»Ihr wolltet ihn also von vornherein betrügen«, sagte Random.
»Nicht wenn er sich an sein Wort hielt. Aber wir wußten genau, daß er das nicht tun würde. Wir schufen also die Ausgangsbasis für unsere Aktion gegen ihn.«
»Wie?«
»Wir wollten ihm gestatten, sein Ziel zu erreichen, und ihn dann vernichten. Sein Nachfolger sollte ein Mitglied der Königsfamilie von Amber sein, zugleich ein Angehöriger der ersten Familie der Höfe, ein Mann, der bei uns erzogen und für die Position ausgebildet worden war. Merlins Verbindung zu Amber leitet sich sogar von beiden Seiten her, durch meinen Vorfahren Benedict und direkt von dir selbst – den beiden begünstigsten Kandidaten für euren Thron.«
»Du entstammst dem königlichen Haus des Chaos?«
Sie lächelte.
Ich stand auf. Entfernte mich. Starrte in die Asche auf dem Kaminrost.
»Es stört mich irgendwie festzustellen, daß ich in ein nüchternes Fortpflanzungsprojekt verwickelt worden bin«, sagte ich schließlich. »Aber wenn das so ist und wenn man – für den Augenblick – deine Äußerungen als wahr hinnimmt – warum erzählst du uns das alles gerade jetzt?«
»Weil ich die Befürchtung habe«, antwortete sie, »daß die Lords meines Reiches für ihre Visionen so weit gehen würden wie Brand für die seinen. Und vielleicht noch weiter. Dabei geht es mir um das Gleichgewicht, von dem ich gesprochen habe. Nur wenigen scheint bewußt zu sein, wie leicht diese Balance zu stören ist. Ich bin durch die Schattenländer nahe Amber gereist, ich bin durch das eigentliche Amber geschritten. Außerdem kenne ich die Schatten, die auf Chaos´ Seite liegen. Ich habe viele Leute kennengelernt und viele Dinge gesehen. Als ich schließlich Martin begegnete und mit ihm sprach, wuchs in mir die Überzeugung, daß die Veränderungen, die man mir als wünschenswert hingestellt hatte, nicht einfach zu einer Umgestaltung Ambers im Sinne der Vorstellungen meiner Familienoberen führen würden. Vielleicht würde Amber durch sie zu einem bloßen Auswuchs der Höfe werden, die meisten Schatten würden davonschäumen und sich dem Chaos anschließen. Auf diese Weise würde Amber als Insel dastehen. Etliche führende Persönlichkeiten gesetzteren Alters, denen es mißfällt, daß Dworkin Amber überhaupt erst entstehen ließ, erstreben eine Rückkehr zu den Zeiten vor diesem Ereignis. Zum totalen Chaos, aus dem alle anderen Dinge erstehen. Ich sehe die augenblickliche Lage als erstrebenswerter an und möchte sie erhalten. Mein Wunsch wäre, daß aus einem etwaigen Konflikt keine Seite als Sieger hervorgeht.«
Ich wandte mich um und bekam noch mit, daß Benedict den Kopf schüttelte.
»Dann stehst du also auf keiner Seite«, bemerkte er.
»Ich sehe es gern so, daß ich auf beiden Seiten stehe«, gab sie zurück.
»Martin«, fragte ich, »bist du mit ihr in die Sache verwickelt?«
Er nickte.
Random lachte. »Ihr beide? Gegen Amber und die Burgen des Chaos? Was hofft ihr zu erreichen? Wie gedenkt ihr eure Vorstellung von einem Gleichgewicht durchzusetzen?«
»Wir sind nicht allein«, gab sie zurück, »und der Plan stammt auch nicht von uns.«
Daras Finger verschwanden in einer Tasche. Als sie sie wieder zum Vorschein brachte, schimmerte etwas darin. Sie hielt das Gebilde ins Licht. Es war der Siegelring unseres Vaters.
»Woher hast du ihn?« fragte Random.
»Woher sonst?«
Benedict ging auf sie zu und hielt ihr die Hand hin. Sie gab ihm den Ring. Er betrachtete das Schmuckstück.
»Es ist wirklich sein Ring«, meinte er. »Hier sind kleine Markierungen auf der Rückseite, die ich schon einmal gesehen habe. Warum hast du den Ring?«
»Erstens will ich euch damit überzeugen, daß ich autorisiert bin, seine Befehle zu übermitteln«, sagte sie.
»Wie kommt es, daß du ihn überhaupt kennst?« fragte ich.
