Sie kam in Form eines weiteren unerwarteten Anrufs.
Kein Happy-End, nein. Überhaupt kein Ende. Und ganz gewiss kein glückliches.
Janice und Whit luden mich zum Dinner ein. Sie taten dies vierteljährlich, so wie man sich an einem Versorgungsplan beteiligt oder eine ehrenwerte karitative Einrichtung unterstützt.
Janice war keine alleinerziehende Mutter mehr und sie musste auch nicht mehr zur Miete wohnen. Indem sie Whitman Delahunt geheiratet hatte, ihren Vorgesetzten aus dem Biochemielabor, hatte sie diese Stigmata abgestreift. Whit war ein ambitionierter Bursche mit ernst zu nehmenden Führungsqualitäten. Als den Westmärkten im Zuge der Asienkrise die biochemischen Billigimporte aus China und Taiwan abhanden kamen, hatte Clarion Pharma naturgemäß prosperieren können. (Whit redete manchmal von den Chronolithen als »Gottes kleinem Schutzzoll«, was Janice ein nervöses Lächeln entlockte). Ich glaube nicht, dass Whit mich besonders mochte, aber er akzeptierte mich als eine Art Hinterwäldler, den ein leidiger Unfall zum Vater von Kaitlin gemacht hatte.
Ich muss fairerweise sagen, dass er sich — zumindest an diesem Abend — redlich bemühte, nett zu sein. Er machte die Tür seines zweistöckigen Eigenheims auf, stand in einer Aura aus goldenem Licht und grinste. Whit war einer von diesen rundlichen Softies mit der Figur und der Behaarung eines Teddybären. Nicht stattlich, aber das, was Frauen »süß« nennen. Er war zehn Jahre älter als Janice, bekam eine Glatze und stand dazu. Sein Grinsen war so breit, dass es bereits unglaubwürdig wirkte, und seine Zähne waren strahlend weiß. Whit hatte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den besten Zahnarzt, den besten Kardiologen und den besten Wagen vom ganzen Block. Ob es für Janice und Kaitlin eine Strapaze war, die beste Frau und die beste Tochter zu sein?
»Hereinspaziert, Scott«, rief er. »Zieh die Stiefel aus und wärm dich am Kamin.«
Wir speisten im geräumigen Esszimmer, wo Bleiglasscheiben vom Feinsten an ihren Rahmen rüttelten. Kait plauderte ein bisschen über die Schule. (Sie hatte dieses Jahr Probleme, vor allem in Mathe). Whit erzählte mit weitaus größerem Enthusiasmus von seiner Arbeit. Janice fuhr nach wie vor ziemlich monotone Proteinsynthesen bei Clarion und verlor kein Wort darüber. Es schien ihr nichts auszumachen, dass Whit das große Wort führte.
Kait entschuldigte sich und stürmte ins angrenzende Zimmer, wo der Fernseher schon die ganze Zeit mit dem Wind um die Wette murmelte. Whit holte eine Karaffe mit Brandy. Er servierte die Drinks etwa so linkisch wie ein Westmensch, der eine japanische Teezeremonie zelebrieren möchte. Whit trank nicht eben viel.
Er sagte: »Ich fürchte, ich habe die ganze Zeit geredet. Wie steht es mit dir, Scott? Wie geht es dir?«
»Fortune presents gifts not according to the book.«[12]
»Scotty rezitiert mal wieder«, lachte Janice.
»Was ich meine, ist: Man hat mir einen Job angeboten.«
»Du willst bei Campion-Miller aufhören?«
»Es ist jetzt zwei Wochen her, dass sich unsere Wege getrennt haben.«
»Oh! Mutige Entscheidung, Scott.«
»Danke, Whit, aber danach sah es erst mal nicht aus.«
Janice schien besser zu verstehen, worum es ging. »Und bei wem bist du jetzt?«
»Na ja, es ist noch nicht spruchreif, aber — erinnerst du dich an Sue Chopra?«
Janice runzelte die Stirn. Dann weiteten sich ihre Augen. »Ja! Cornell, richtig? Die Junior-Professorin, die diese spinnerte Einführungsvorlesung gehalten hat.«
Janice und ich waren uns an der Universität begegnet. Als ich sie das erste Mal sah, spazierte sie durchs Chemielabor mit einer Flasche Lithium-Aluminiumhydroxid in der Hand. Hätte sie die Flasche fallen lassen, hätte sie uns damit umbringen können. Erste Regel einer stabilen Beziehung: Lass die verdammte Flasche nicht fallen.
