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Als ich den Pfad erreichte, der den Südhang Kolvirs hinabführte, hatte sich die Landschaft bereits verändert. Vor mir lag nicht die steile Tiefe, sondern eine Folge flacher Hänge. Schon drang ich in die Schattenländer ein.

Als ich meinen Weg fortsetzte, lag die schwarze Straße wie eh und je als schwarze Narve zu meiner Linken; allerdings war das Garnath, durch das sie schnitt, in leicht besserer Verfassung als die Region, die ich bis in den letzten Winkel kannte. Die Konturen waren weicher, aufgelockert durch grünen Bewuchs, der näher an den toten Streifen heranreichte. Es war, als sei mein Fluch auf dieses Land leicht abgemildert worden. Natürlich eine Illusion des Gefühls, befand ich mich doch eigentlich nicht mehr in meinem Amber. Meine Rolle hierbei tut mir leid, sagte ich im Geiste auf wie ein Gebet. Ich bin unterwegs, um mein Tun vielleicht rückgängig zu machen. Verzeih mir, Geist dieses Ortes. Mein Blick wandte sich in die Richtung, in der sich der Hain des Einhorns befinden mußte, doch er lag zu weit im Westen und wurde durch zu viele Bäume verstellt, als daß ich auch nur einen Zipfel jenes heiligen Ortes zu sehen bekam.

Im weiteren Verlauf meines Rittes flachte der Hang noch mehr ab und ging in eine Reihe sanfter Vorberge über. Hier ließ ich Star schneller gehen, zuerst in südwestlicher Richtung, dann nach Süden. Immer tiefer kam ich. Links funkelte und flirrte in großer Entfernung das Meer. Bald würde sich die schwarze Straße zwischen uns schieben, denn mein Weg nach Garnath brachte mich ihr näher. Was immer ich mit den Schatten anstellte – jene unheildrohende Erscheinung würde ich nicht auslöschen können. Im Grunde führte der schnellste Weg zu meinem Ziel parallel zu ihr.

Endlich erreichten wir den Talgrund. Der Wald von Arden ragte in großer Entfernung rechts von mir auf, sich nach Westen erstreckend, immens und undurchdringlich. Ich ritt weiter und gab mir große Mühe, neue Veränderungen zu bewirken, die mich noch weiter von zu Hause fortführten.

Ich hielt mich zwar in der Nähe der schwarzen Straße, achtete aber auf Abstand. Es blieb mir nichts anderes übrig, war sie doch das einzige, das ich nicht zu ändern vermochte. Ich achtete darauf, daß uns Büsche, Bäume und niedrige Hügel trennten.

Und wieder schickte ich meinen Geist auf die Reise, und die Beschaffenheit der Landschaft veränderte sich.

Achatadern . . . Haufen von Schiefergestein . . . ein Abdunkeln des Grüns . . .

Wolken schwammen durch den Himmel . . . Die Sonne schimmerte und tanzte . . .

Wir erhöhten das Tempo. Das Land fiel noch weiter ab. Die Schatten wurden länger und verschmolzen miteinander. Der Wald wich zurück. Rechts von mir wuchs eine Felswand empor, eine zweite erschien zu meiner Linken . . . Ein kalter Wind verfolgte mich durch den zerklüfteten Canyon. Himmelsstreifen – rot, golden, gelb und braun – zuckten vorüber. Der Canyongrund wurde sandig. Staubteufel umtanzten uns. Als der Weg anzusteigen begann, beugte ich mich noch weiter vor. Die einwärts geneigten Felsmauern rückten dichter zusammen. Der Weg wurde schmaler, immer schmaler. Beinahe vermochte ich beide Felswände zu berühren . . .

Oben stießen sie zusammen. Ich ritt durch einen schattengefüllten Tunnel, das Pferd zügelnd, als es immer dunkler wurde. Phosphoreszierende Wesen erstanden vor meinen Augen. Der Wind erzeugte ein klagendes Geräusch.

Und wieder hinaus!

Das von den Felsmauern reflektierte Licht war blendend grell, und ringsum erhoben sich riesige Kristalle. Wir stürmten daran vorbei auf einem ansteigenden Weg, der von dieser Zone fortführte, durch eine Reihe moosbewachsener Täler laufend, in denen sich kleine und völlig runde Teiche still wie Glas erstreckten.

Riesige Farnwedel tauchten vor uns auf, und wir ritten hindurch. Ich hörte einen fernen Trompetenton.

Drehen, im Schritt reiten . . . Die Farne nun breiter und kürzer . . . Dahinter eine große Ebene, sich in einen rosa Abend erstreckend . . .

Weiter über helles Gras . . . Der Geruch frischer Erde . . . Weiter vorn Berge oder dunkle Wolken . . . Von links ein ganzer Sturz von Sternen . . . Ein kurzer Hauch sprühender Feuchtigkeit . . . Ein blauer Mond springt am Himmel empor . . . Es zuckt zwischen den dunklen Massen . . . Erinnerungen und ein Grollen . . . Geruch nach Unwetter und entfesselter Luft . . .

Ein kräftiger Wind . . . Wolken vor den Sternen . . . eine grelle Gabel spießt rechts von mir einen zerschmetterten Baum auf, läßt ihn hoch auflodern . . . Ein Kribbeln . . . der Geruch nach Ozon . . . ich werde von Regen überschüttet . . . links eine Reihe von Lichtern . . .

