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Sagt man einem Computer, er soll zwei beliebige Zahlen zwischen eins und zehn nennen, dann wird er Zahlen in einer echten Zufallssequenz ausgeben — vielleicht 2 und 3; vielleicht 1 und 9 und so weiter. Bittet man eine Reihe Menschen dasselbe zu tun und notiert ihre Antworten, dann erhält man eine Verteilung, die deutlich 3 und 7 favorisiert.

Wenn Menschen das Wort Zufall hören, denken sie an »unauffällige« Zahlen — nicht zu dicht an den Grenzen und auch nicht genau in der Mitte; sie dürfen auch nicht Teil einer unterstellten Sequenz sein (2,4,6)…

Mit anderen Worten, es gibt etwas, das man intuitive Zufälligkeit nennen könnte, und die unterscheidet sich beträchtlich von der richtigen.

War es denkbar, diesen Unterschied zu unserem Vorteil auszunutzen? In umfangreichen kommerziellen Anwendungen, bei denen es zum Beispiel um Wertpapierbestände oder Marketing oder Produktpreisplatzierung ging?

Wir gingen davon aus, dass wir ein kleines Stück vorangekommen waren. Die Arbeit war so gut gediehen, dass Arnies Nachricht (gelinde gesagt) wie ein Aberwitz wirkte.

Er räusperte sich. »Wir missverstehen uns. Das Team bleibt.«

»Wie bitte?«

»Es ist nicht meine Entscheidung, Scott.«

»Das sagten Sie bereits. Okay, es ist nicht Ihre Schuld. Aber wenn das Projekt weiterläuft…«

»Verlangen Sie keine Rechtfertigung von mir. Ich habe keine.«

Er ließ die letzten drei Worte regelrecht abtropfen.

»Fünf Jahre«, sagte ich. »Scheiße, Arnie. Fünf Jahre!«

»Es gibt keine Garantien. Nicht mehr. Sie wissen das so gut wie ich.«

»Es würde mir helfen, wenn ich wüsste, warum so entschieden wurde.«

Er wand sich in seinem Sessel. »Ich bin nicht befugt, darüber zu reden. Ihre Arbeit war ausgezeichnet, und ich werde das zu Papier bringen, wenn Sie wollen.«

»Soll das heißen, ich habe mir Feinde im Management gemacht?«

Er nickte kaum merklich. »Die Arbeit, die wir hier machen, ist ziemlich sensibel. Man ist nervös. Ich weiß nicht genau, ob Sie sich Feinde gemacht haben. Vielleicht haben Sie die falschen Freunde.«

Aber das war unwahrscheinlich. Ich hatte nicht sehr viele.

Leute, mit denen man mittags am Tisch saß oder sich ein Spiel der Twins ansah, sicher. Aber niemanden, den ich ins Vertrauen zog. Irgendwie war ich infolge einer schleichenden emotionalen Erosion einer von den Jungs geworden, die hart arbeiten und liebenswürdig lächeln und zu Hause den Abend mit ein paar Dosen Bier vor dem Breitwanddisplay verbringen.

Was ich übrigens auch an dem Tag tat, da Arnie Kunderson mich gefeuert hatte.

Das Apartment hatte sich nicht wesentlich geändert, seit ich es bezogen hatte. (Abgesehen von der Trennwand zum Schlafzimmer, die ich als eine Art Anschlagbrett benutzte. Nachrichtenausdrucke, Fotos der Chronolithen und ein Fülle eigenhändiger Notizen zu dem Thema.) Was es hier an Verbesserungen gab, war hauptsächlich Kaitlin zu verdanken. Kait war jetzt zehn und kritisierte vernichtend meinen Geschmack. Vermutlich kam sie sich dabei erwachsen vor. Ich hatte das Sofa ausgemustert, weil ich es leid war zu hören, wie »unzeitgemäß« so ein Möbel sei — Kaits bevorzugte Spottvokabel.

Wie dem auch sei, das alte Sofa war fort; statt seiner stand jetzt eine in gedämpftem Blau gepolsterte Sitzbank da, die fabelhaft aussah, bis man versuchte, es sich darauf bequem zu machen.

Ich überlegte, ob ich Janice anrufen sollte, entschied mich aber dagegen. Janice schätzte keine spontanen Anrufe. Sie zog es vor, von mir nach einem regelmäßigen und vorhersehbaren Zeitplan zu hören. Und was Kaitlin anging… besser man störte sie auch nicht. Und falls ich es doch tat, würde sie mir bestimmt wieder einen Vortrag halten, was sie heute alles mit ihrem Stiefvater unternommen hatte. Whit, wie sie ihn nannte und nennen sollte, war nach Kaits Ansicht ein toller Bursche. Whit brachte sie zum Lachen. Vielleicht sollte ich ja mit Whit reden. Vielleicht brachte er mich auch zum Lachen.