Es war Janice, die mich mit Sulamith Chopra bekannt gemacht hatte, einer lächerlich großen und klotzigen Promovierten, die dabei war, sich im Fachbereich Physik zu profilieren. Man hatte Sue (wahrscheinlich als Strafe für irgendeine akademische Indiskretion) ein fachbereichsübergreifendes Seminar für Zweit- und Drittsemestier aufgehalst, das Anglistikstudenten als naturwissenschaftliche und Studenten der Naturwissenschaft als anglistische Veranstaltung angerechnet wurde. Weshalb sie spornstreichs ein Curriculum schrieb, das so einschüchternd war, dass es alle abschreckte, bis auf ein paar naive Kunstapostel und versponnene Computerfreaks. Und mich. Die erfreuliche Überraschung war, dass Sue keinerlei Interesse hatte, jemanden durchfallen zu lassen. Sie hatte die Seminarbeschreibung so verfasst, dass die Parvenüs außen vor blieben. Mit dem Rest von uns wollte sie einfach nur eine interessante Unterhaltung führen.
Also wurde aus Metaphor and Reality-Modeling in Literature and the Physical Science[13] ein allwöchentlicher Salon und alles, was wir für ein »befriedigend« tun mussten, war zu zeigen, dass wir ihre Papiere gelesen hatten, und zu vermeiden, sie mit unseren Einlassungen zu langweilen. Gewonnen hatte man, wenn man sie nach ihren bevorzugten Forschungsobjekten fragte (die Calabi-Yau-Geometrie zum Beispiel oder den Unterschied zwischen prä- und kontextuellen Einflüssen); dann konnte sie zwanzig Minuten am Stück reden und benotete uns nach der Glaubwürdigkeit, mit der wir unsere gespannte Aufmerksamkeit zur Schau trugen.
Aber mit Sue konnte man auch lachen und sich zu abstrusem Unsinn versteigen, so dass ihre Stunden meist ausufernde und zwanglose Diskurse waren. Und gegen Ende des Semesters hatte ich aufgehört, in ihr den sechs Fuß vier Zoll großen, glupschäugigen und unmöglich gekleideten Kauz zu sehen und angefangen, sie als die lustige, vor Intelligenz sprühende Frau wahrzunehmen, die sie war.
Ich sagte: »Sue Chopra hat mir eine Stelle angeboten.«
Janice wandte sich an Whit und sagte: »Eine von den Cornell-Profs. Stand sie nicht kürzlich in der Zeitung?«
Schon möglich, aber das kam mir jetzt ungelegen. »Sie gehört zu einem mit Bundesmitteln finanzierten Forschungsprojekt. Sie hat genug Einfluss, um eine Hilfskraft einzustellen.«
»Sie hat sich mit dir in Verbindung gesetzt?«
Whit sagte: »Das klingt aber jetzt gar nicht nett.«
»Schon gut, Whit. Janice will sagen: Was kann eine Powerfrau wie Sulamith Chopra schon mit einem kleinen Programmierer wie mir anfangen? Die Frage ist berechtigt.«
Janice sagte: »Und die Antwort…?«
»Vermutlich braucht man noch so einen kleinen Programmierer.«
»Du hast ihr gesagt, du suchst Arbeit?«
»Naja, du weißt schon. Wir halten Kontakt.«
(Ich finde dich, wenn ich dich brauche, Scotty. Keine Bange.)
»Ah-ah«, machte Janice, womit sie mir zu verstehen gab, dass sie mir nicht glaubte. Aber sie hakte nicht nach.
»Prima, Scott«, sagte Whit. »Harte Zeiten, um ohne Arbeit zu sein. Wirklich prima.«
Damit war die Sache ausgestanden, aber nur bis nach dem Essen. Whit hatte sich entschuldigt und Janice wartete, bis er außer Hörweite war. »Du hast doch noch etwas auf dem Herzen.«
Etliches, doch erst mal das: »Der Job ist in Baltimore.«
»Baltimore?«
»Baltimore, Maryland.«
»Du meinst, du ziehst an den Atlantik?«
»Wenn ich den Job kriege. Wie gesagt, das ist noch nicht raus.«
»Du hast doch Kaitlin nichts gesagt.«
»Nein, hab ich nicht. Ich wollte erst mit dir darüber reden.«
»Ahaahh. Tja, ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich meine, das kommt wirklich plötzlich. Die Frage ist, wie Kait reagiert. Schwer zu sagen. Nichts für ungut, aber in letzter Zeit redet sie nicht mehr so viel von dir.«