»Ich lernte ihn vor einiger Zeit kennen, als er seine – Schwierigkeiten hatte«, erwiderte sie. »Im Grunde kann man sogar sagen, daß ich dabei geholfen habe, ihn davon zu befreien. Damals war ich Martin schon begegnet, und meine Sympathie galt in größerem Maße Amber. Abgesehen davon ist euer Vater ein charmanter Mann, der zu überzeugen versteht. Ich kam zu dem Schluß, daß ich nicht einfach zusehen durfte, wie er von meinesgleichen gefangengehalten wurde.«
»Weißt du, wie er ursprünglich festgesetzt wurde?«
Sie schüttelte den Kopf. »Mir ist nur bekannt, daß Brand für seine Anwesenheit in einem Schatten gesorgt hat, der so weit von Amber entfernt war, daß er dort überwältigt werden konnte. Wenn ich mich nicht irre, ging es um die Suche nach einem erfundenen Zauberwerkzeug, mit dem sich das Muster hätte instandsetzen lassen. Inzwischen weiß er, daß nur das Juwel dazu in der Lage ist.«
»Daß du ihm bei der Flucht geholfen hast . . . wie wirkte sich das auf die Beziehung zu deinen eigenen Leuten aus?«
»Nicht besonders gut«, sagte sie. »Ich bin vorübergehend ohne Heimat.«
»Und die suchst du hier?«
Wieder lächelte sie.
»Das hängt davon ab, wie sich die Dinge entwickeln. Wenn meine Leute sich durchsetzen, kann ich genauso gut zurückkehren – oder in den Schatten bleiben, die den Kampf überstehen.«
Ich zog einen Trumpf und betrachtete ihn.
»Was ist mit Merlin? Wo befindet er sich im Augenblick?«
»Sie haben ihn«, antwortete sie. »Ich fürchte, daß er inzwischen auf ihrer Seite steht. Er weiß, wer seine Eltern sind, aber man hat seine Erziehung lange unter Kontrolle gehabt, ich kann nicht sagen, ob man ihn dort irgendwie herausbekommt.«
Ich hob den Trumpf und starrte auf das Bild.
»Es nützt nichts«, meinte sie. »Zwischen hier und dort funktioniert das nicht.«
Mir fiel ein, wie schwer die Verständigung durch die Trümpfe im Grenzbereich jener Welt gewesen war. Ich versuchte es trotzdem.
Die Karte in meiner Hand fühlte sich plötzlich kalt an, und ich suchte die Verbindung. Denkbar schwach flackerte der Impuls einer Wesenheit. Ich verstärkte meine Anstrengungen.
»Merlin, hier ist Corwin«, sagte ich. »Hörst du mich?«
Ich glaubte eine Antwort zu hören, die Worte klangen nach: »Ich kann nicht . . .« Und dann nichts. Die Karte verlor ihre Kühle.
»Hast du ihn erreicht?« fragte sie.
»Ich weiß es nicht genau«, sagte ich. »Aber ich nehme es an. Für einen kurzen Augenblick.«
»Besser als ich gedacht hätte«, meinte sie. »Entweder sind die Bedingungen gut, oder euer Verstand ist sehr ähnlich.«
»Als du mit Vaters Siegelring zu fuchteln begannest, sagtest du etwas von Befehlen«, sagte Random. »Was für Befehle? Und warum schickt er sie durch dich?«
»Es ist eine Frage der zeitlichen Abstimmung.«
»Zeitliche Abstimmung? Himmel! Er ist doch erst heute hier abgerauscht!«
»Ehe er mit etwas Neuem anfangen konnte, mußte er eine andere Sache zu Ende bringen. Er hatte keine Ahnung, wie lange das dauern würde. Ich habe mit ihm gesprochen, unmittelbar bevor ich hierherkam – wenn ich auch nicht auf einen solchen Empfang gefaßt war. Er ist jedenfalls bereit, die nächste Phase in Angriff zu nehmen.«
»Wo hast du mit ihm gesprochen?« fragte ich. »Wo ist er?«
»Keine Ahnung. Er setzte sich mit mir in Verbindung.«
»Und . . .?«
»Er möchte, daß Benedict sofort angreift.«
Nun rührte sich Gérard in dem riesigen Ohrensessel, in dem er das bisherige Gespräch verfolgt hatte. Er stand auf, hakte die Daumen in den Gürtel und blickte auf Dara hinab.
»Ein solcher Befehl müßte schon direkt von Vater kommen.«
»Das tut er auch«, sagte sie.
Er schüttelte den Kopf. »Ich sehe keinen Sinn darin. Warum sollte er jemanden wie dich ansprechen – jemanden, dem zu trauen wir wenig Grund haben – und nicht einen von uns?«
»Ich nehme nicht an, daß er euch im Augenblick erreichen könnte. Mich aber vermochte er anzusprechen.«
»Warum?«
»Er arbeitete ohne Trumpf. Für mich hat er gar keinen. Er machte sich einen Zurückstrahl-Effekt der schwarzen Straße zunutze, ähnlich wie Brand einmal Corwin entkommen konnte.«
»Du weißt ja viel von den Dingen, die sich hier abgespielt haben.«