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ihres elastischen Haars zu einem Knoten am Hinterkopf

zusammengefasst. Um die Haushaltskasse aufzubessern,

wusch und bügelte sie die Wäsche für fünf der

wohlhabenderen Familien in Molching.

Ihr Essen schmeckte scheußlich.

Sie besaß das unglaubliche Talent, fast jeden,

den sie traf, vor den Kopf zu stoßen.

Aber sie liebte Liesel Meminger.

Sie hatte nur einfach eine merkwürdige Art,

diese Liebe zu zeigen.

Ihre Art bestand darin, sie regelmäßig mit dem Kochlöffel

und mit Beschimpfungen zu malträtieren.

Als Liesel endlich ein Bad nahm – zwei Wochen nachdem sie in der Himmelstraße eingetroffen war -, nahm Rosa sie in die Arme und drückte sie so heftig, dass ihr die Knochen knackten. Während sie das Mädchen fast erstickte, sagte sie: »Saumensch, du dreckiges – das wurde aber auch Zeit!«

Ein paar Monate später waren sie nicht mehr Herr und Frau Hubermann. Mit der ihr eigenen Art warf Rosa Hubermann Liesel eines Tages eine Faustvoll Worte entgegen: »Jetzt hör mal zu, Liesel, von heute an nennst du mich Mama.« Sie dachte einen Moment lang nach. »Wie hast du deine richtige Mutter genannt?«

Leise sagte Lieseclass="underline" »Auch Mama.«

»Na, dann bin ich jetzt Mama Nummer zwei.« Sie warf ihrem Ehemann einen Blick zu. »Und den da drüben.« Sie schien die Worte in ihrer Hand zu sammeln, sie zu einem Teig zu kneten und sie über den Tisch zu feuern. »Den Saukerl da, den nennst du Papa, verstanden?«

»Ja«, nickte Liesel schnell. Schnelle Antworten wurden in diesem Haus geschätzt.

»Ja, Mama«, korrigierte Mama sie. »Saumensch! Nenn mich Mama, wenn du mit mir redest!«

In diesem Moment war Hans Hubermann mit dem Drehen seiner Zigarette fertig geworden, hatte das Papier abgeleckt und sie zwischen seinen Fingern glatt gerollt. Er schaute zu Liesel hinüber und zwinkerte ihr zu. Sie hatte keine Vorbehalte, ihn Papa zu nennen.

DIE FRAU MIT DER EISENFAUST

Die ersten Monate waren die schwersten.

Jede Nacht hatte Liesel Albträume.

Das Gesicht ihres Bruders.

Das zu Boden starrt.

Sie wachte auf, schwamm in ihrem Bett, schrie und drohte in der Flut ihrer Decken zu ertrinken. Auf der anderen Seite des Zimmers trieb das Bett, das für ihren Bruder bestimmt gewesen war, wie ein Boot in der Finsternis. Langsam sank es zu Boden, während das Bewusstsein wiederkehrte. Keine wirkliche Erleichterung – und für gewöhnlich dauerte es eine ganze Weile, bis das Schreien aufhörte.

Das einzig Gute an diesen Albträumen war, dass sie Hans Hubermann, ihren neuen Papa, zu ihr ins Zimmer trieben, um sie zu beruhigen und sie zu trösten.

Er kam jede Nacht und setzte sich zu ihr. Die ersten paar Male blieb er einfach nur da – ein Fremder, der die Einsamkeit tötete.

Ein paar Nächte später flüsterte er: »Sch, sch, ist ja gut, ich bin ja da.«

Nach drei Wochen nahm er sie in den Arm. Schnell war Vertrauen geschaffen, angesichts der überwältigenden Stärke, die der Sanftheit dieses Mannes innewohnte, angesichts seines Daseins. Das Mädchen wusste intuitiv, dass Hans Hubermann stets mitten im Schreien auftauchen und dass er sie nicht alleinlassen würde.

EINE DEFINITION, DIE IN KEINEM WÖRTERBUCH STEHT

Nicht alleinlassen: ein Beweis des Vertrauens

und der Liebe, oft empfunden von Kindern

Nacht für Nacht saß Hans Hubermann mit schläfrigen Augen auf dem Bett, und Liesel weinte in seinen Ärmel. Jeden Morgen, kurz nach zwei Uhr, schlief sie wieder ein, gehüllt in seinen Geruch. Es war eine Mischung aus kaltem Zigarettenrauch, jahrzehntealtem Farbgeruch und menschlicher Haut. Zunächst saugte sie ihn auf, dann atmete sie ihn ein, bis sie wieder in den Schlaf glitt. Jeden Morgen hockte er, kaum zwei Meter von ihr entfernt, eingesunken und wie ein Taschenmesser zusammengeklappt auf dem Stuhl. Er legte sich nie in das zweite Bett. Liesel stand auf, küsste vorsichtig seine Wange, und er erwachte und lächelte.

