Schließlich machte ich etwas ausfindig, das der Öffnungsmechanismus sein mochte, und umfaßte ihn. Ich zerrte daran, aber das Ding setzte mir Widerstand entgegen. Entweder waren diese Leute ungewöhnlich kräftig, oder die Bedienung setzte einen Trick voraus, den ich noch nicht kannte.
Egal. Es gibt eine Zeit für Vorsicht und Zurückhaltung und eine Zeit für brutale Gewalt. Ich war zornig und hatte es eilig, und das erleichterte mir die Entscheidung.
Wieder zerrte ich an der Felsplatte, die Muskeln meiner Arme, meiner Schultern und meines Rückens anspannend, und wünschte mir, ich hätte Gérard zu Hilfe rufen können. Die Tür ächzte. Ich zog weiter. Sie bewegte sich ein wenig – etwa einen Zoll breit – und saß dann fest. Ich ließ in meiner Anstrengung nicht nach, sondern verstärkte den Zug noch mehr. Wieder knirschte die Tür.
Ich lehnte mich zurück, verlagerte mein Gewicht und stemmte den linken Fuß neben dem Portal gegen die Felswand. Im Ziehen versuchte ich zugleich das Bein durchzudrücken. Und wieder knirschte und mahlte es, und die Tür bewegte sich wieder einen Zoll heraus. Aber dann war es mit der Bewegung vorbei, und ich bekam sie nicht mehr von der Stelle. Ich ließ los und betrachtete den Durchgang, während ich zur Entspannung die Arme bewegte. Als nächstes stemmte ich die Schulter dagegen und drückte die Tür wieder ganz zu. Tief atmete ich ein und griff erneut danach.
Den linken Fuß stellte ich wieder an die alte Stelle. Diesmal kein allmähliches Anziehen. Ich zerrte und stemmte gleichzeitig.
Ein Knacken und Klappern ertönte aus dem Inneren, die Tür ruckte knirschend etwa fünfzehn Zentimeter. Sie kam mir schon etwas gelockert vor. Ich stellte mich hin, drehte mich mit dem Rücken zur Wand und fand ausreichend Halt, um die Felsplatte auswärts zu stemmen.
Sie bewegte sich schon leichter, doch ich konnte nicht widerstehen, meinen Fuß dagegenzustemmen, als sie bereits aufschwang, und so kräftig wie möglich dagegenzutreten. Sie klappte um hundertachtzig Grad, knallte mit gewaltigem Dröhnen gegen das Gestein auf der anderen Seite und zersplitterte an mehreren Stellen. Sie schwang zurück, fiel nach vorn und prallte mit ohrenbetäubendem Krachen zu Boden, der zu erbeben schien. Weitere Stücke platzten von der Tür ab.
Noch ehe die Platte zur Ruhe gekommen war, hatte ich Grayswandir gezogen und in Kampfstellung einen vorsichtigen Blick um die Ecke geworfen.
Lichter . . . Das Innere war beleuchtet . . . von kleinen Lampen, die an Wandhaken hingen . . . Neben der Treppe . . . Hinab . . . An einen Ort, der noch heller war und von dem Geräusche herauftönten . . . Und Musik.
Niemand war zu sehen. Ich hatte mir eigentlich vorgestellt, daß der ungeheure Lärm, den ich gemacht hatte, jemanden an den Schauplatz des Geschehens rufen würde, aber die Musik ging weiter. Entweder hatten sich die Geräusche – aus irgendeinem Grund – nicht fortgepflanzt, oder es war den Leuten egal. Wie dem auch sein mochte . . .
Ich richtete mich auf und schritt über die Schwelle. Mein Fuß berührte einen metallischen Gegenstand. Ich hob ihn auf und untersuchte ihn. Ein verdrehter Riegel. Sie hatten die Tür hinter sich verriegelt. Ich warf das Ding über die Schulter und ging die Treppe hinab.
Die Musik – Geigen und Flöten – wurde lauter. Der Einfall des Lichts verriet mir, daß rechts vom Fuß der Treppe ein Saal liegen mußte. Es waren kleine Stufen, aber sehr zahlreich. Ich gab mir keine Mühe, leise aufzutreten, sondern eilte zum Treppenabsatz hinab.
