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Da ich wußte, daß es ihn ein Weilchen beschäftigen würde, die Waffe wieder zu spannen, richtete ich mich auf. Ich schaute in die Richtung, aus der das Lachen gekommen war, und entdeckte ihn auf dem gegenüberliegenden Felsvorsprung, etwa fünf Meter über mir, ungefähr zwanzig Meter entfernt. Der Paßweg lag zwischen uns.

»Wegen des Pferdes tut es mir leid«, sagte er. »Ich hatte auf dich gezielt. Aber dieser verdammte Wind . . .«

Doch schon hatte ich eine Vertiefung entdeckt und eilte darauf zu, wobei ich den Felsbrocken als Schild benutzte. Aus der keilförmigen Nische verfolgte ich, wie er einen neuen Pfeil auflegte.

»Ein schwieriger Schuß!« rief er und hob die Waffe. »Eine Herausforderung für jeden Schützen, aber auf jeden Fall die Mühe wert. Ich habe noch genug Pfeile.«

Er lachte, zielte und schoß.

Ich duckte mich und hielt mir den Stein vor den Torso, doch der Pfeil traf etwa zwei Fuß zu weit rechts auf.

»Das hatte ich schon geahnt«, sagte er und machte sich wieder an der Waffe zu schaffen. »Die Windkraft mußte ich erst einmal ausprobieren.«

Ich schaute mich nach kleineren Steinen um, die ich nach ihm hätte werfen können, doch in der Nähe waren keine zu sehen. Daraufhin wandten sich meine Gedanken dem Juwel zu. Angeblich bot es Schutz vor unmittelbarer Gefahr. Aber ich hatte das seltsame Gefühl, daß so etwas nur aus geringer Nähe funktionierte und daß Brand darüber Bescheid wußte und sich das Phänomen zunutze machte. Konnte ich nichts anderes mit dem Juwel unternehmen, um sein Vorhaben zu vereiteln? Für den Lähmungstrick schien er mir zu weit entfernt zu sein, doch ich hatte ihn schon einmal überwältigt, indem ich das Wetter zu meinen Gunsten steuerte. Ich fragte mich, wie weit das Unwetter entfernt war. Ich griff danach und erkannte, daß es Minuten dauern würde – Minuten, die ich nicht hatte –, um jene Bedingungen zu schaffen, aus denen heraus ich einen Blitzstrahl gegen ihn richten konnte. Die Winde aber standen auf einem anderen Blatt. Ich verband mich mit ihnen, spürte sie . . .

Brand war beinahe fertig. Der Wind begann durch den Paß zu kreischen.

Ich habe keine Ahnung, wo sein nächster Schuß landete. Jedenfalls nicht in meiner Nähe. Wieder begann er die Waffe zu spannen, während ich die Faktoren für einen Blitzstrahl zusammenzuholen begann . . .

Als er fertig war, als er wieder die Waffe hob, ließ ich den Wind erneut heftiger wehen. Ich sah ihn zielen, sah ihn tief Luft holen und den Atem anhalten. Dann senkte er den Bogen und starrte mich an. »Eben geht mir auf«, rief er, »daß du den Wind in der Tasche hast, habe ich nicht recht? Das ist Betrügerei, Corwin!« Er sah sich um. »Ich müßte eine Position finden, in der es nicht darauf ankommt. Aha!«

Ich arbeitete weiter an den Umständen, die zu seiner Vernichtung führen konnten, war aber noch nicht am Ziel. Ich blickte zum rot und schwarz gestreiften Himmel empor, an dem sich über uns etwas Wolkenähnliches bildete. Bald, aber noch war es nicht soweit . . .

Brand verblaßte und verschwand erneut. Verzweifelt suchte ich ihn überall.

Dann stand er mir gegenüber. Er war auf meine Seite des Passes herübergekommen. Er stand etwa zehn Meter südlich von mir und hatte den Wind im Rücken. Ich wußte, daß ich die Luftströmung nicht mehr rechtzeitig umlenken konnte, und überlegte, ob ich meinen Felsbrocken werfen sollte. Wahrscheinlich würde er sich ducken, womit ich dann meinen Schild loswürde. Andererseits . . .

Er hob die Waffe an die Schulter.

Aufschub! rief ich mir innerlich zu, während ich weiter den Himmel manipulierte.

»Ehe du schießt, Brand, mußt du mir eine Sache verraten. Einverstanden?«

Er zögerte, dann senkte er die Waffe um einige Zentimeter.

»Was?«

»Hast du mir die Wahrheit gesagt über die Ereignisse – mit Vater, dem Muster, dem Anrücken des Chaos?«

Er warf den Kopf in den Nacken und lachte. Es klang wie ein Bellen.

