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»Hast du denn eines gehabt?« fragte Schatow, der die ganze Zeit über sehr aufmerksam zugehört hatte, und stieß mich mit dem Ellbogen an.

»Gewiß doch! Ein ganz kleines, rosiges, mit so winzigen Nägelchen, und mein ganzer Kummer ist, daß ich mich nicht erinnern kann, ob es ein Knabe oder ein Mädchen war. Bald ist es mir, als sei es ein Knabe, bald, als sei es ein Mädchen gewesen. Und als ich es damals geboren hatte, wickelte ich es gleich in Batist und Spitzen und umwand es mit rosa Bändern und bestreute es mit Blumen und putzte es an und verrichtete ein Gebet über ihm und trug es ungetauft weg; ich trug es durch einen Wald und fürchtete mich vor dem Walde, und mir war so bange, und am meisten weinte ich darüber, daß ich es geboren hatte und meinen Mann nicht kannte.«

»Hast du denn einen gehabt?« fragte Schatow vorsichtig.

»Du kommst mir lächerlich vor, lieber Schatow, mit deinen Einwendungen. Ich hatte einen, ich werde wohl einen gehabt haben; aber was hilft mir das, wenn es ganz ebenso ist, als ob ich keinen gehabt hätte? Da hast du ein leichtes Rätsel; nun rate mal!« fügte sie lächelnd hinzu.

»Wo hast du das Kind denn hingetragen?«

»In den Teich habe ich es getragen,« antwortete sie seufzend.

Schatow stieß mich wieder mit dem Ellbogen an.

»Wie aber, wenn du überhaupt kein Kind gehabt hast und das alles nur ein Hirngespinst ist, wie?«

»Da legst du mir eine schwere Frage vor, lieber Schatow,« antwortete sie nachdenklich und ohne über eine solche Frage irgendwie erstaunt zu sein. »Darüber kann ich dir nichts sagen; vielleicht habe ich auch keins gehabt; meiner Meinung nach ist das von dir nur Neugier. Aber jedenfalls werde ich immer über das Kindchen weinen; habe ich es denn nicht im Traume gesehen?« Und große Tränen glänzten in ihren Augen. »Lieber Schatow, lieber Schatow, ist das wahr, daß dir deine Frau weggelaufen ist?« fragte sie, indem sie ihm plötzlich beide Hände auf die Schultern legte und ihn mitleidig anblickte. »Sei mir nicht böse wegen der Frage; mir ist ja auch traurig ums Herz. Weißt du, lieber Schatow, mir hat geträumt, er käme wieder zu mir und riefe lockend: ›Komm her, mein Kätzchen; komm zu mir, mein Kätzchen!‹ Am meisten freute ich mich darüber, daß er ›mein Kätzchen‹ sagte; er liebt mich noch, dachte ich.«

»Vielleicht wird er auch in Wirklichkeit kommen,« murmelte Schatow halblaut.

»Nein, lieber Schatow, das war ein Traum ... in Wirklichkeit kann er nicht kommen. Kennst du das Lied:

›Statt deines Prunkgemachs erwähle

Ich diese enge Zelle mir;

Daß meiner und auch deiner Seele

Sich Gott erbarme, bet' ich hier.‹

Ach, mein lieber, guter Schatow, warum fragst du mich nie nach etwas?«

»Du sagst ja doch nichts; deshalb frage ich dich erst gar nicht.«

»Ich werde nichts sagen, ich werde nichts sagen, und wenn man mich in Stücke reißt; ich werde nichts sagen,« fiel sie schnell ein. »Und wenn man mich brennt, werde ich nichts sagen. Was ich auch erdulden muß, ich werde nichts sagen, die Leute werden nichts erfahren.«

»Nun, siehst du, so hat also jeder sein Geheimnis,« sagte Schatow noch leiser und ließ den Kopf immer tiefer herabsinken.

»Aber wenn du mich bätest, würde ich es vielleicht doch sagen!« wiederholte sie verzückt. »Warum bittest du mich nicht? Bitte mich, bitte mich hübsch, lieber Schatow; vielleicht werde ich es dir sagen; bitte mich inständig, lieber Schatow, damit ich es gern tue ... lieber Schatow, lieber Schatow!«

Aber der liebe Schatow schwieg; das allgemeine Schweigen dauerte ungefähr eine Minute lang. Die Tränen rannen still über ihre blassen Wangen; sie saß da, ohne zu wissen, daß ihre beiden Hände noch auf Schatows Schultern lagen; aber sie blickte ihn nicht mehr an.

