigen Jahr? Eine Zeit lang verschlimmerte sich die Infektion seiner Ohren, und es kam der Tag, an dem Tommi ernsthafte Probleme mit dem Hören bekam. Er verpasste die Kommandos, die der Gruppe zugebrüllt wurden. Es spielte keine Rolle, ob das Exerzieren drinnen oder draußen stattfand, in Schnee, Schlamm oder Regenschauer.

Ziel war jedes Mal, dass alle gleichzeitig stehen blieben.

»Ein Absatzklicken«, wurde ihnen eingebläut, »das ist alles, was der Führer hören will. Alle gemeinsam. Wie ein Mann.«

Dann kam Tommi.

Ich glaube, es war sein linkes Ohr, das ihm die größten Probleme bereitete, und wenn der saure Schrei »Halt!« bei allen anderen das Ohrenschmalz zum Vibrieren brachte, marschierte Tommi unbekümmert und ulkig weiter. In einem einzigen Augenblick konnte er eine ganze wohlgeordnete Kompanie in einen Hühnerhaufen verwandeln.

An einem bestimmten Samstag Anfang Juli, kurz nach halb vier und einer Litanei über vergebliche Marschierübungen dank eines gewissen Tommi Müller, hatte Franz Deutscher (der ultimative Name für den ultimativen Jung-Nazi) die Nase voll.

»Müller, du Affe!« Sein dichtes blondes Haar knetete seine Kopfhaut, und seine Worte schabten fast sichtbar über Tommis Gesicht. »Was ist denn jetzt schon wieder?«

Tommi wich angstvoll zurück, doch seine linke Wange schaffte es trotz allem, sich zu einem irren, fröhlichen Zucken zu verziehen.

Er schien den Anpfiff mit einem triumphierenden Grinsen und einer Art Schadenfreude zu quittieren. Franz Deutscher war nicht bereit, ein solches Gesicht zu dulden. Seine bleichen Augen brodelten.

»Nun?«, fragte er. »Was hast du dazu zu sagen?«

Tommis Zucken wurde noch stärker, rascher, intensiver.

»Machst du dich über mich lustig?«

»Heil!«, zuckte Tommi in dem verzweifelten Bemühen, ein paar Pluspunkte zu sammeln, aber »Hitler« brachte er nicht mehr heraus.

In diesem Augenblick trat Rudi vor. Er stellte sich Franz Deutscher gegenüber und schaute zu ihm hoch. »Er hat ein Problem, Herr Deutscher...«

»Das sehe ich.«

»… mit seinen Ohren«, beendete Rudi den Satz. »Er kann nicht...«

»Das reicht.« Deutscher rieb sich die Hände. »Ihr beide – sechs Runden um den Platz.« Sie gehorchten, aber nicht schnell genug. »Los!« Seine Stimme jagte sie voran.

Nachdem die sechs Runden vollendet waren, ging es weiter: aus dem Laufen auf den Boden werfen, aufstehen, auf den Boden werfen... und nach fünfzehn schier endlosen Minuten wurden sie ein vermeintlich letztes Mal zu Boden beordert.

Rudi schaute nach unten.

Ein fast eiförmiger Kreis aus Schlamm grinste zu ihm hoch.

Was guckst du denn so?, schien er zu fragen.

»Runter!«, befahl Franz.

Rudi sprang über den Schlammkreis und ließ sich auf den Bauch fallen.

»Hoch!« Franz grinste. »Einen Schritt zurück.« Sie gehorchten. »Runter!«

Die Botschaft war unmissverständlich, und diesmal beugte sich Rudi. Er tauchte in den Schlamm ein und hielt den Atem an. In diesem Augenblick, als er mit dem Ohr gegen die nasse Erde gepresst dalag, war der Drill zu Ende.

»Vielen Dank, meine Herren«, sagte Franz Deutscher höflich.

Rudi rappelte sich auf die Knie, popelte in seinem Ohr und schaute hinüber zu Tommi.

Tommi schloss die Augen und zuckte.

Als sie an diesem Tag in die Himmelstraße zurückkehrten, spielte Liesel Himmel und Hölle mit ein paar von den kleineren Kindern. Sie trug immer noch ihre JM-Uniform. Aus dem Augenwinkel sah sie die beiden traurigen Gestalten auf sich zukommen. Eine davon rief nach ihr.