»Liegt wohl in der Familie.«
»Es tat mir leid, ihn töten zu müssen. Er ließ mir auch kaum eine andere Wahl. Das ist alles lange her, doch ich erinnerte mich deutlich an ihn, also muß er mich irgendwie beeindruckt haben.«
»Und Lorraine?«
»Das Land? Gute Arbeit, dachte ich. Gut gelungen, meinte ich. Ich bearbeitete den entsprechenden Schatten, der allein durch meine Gegenwart an Stärke gewann, wie es mit jedem Schatten geschieht, wenn einer von uns sich längere Zeit darin aufhält – wie bei dir in Avalon und später der andere Ort. Und ich erkannte, daß ich dort viel Zeit gewinnen konnte, indem ich dem dortigen Zeitstrom meinen Willen aufzwang.«
»Ich wußte nicht, daß so etwas möglich ist.«
»Beginnend mit der ersten Einführung in das Muster, wächst in einem die Kraft. Viele Dinge mußt du noch lernen. Ja, ich stärkte Lorraine und machte es besonders empfindsam gegenüber der wachsenden Macht der schwarzen Straße. Ich sorgte dafür, daß es auf deinem Weg liegen würde, wohin du auch gehen wolltest. Nach deiner Flucht führen alle Straßen nach Lorraine.«
»Warum?«
»Es war eine Falle, die ich dir gestellt hatte, vielleicht auch eine Art Prüfung für dich. Ich wollte bei dir sein, wenn du auf die Mächte des Chaos stießest. Außerdem wollte ich dich eine Zeitlang auf deinen Reisen begleiten.«
»Eine Prüfung? In welcher Beziehung hast du mich geprüft? Und warum wolltest du mich begleiten?«
»Kannst du dir das nicht denken? Im Laufe der Jahre habe ich euch alle genau beobachtet. Ein Nachfolger wurde aber von mir nicht bestimmt – diese Frage ließ ich absichtlich offen. Ihr alle seid mir hinreichend ähnlich, um zu wissen, daß in dem Augenblick, da ich einen von euch zum Thronwärter ernannte, sein oder ihr Todesurteil unterschrieben gewesen wäre. Nein. Ich habe die Dinge absichtlich bis zum Schluß im unklaren gelassen. Inzwischen habe ich meine Entscheidung allerdings getroffen. Du sollst der Nachfolger sein.«
»In Lorraine hast du dich einmal kurz bei mir gemeldet, in deiner wahren Gestalt. Du fordertest mich dabei auf, den Thron zu übernehmen. Wenn du dir damals schon darüber klar warst, warum hast du dann die Maskerade fortgesetzt?«
»Aber die Entscheidung war doch noch gar nicht gefallen! Es ging mir nur darum, dich weiter bei der Stange zu halten. Ich fürchtete, deine Gefühle für das Mädchen und das Land könnten zu stark werden. Als Held des Schwarzen Kreises hättest du es vorziehen können, dort seßhaft zu werden. Ich pflanzte dir lediglich die Gedanken ein, die dazu führen mußten, daß du deine Reise fortsetztest.«
Ich schwieg eine lange Zeit. Wir hatten um das Muster bereits einen großen Bogen gemacht.
»Etwas muß ich ganz genau wissen«, sagte ich schließlich. »Bevor ich zu dir kam, sprach ich mit Dara, die sich bemüht, ihren Namen bei uns reinzuwaschen . . .«
»Das ist bereits geschehen«, sagte er. »Ich spreche ihr das Vertrauen aus.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Ich verzichtete darauf, ihr etwas vorzuwerfen, das mir seit einiger Zeit im Kopf herumgeht. Es gibt einen guten Grund für meine Annahme, daß man ihr nicht trauen darf – trotz ihrer Argumente und deiner Fürsprache. Eigentlich sogar zwei Gründe.«
»Ich weiß, Corwin. Aber sie hat Benedicts Dienstboten nicht umgebracht, um ihre Position in seinem Haus zu festigen. Ich habe das getan, um dafür zu sorgen, daß sie dich – wie es dann geschah – im richtigen Moment erreichte.«
»Du? Du stecktest mit ihr unter einer Decke? Weshalb?«
»Sie wird dir eine gute Königin sein, mein Sohn. Ich vertraue auf die Kraft des Blutes aus dem Chaos. Es wurde Zeit, daß wir frisches Blut hinzubekamen. So wirst du den Thron übernehmen und bereits einen Erben haben. Wenn er für sein Amt bereit ist, wird Merlin die Folgen seiner Erziehung längst überwunden haben.«
Wir hatten die schwarze Verfärbung des Musters erreicht. Ich blieb stehen, hockte mich nieder und betrachtete die Erscheinung.
»Du meinst, dieses Ding wird dich umbringen?« fragte ich endlich.