An manchen Tagen schickte Papa sie nach dem Aufwachen zurück ins Bett und sagte ihr, sie solle einen Moment warten. Dann ging er das Akkordeon holen und spielte für sie. Liesel setzte sich in ihren Kissen auf und summte, die kalten Zehen vor freudiger Erregung gekrümmt. Noch nie zuvor hatte ihr jemand Musik geschenkt. Sie grinste, bis ihr schwindelig wurde, und betrachtete die Linien, die sich in seinem Gesicht hinabzogen, betrachtete das geschmolzene Metall seiner Augen – bis aus der Küche ein Fluchen zu hören war.

»HÖR MIT DIESEM KRACH AUF, SAUKERL!«

Papa spielte noch ein Weilchen länger.

Er zwinkerte dem Mädchen zu, und ungeschickt zwinkerte sie zurück.

Ein paar Mal, nur um Mama noch ein bisschen mehr zu ärgern, nahm er das Instrument mit in die Küche und spielte während des Frühstücks.

Dann blieb das Marmeladenbrot halb gegessen auf seinem Teller liegen, gezeichnet von seinen Bissspuren, und die Musik blickte Liesel ins Gesicht. Ich weiß, das hört sich seltsam an, aber so empfand sie es. Papas rechte Hand spazierte über die zahnfarbenen Tasten. Seine linke drückte die Knöpfe. (Sie liebte es, wenn er jenen silbernen, funkelnden Knopf drückte, das C-Dur.) Die zerkratzte und doch glänzend schwarze Schale des Akkordeons bewegte sich vor und zurück, während seine Arme die staubigen Blasebälge drückten, die Luft hineinsaugten und herauspressten. An diesen Tagen, frühmorgens in der Küche, erweckte Papa das Akkordeon wahrhaftig zum Leben. Ich denke, das ist einleuchtend, wenn man darüber nachdenkt.

Woher weiß man, ob etwas lebendig ist?

Man schaut nach, ob es atmet.

Der Klang des Akkordeons war außerdem ein Ausdruck von Sicherheit. Von helllichtem Tag. Am Tag konnte sie nicht von ihrem Bruder träumen. Liesel vermisste ihn, und in dem winzigen Badezimmer weinte sie oft, so leise wie möglich, aber sie war dennoch froh, wach zu sein.

In der ersten Nacht bei den Hubermanns hatte sie das letzte Bindeglied zu ihm – das Handbuch für Totengräber – unter der Matratze versteckt. Manchmal zog sie es hervor und betrachtete es. Sie starrte die Buchstaben auf dem Einband an und berührte die bedruckten Seiten, ohne eine Vorstellung davon zu haben, was da geschrieben stand. Aber es war ja auch völlig ohne Bedeutung, wovon das Buch handelte. Wichtig war nur, was es ihr bedeutete.

DIE BEDEUTUNG DES BUCHES

1. Das letzte Beisammensein mit ihrem Bruder.

2. Das letzte Beisammensein mit ihrer Mutter.

Manchmal flüsterte sie das Wort »Mama« und sah das Gesicht ihrer Mutter hundert Mal an einem einzigen Nachmittag. Aber dies waren unbedeutende Qualen im Vergleich zu den Schrecken ihrer Träume. In solchen Zeiten, in der Unendlichkeit des Schlafes, fühlte sie sich so allein wie nie zuvor.

Ihr habt sicher bemerkt, dass es keine anderen Kinder im Haus gab.

Die Hubermanns hatten zwei eigene Kinder, aber sie waren schon erwachsen und längst ausgezogen. Hans Hubermann junior arbeitete in der Münchener Innenstadt, und Trudi hatte eine Anstellung als Hausgehilfin. Bald schon würden beide in den Krieg ziehen. Die eine würde Munition herstellen, der andere damit schießen.

Wie ihr euch vorstellen könnt, war die Schule eine absolute Katastrophe.

Obwohl es eine staatliche Schule war, herrschte dort ein strenger katholischer Geist, und Liesel war Protestantin. Keine guten Voraussetzungen. Dann fand man heraus, dass sie weder lesen noch schreiben konnte.