Also tat ich an diesem Abend überhaupt nichts, außer ein paar Dosen Bier in Reichweite zu deponieren und durch die Satelliten zu surfen.

Selbst die billigen Server brachten eine Reihe von Beiträgen aus Wissenschaft und Natur. Ein Beitrag zeigte aktuelles Material aus Thailand, von einer wirklich gefährlichen Expedition den Chao Phrya hinauf zu den Ruinen von Bangkok, gesponsert von der National Geographie Society und einem halben Dutzend Unternehmen, deren Logos im Vorspann gebührend zur Geltung kamen.

Ich drehte den Ton ab, ließ die Bilder für sich sprechen.

In den Jahren nach 2021 war von Bangkoks Stadtkern nur wenig wieder aufgebaut worden. Niemand wollte zu nahe am Chronolithen wohnen oder arbeiten — Gerüchte über eine »gesundheitsgefährdende Nähe« schreckten die Leute ab, obwohl die offiziellen klinischen Befunde nichts von einer derartigen Diagnose wussten. Banditen und Rebellenmilizen waren allerdings ziemlich real und allgegenwärtig. Trotz allem herrschte am Fluss ein lebhafter Handel, selbst im Schatten Kuins.

Die Kamera flog in mehreren Sequenzen über die Stadt. Primitive, schräge Rampen, die den Zugang zu roh gezimmerten Lagerhäusern erlaubten; ein Marktplatz; Bestände an frischem Obst und Gemüse; Ordnung, die in den Trümmern um sich griff; geräumte Straßen, die für den Handel offen waren. Aus dieser Höhe hatte man den Eindruck, Zeuge menschlicher Beharrlichkeit im Angesicht der Katastrophe zu werden. Aus Augenhöhe sah das nicht so ermutigend aus.

Während sich die Expedition dem Stadtzentrum näherte, war der Chronolith in jeder Einstellung präsent: Aus der Ferne beherrschte er den braunen Fluss, aus der Nähe ragte er in den tropischen Mittag.

Das Monument war auffallend sauber. Selbst Vögel und Insekten mieden es. Staub hatte sich in den wenigen windgeschützten Spalten des Gesichts gesammelt, ließ den geistesabwesenden Blick von Kuin eine Spur weicher scheinen. Aber selbst in diesem geschützten Nährboden wuchs nichts; das Monument war absolut steril. Wo es an einem Flussufer aufsaß, hatten ein paar Kletterpflanzen versucht, den riesigen achtkantigen Sockel zu erklimmen; doch die spiegelglatte Oberfläche bot keinerlei Halt, war abweisend.

Die Expedition ging in Flussmitte vor Anker und man stieg ans Ufer, um noch mehr Bildmaterial zu sammeln. In einer solchen Sequenz fegte ein Unwetter über die uralte City. Sturzbäche kamen den Chronolithen herunter, kleine Wasserfälle wühlten Schlammwolken vom Grund des Flusses auf. Die dockseitigen Händler deckten ihre Stände mit Planen und Kunststofffolien ab und suchten Schutz darunter.

Harter Schnitt zu einem wilden Affen auf einer zusammengebrochenen Exxon-Reklametafel, der den Himmel anblaffte.

Die Wolken rings um den vorspringenden Teil von Kuins Riesenschädel rissen auseinander.

Nahe am grünen Horizont brach die Sonne hervor, der Schatten des Chronolithen fiel wie der Zeiger einer gigantischen, trostlosen Sonnenuhr über die Stadt.

Es kam noch mehr, aber nichts Aufschlussreiches. Ich schaltete ab und ging schlafen.

Wir im Westen hatten uns inzwischen auf bestimmte Begriffe geeinigt, um die Chronolithen zu beschreiben. Sie tauchten auf oder kamen an… obgleich manche das Verb aufsetzen vorzogen, als handle es sich um eine Art landenden Senkrechtstarter. Der jüngste Chronolith war vor mehr als achtzehn Monaten aufgetaucht (angekommen, gelandet) und hatte das Hafenviertel von Macao eingeebnet. Nur ein halbes Jahr zuvor hatte ein ähnliches Monument Taipeh zerstört.

Beide Denkmäler »erinnerten« wie üblich an militärische Siege, die ungefähr zwanzig Jahre in der Zukunft stattfanden. Dreiundzwanzig: mitnichten eine menschliche Lebensspanne, aber lange genug für Kuin (so er existierte, so er mehr war als nur ein gesponnenes Symbol oder eine Abstraktion), um eine Streitmacht für seine mutmaßlichen Eroberungen in Asien aufzustellen. Lange genug für ein junges Mädchen, um eine junge Frau zu werden.