»Ich weiß, daß es so kommen wird.«
»Dir macht es nichts aus, unschuldige Menschen zu ermorden, um mich zu manipulieren. Trotzdem würdest du für das Königreich dein Leben opfern.« Ich blickte ihn an. »Ich habe auch keine sauberen Hände«, fuhr ich fort, »und maße mir kein Urteil über dich an. Doch als ich vorhin Anstalten machte, das Muster zu beschreiten, ging mir durch den Kopf, wie sehr sich doch meine Gefühle verändert hatten – gegenüber Eric, gegenüber dem Thron. Du handelst, glaube ich, auch aus einem Gefühl der Pflicht heraus. Auch ich fühle mich jetzt verpflichtet, gegenüber Amber, gegenüber dem Thron. Eigentlich sogar mehr, viel mehr, wie mir vorhin aufging. Aber mir ist auch etwas anderes klargeworden, etwas, worauf sich mein Pflichtgefühl nicht erstreckt. Ich weiß nicht, wann oder wie mein Bestreben aufgehört hat und ich mich verändert habe – aber ich möchte den Thron nicht mehr, Vater. Es tut mir leid, wenn das deine Pläne durcheinanderbringt, aber ich möchte nicht König von Amber werden. Bedaure.«
Ich wandte den Kopf und betrachtete wieder die unheilvolle Schwärung des Musters. Ich hörte ihn seufzen.
»Ich werde dich jetzt nach Hause schicken«, sagte er schließlich. »Sattle dein Pferd und nimm Vorräte mit. Der Ritt ist weit. Begib dich an einen Ort außerhalb Ambers – egal wohin, es muß nur einigermaßen abgelegen sein.«
»Mein Grabmal?«
Er schnaubte durch die Nase und stimmte ein leises Lachen an. »Das müßte genügen. Reite dorthin und erwarte meine weiteren Anweisungen! Ich muß nachdenken.«
Ich stand auf. Er streckte den Arm aus und legte mir die rechte Hand auf die Schulter. Das Juwel pulsierte. Er blickte mir in die Augen.
»Niemand bekommt alles, was er haben will, so wie er es haben will«, sagte er.
Es trat eine Art Distanzierungseffekt ein, wie die Kraft eines Trumpfs, aber in umgekehrter Richtung. Ich vernahm Stimmen und erblickte ringsum das Zimmer, das ich vor einiger Zeit verlassen hatte. Benedict, Gérard, Random und Dara waren bei mir. Ich spürte, wie Vater meine Schulter losließ. Dann war er fort, und ich befand mich wieder bei den anderen.
»Was ist passiert?« fragte Random. »Wir haben gesehen, wie Vater dich zurückgeschickt hat. Wie hat er das übrigens gemacht?«
»Keine Ahnung«, antwortete ich. »Jedenfalls bestätigt er Daras Angaben. Er gab ihr den Siegelring und die Botschaft.«
»Warum?« fragte Gérard.
»Wir sollten lernen, ihr zu vertrauen«, antwortete ich.
Benedict stand auf. »Dann will ich tun, was man mir aufgetragen hat.«
»Er möchte, daß du angreifst und dann zurückweichst«, sagte Dara. »Danach brauchst du sie lediglich in Schach zu halten.«
»Für wie lange?«
»Er sagte nur, das würde dir dann schon klar.«
Benedict lächelte, was er selten tat, und nickte. Er bediente sein Kartenetui mit einer Hand, nahm die Karten heraus und zog den speziellen Trumpf für die Höfe des Chaos, den ich ihm gegeben hatte.
»Viel Glück«, sagte Random.
»Ja«, betonte Gérard.
Ich äußerte ebenfalls meine Glückwünsche und sah zu, wie er verblaßte. Als das regenbogenbunte Nachbild verschwunden war, wandte ich mich ab und bemerkte dabei, daß Dara lautlos weinte. Ich machte keine Bemerkung darüber.
»Auch ich habe jetzt meine Befehle – gewissermaßen«, sagte ich. »Ich muß los.«
»Und ich kehre auf das Meer zurück«, verkündete Gérard.
»Nein«, hörte ich Dara sagen, als ich mich bereits der Tür näherte. Ich blieb stehen.
»Du sollst hierbleiben, Gérard, und dich um die Sicherheit Ambers kümmern. Einen Angriff zur See wird es nicht geben.«
»Aber ich dachte, Random wäre hier für die Verteidigung zuständig.«
Sie schüttelte den Kopf. »Random soll zu Julian nach Arden reiten.«
»Bist du sicher?« fragte Random.
»Ganz sicher.«
»Gut«, sagte er. »Hübsch zu wissen, daß er wenigstens an mich gedacht hat. Tut mir leid, Gérard, so ist die Lage.«