Als ich kehrtmachte und in den Saal blickte, sah ich mich einer Szene gegenüber, wie sie ein betrunkener Ire nicht verrückter hätte träumen können. In einem von Fackeln erleuchteten, verqualmten Saal hielt sich eine ganze Horde von Wesen auf, die nur etwa einen Meter groß waren, rotgesichtig und grüngekleidet: sie tanzten zur Musik oder hoben große Krüge – war Bier darin? – an die Lippen, während sie mit den Füßen aufstampften, auf die Tische hämmerten oder einander auf die Schultern klopften, während sie grinsten, lachten und brüllten. Riesige Fässer waren an einer Wand aufgereiht, und etliche Festteilnehmer standen Schlange vor dem gerade angezapften Panzen. Ein riesiges Feuer flackerte in einer Feuerstelle am anderen Ende des Raums; sein Rauch wurde durch einen Spalt im Gestein über zwei Höhlenmündungen abgezogen. Neben der Feuerstelle war Star an einem Ring im Fels festgemacht, und ein stämmiger kleiner Mann mit Lederschürze schärfte einige verdächtig aussehende Instrumente.
Mehrere Gesichter wandten sich in meine Richtung, es gab Geschrei, und plötzlich hörte die Musik auf. Das Schweigen war absolut.
Ich hob die Klinge in eine Habacht-Stellung und deutete quer durch den Saal auf Star. Inzwischen starrten mich alle Anwesenden an.
»Ich bin gekommen, um mein Pferd zu holen!« rief ich. »Entweder bringt ihr es mir, oder ich hole es. Wenn ich es holen muß, wird mehr Blut fließen!«
Rechts von mir räusperte sich einer der Männer, der größer und grauhaariger war als die meisten anderen.
»Verzeih«, sagte er. »Aber wie bist du hier hereingekommen?«
»Ihr werdet euch eine neue Tür machen müssen«, sagte ich. »Geht hinauf und schaut es euch an, wenn es einen Unterschied macht – und das mag durchaus sein. Ich warte.«
Ich trat zur Seite, die Felswand im Rücken.
Er nickte.
»Das werde ich tun.«
Er drückte sich an mir vorbei.
Ich spürte, wie meine aus dem Zorn geborene Kraft in das Juwel flutete und wieder zurück. Ein Teil von mir wollte sich quer durch den Saal hauen und stechen, ein anderer wünschte sich eine humanere Regelung mit Leuten, die soviel kleiner waren als ich; und eine dritte und vielleicht klügere Stimme unterstellte, daß die kleinen Burschen vielleicht nicht ganz so leicht zu handhaben sein würden. Ich wartete also ab, um zu sehen, wie sehr sich ihr Sprecher von meiner Öffnung der Tür beeindrucken ließ.
Sekunden später kehrte er zurück, wobei er einen großen Bogen um mich machte.
»Gebt dem Mann sein Pferd!« sagte er.
Stimmengemurmel lief durch den Saal. Ich senkte die Klinge.
»Ich entschuldige mich«, sagte der Mann, der den Befehl gegeben hatte. »Wir möchten mit deinesgleichen keinen Ärger haben. Wir sehen uns anderweitig nach Fleisch um. Du bist uns hoffentlich nicht gram.«
Der Mann mit der Lederschürze hatte Star losgebunden und setzte sich in meine Richtung in Bewegung. Die Festteilnehmer machten ihm Platz.
Ich seufzte.
»Die Sache soll erledigt und vergessen sein«, sagte ich.
Der kleine Mann nahm von einem benachbarten Tisch einen Humpen und reichte ihn mir. Als er meinen Gesichtsausdruck bemerkte, trank er zunächst selbst daraus.
»Trink noch einen mit uns.«
»Warum nicht?« fragte ich, ergriff den Humpen und setzte ihn an die Lippen, während er einen anderen leerte.
Er rülpste leise und grinste mich an.
»Ein verflixt kleiner Schluck für einen Mann deiner Größe«, sagte er dann. »Ich hol dir noch einen Krug – für den Weg.«
Das Bier schmeckte recht gut, und meine Anstrengungen hatten mir Durst gemacht.
»Also gut«, sagte ich.
Er bestellte Nachschub; im gleichen Augenblick wurde Star mir übergeben.
»Du kannst die Zügel dort um den Haken winden«, sagte er und deutete auf einen niederen Vorsprung nahe der Tür. »Dann ist das Tier aus dem Weg.«
Ich nickte und kam seiner Aufforderung nach. Der Schlachter zog sich wieder zurück. Niemand zeigte noch großes Interesse an mir. Frisch gefüllte Humpen wurden gebracht. Einer der Geiger stimmte in ein neues Lied ein. Sekunden später fiel ein zweiter ein.
»Setz dich ein Weilchen her«, sagte mein Gastgeber und schob mir mit dem Fuß eine Bank zu. »Du kannst die Felswand weiter als Deckung benutzen. Es wird dir nichts geschehen.«
Ich tat, was er mir vorschlug, und er kam um den Tisch herum und setzte sich mir gegenüber, und die Bierkrüge standen zwischen uns. Es tat gut, ein paar Minuten zu sitzen, die Gedanken eine Weile von der vor mir liegenden Reise zu lösen, das dunkle Bier zu trinken und der lebhaften Musik zuzuhören.