»Corwin«, sagte er schließlich, »es freut mich unbeschreiblich, dich sterben zu sehen, ohne daß du etwas weißt, das dir soviel bedeutet.«

Wieder lachte er und hob die Waffe. Ich hatte eben den Stein gehoben, um ihn zu werfen und dann auf meinen Bruder loszustürmen. Doch keiner von uns vermochte sein Vorhaben zu Ende zu bringen.

Von oben gellte ein lautes Kreischen herab, dann schien sich ein Stück Himmel zu lösen und Brand auf den Kopf zu fallen. Er schrie auf und ließ die Armbrust fallen. Er hob die Hände, um an dem Ding zu zerren, das ihn bedrängte. Der rote Vogel, der Juwelenträger, von den Händen meines Vaters aus meinem Blut geboren, war zurückgekehrt, um mich zu verteidigen.

Ich ließ den Felsbrocken los und ging auf Brand zu. Dabei zog ich meine Klinge. Brand schlug nach dem Vogel, der davonflatterte und an Höhe gewann. Das Tier beschrieb einen Bogen und setzte zu einem neuen Sturzflug an. Brand hob beide Arme, um Gesicht und Kopf zu schützen, doch vorher sah ich noch das Blut, das aus seinem linken Augenloch strömte.

Als ich auf ihn zustürmte, begann er wieder zu verblassen. Der Vogel aber stürzte wie eine Bombe herab, und seine Krallen trafen Brand wieder am Kopf. Gleich darauf begann der Vogel ebenfalls zu verschwimmen. Brand griff nach seinem roten Angreifer, von dem er heftig attackiert wurde; im gleichen Augenblick verschwanden beide.

Als ich den Schauplatz des Geschehens erreichte, war als einziges die hingefallene Armbrust zu sehen, die ich mit dem Stiefel zermalmte.

Noch nicht, noch nicht das Ende, verdammt! Wie lange wirst du mich plagen, Bruder? Wie weit muß ich noch gehen, um die Sache zwischen uns zu Ende zu bringen?

Ich kletterte zum Weg hinab. Star war noch nicht tot, und ich mußte ihn erlösen.

7

Eine Schale voller Zuckerwatte.

Nachdem ich den Paß nun hinter mir hatte, betrachtete ich das vor mir liegende Tal. Wenigstens nahm ich an, daß es sich um ein Tal handelte. Unter der dichten Wolken-Nebel-Decke war nichts auszumachen.

Am Himmel färbte sich einer der roten Streifen gelb, ein anderer grün. Dies munterte mich etwas auf, da sich der Himmel irgendwie ähnlich benommen hatte, als ich zum erstenmal den Rand aller Dinge aufsuchte, den Abgrund vor den Burgen des Chaos.

Ich schulterte mein Bündel und wanderte den Pfad hinab. Der Wind nahm allmählich ab. Vage hörte ich das Donnern des Unwetters, vor dem ich auf der Flucht war. Ich fragte mich, wohin Brand verschwunden war. Ich hatte das Gefühl, daß ich ihn so schnell nicht wiedersehen würde.

Auf halbem Weg, in der Gegend, da der Nebel mich einzuhüllen begann, entdeckte ich einen alten Baum und schnitt mir einen Wanderstab ab. Als der Baum mein Messer spürte, schien er aufzuschreien.

»Verdammt!« tönte eine Art Stimme aus seinem Innern.

»Du bist intelligent?« fragte ich. »Tut mir leid . . .«

»Ich habe lange gebraucht, um den Ast wachsen zu lassen. Vermutlich willst du ihn jetzt verbrennen?«

»Nein«, gab ich zurück. »Ich brauchte einen Spazierstock. Ich habe eine lange Wanderung vor mir.«

»Durch dieses Tal?«

»Genau.«

»Komm näher, damit ich dich besser spüren kann. Irgend etwas an dir scheint zu glühen.«

Ich trat einen Schritt vor.

»Oberon!« rief der Baum. »Ich kenne dein Juwel.«

»Nicht Oberon«, erwiderte ich. »Ich bin sein Sohn. Allerdings bin ich in seinem Auftrag unterwegs.«

»Dann nimm meinen Ast und meinen Segen noch dazu. Ich habe deinem Vater an manchem seltsamen Tag Schutz geboten. Er hat mich gepflanzt, weißt du.«

»Wirklich? Einen Baum pflanzen – das ist eines der wenigen Dinge, die ich Vater niemals habe tun sehen.«

»Ich bin kein normaler Baum. Er pflanzte mich hier ein als Zeichen für die Grenze.«

»Welche Grenze?«

»Ich bin das Ende des Chaos und der Ordnung – je nachdem, von welcher Seite man mich sieht. Ich kennzeichne eine Trennung. Hinter mir gelten andere Regeln.«

»Welche Regeln?«