»Ach was! Was gehst du mich an! Es ist sogar unrecht!« rief Schatow und erhob sich plötzlich von der Bank. »Stehen Sie auf!« Er zog mir ärgerlich die Bank unter dem Leibe weg und stellte sie an ihren früheren Platz.

»Damit er nichts merkt, wenn er kommt. Es ist Zeit, daß wir gehen.«

»Ach, du sprichst immer von meinem Bedienten!« sagte Marja Timofejewna auflachend. »Du hast Angst vor ihm! Nun, lebt wohl, meine lieben Gäste; aber höre noch einen Augenblick, was ich sagen will! Heute kam dieser Nilowitsch mit dem rotbärtigen Hauswirt Filippow her, gerade als mein Bedienter auf mich losstürzte. Nein, wie der Hauswirt ihn packte und durch das Zimmer schleifte und mein Bedienter immer schrie: ›Ich trage keine Schuld; ich leide für fremde Sünden!‹ Kannst du es glauben: wir alle, die wir da waren, schüttelten uns nur so vor Lachen ...«

»Ach was, Timofejewna, das war ja ich und nicht der Rotbart; ich habe ihn ja heute an den Haaren von dir weggerissen. Der Hauswirt aber ist vorgestern zu euch gekommen, um euch zu schimpfen. Das hast du verwechselt.«

»Warte mal, das habe ich wirklich verwechselt; vielleicht bist du es gewesen. Nun, wozu sollen wir über Kleinigkeiten streiten; ihm kann es ganz gleich sein, wer ihn wegreißt,« sagte sie lachend.

»Kommen Sie!« rief Schatow und zog mich fort. »Das Tor hat geknarrt; wenn er uns hier antrifft, schlägt er sie.«

Wir waren kaum die Treppe hinaufgelaufen, als am Tore das Geschrei eines Betrunkenen und massenhafte Schimpfworte hörbar wurden. Schatow ließ mich in seine Wohnung hinein und schloß die Tür zu.

»Sie müssen ein Weilchen hier warten, wenn Sie nicht einen großen Skandal hervorrufen wollen. Hören Sie, er schreit wie ein Schwein; gewiß ist er wieder über die Schwelle gestrauchelt; jedesmal schlägt er da lang hin.«

Ohne Skandal ging es jedoch nicht ab.

VI.

Schatow stand an seiner verschlossenen Tür und horchte nach der Treppe hin; auf einmal sprang er zurück.

»Er kommt hierher! Wußte ich es doch!« flüsterte er wütend. »Nun werden wir ihn vielleicht vor Mitternacht nicht los.«

Es erschollen einige starke Faustschläge gegen die Tür.

»Schatow, Schatow, mach auf!« brüllte der Hauptmann. »Schatow, lieber Freund! ...

›Kam, dir meinen Mo-morgengruß zu bringen,

Dir zu me-melden, daß die liebe Sonne

Schon am Himmel str-r-rahlt, die Vöglein singen

Hell in Wald und Feld vor Lebenswonne,

Dir zu melden, daß auch ich erwachte,‹ (hol dich der Teufel!),

›Froh erwachte auf der Ba-bank von Rasen,‹ (wie auf der Prügelbank, ha-ha!),

›Dir zu melden, ...‹

daß ich etwas trinken werde. Trinkt ja auch jedes Vöglein ein Schlückchen. Aber ich weiß nicht, was ich trinken werde. Na, hol der Teufel die dumme Neugier! Schatow, verstehst du auch wohl, wie schön es sich auf der Welt lebt?«

»Antworten Sie ihm nicht!« flüsterte mir Schatow wieder zu.

»Mach doch auf! Verstehst du auch wohl, daß es etwas Höheres gibt als Prügelei ... bei der Menschheit? Es gibt bei einem e-edlen Menschen Augenblicke ... Schatow, ich bin ein guter Mensch; ich verzeihe dir ... Schatow, hol der Teufel die Proklamationen, was?«

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