Klappernd über eine kopfsteingepflasterte Straße . . . Ein seltsames Fahrzeug nähert sich . . . rund, prustend . . . Wir gehen uns aus dem Weg . . . Ein Ruf verfolgt mich . . . In einem hellen Fenster ein Kindergesicht . . .

Getrappel . . . Wasserspritzen . . . Läden und Wohnhäuser . . . der Regen läßt nach, erstirbt, ist vorbei . . . Nebelschwaden werden vorbeigeweht, verharren, verdichten sich, leuchten perlig im Schein eines stärker werdenden Lichts zu meiner Linken . . .

Das Terrain verschwimmt, wird rot . . . Das Licht im Nebel wird noch heller . . . Frischer Wind, von hinten, zunehmende Wärme . . . Die Luft bricht auseinander . . .

Hellgelber Himmel . . . eine orangerote Sonne, die der Mittagsstunde entgegeneilt . . .

Ein Beben. Etwas, das ich nicht bewirkt habe, völlig überraschend . . . Unter uns bewegt sich der Boden, aber das ist nicht alles. Der neue Himmel, die neue Sonne, die rostrote Ebene, auf die ich soeben geritten bin – dies alles bläht sich auf und zieht sich wieder zusammen, verblaßt und kehrt zurück. Ein Krachen ertönt, und mit jedem Verblassen sehe ich Star und mich allein, inmitten eines weißen Nichts – Figuren ohne Hintergrund. Wir treten ins Leere. Das Licht kommt von überall und erhellt nur uns selbst. Ein gleichmäßiges Knacken füllt meine Ohren, wie von einem auftauenden arktischen Fluß, an dem ich einmal entlanggeritten bin. Star, der schon viele Schatten erlebt hat, stößt ein angstvolles Schnauben aus.

Ich sehe mich um. Verschwommene Umrisse erscheinen, festigen sich, werden klar. Meine Umwelt ist wiederhergestellt, wenn sie auch irgendwie verwaschener aussieht. Ein wenig Farbe ist der Welt genommen worden.

Wir wirbeln nach links und galoppieren auf einen niedrigen Hügel zu, ersteigen ihn, verhalten schließlich auf seiner höchsten Stelle.

Die schwarze Straße. Sie scheint ebenfalls entartet zu sein – aber mehr noch als der Rest. Sie windet sich unter meinem Blick, scheint im Hinschauen beinahe zu fließen. Das Knacken setzt sich fort, wird lauter . . .

Aus dem Norden pfeift ein Wind herbei, zuerst schwach, dann stärker werdend. In diese Richtung schauend, sehe ich, wie sich eine dunkle Wolkenmasse aufbaut.

Ich weiß, ich muß jetzt galoppieren wie nie zuvor in meinem Leben. Sternstunden der Vernichtung und Schöpfung ereignen sich an dem Ort, den ich besucht habe – wann? Egal. Die Wellen bewegen sich von Amber auswärts, und selbst Amber mag untergehen – und ich mit ihm. Wenn Vater nicht wieder alles in den Griff bekommt.

Ich schüttle die Zügel. Wir galoppieren nach Süden.

Eine Ebene . . . Bäume . . . etliche zerstörte Gebäude . . . Schneller . . .

Rauch über einem brennenden Wald . . . eine Flammenwand . . . vorbei . . .

Gelber Himmel, blaue Wolken . . . eine Armada von Segelschiffen, die vor mir vorbeikreuzen . . .

Schneller . . .

Die Sonne senkt sich wie ein Stück glühendes Eisen in einen Eimer Wasser, die Sterne werden zu Funken . . . Helles Licht auf einem geraden Weg . . . Geräusche im Dopplereffekt von dunklen Verschmierungen entstellt, ein Heulen . . . Heller das Licht, schwächer die Aussicht . . . grau zu meiner Rechten, zu meiner Linken . . . Noch heller . . . vor meinen Augen nichts als der Weg, auf dem ich reiten muß . . . Das Heulen steigert sich zu schrillem Kreischen . . . Umrisse laufen ineinander . . . Wir stürmen durch einen Tunnel aus Schatten . . . Er beginnt sich zu drehen . . .

Drehen, sich winden . . . Nur die Straße ist real . . . Die Welten wirbeln vorbei . . . Ich habe meine Kontrolle über die Welten aufgegeben und reite nun im Schwung der eigentlichen Kraft, erfüllt von dem einzigen Ziel, von Amber loszukommen und in Richtung Chaos zu rasen . . . Wind überfällt mich, und in meinen Ohren gellt der Schrei . . . Nie zuvor habe ich meine Macht über die Schatten bis an ihre Grenzen ausgelotet . . . Der Tunnel wird so glatt und nahtlos wie Glas . . . ich glaube, durch einen Wirbel zu reiten, durch einen Mahlstrom, durch das Herz eines Tornados . . . Star und ich sind in Schweiß gebadet . . . Ein unbezwingbares Gefühl des Fliehenmüssens überkommt mich, als würde ich verfolgt . . . Die Straße ist zu einer Abstraktion geworden . . . Meine Augen schmerzen, als ich den Schweiß fortzublinzeln versuche . . . diesen Ritt vermag ich nicht viel länger durchzuhalten . . . an der Schädelbasis pulsiert ein Schmerz . . .