„Eine Gruppe Dämonen zieht durch die Region Dy-Jaru, Mylord“, sagte der ranghöchste Späher. „Wir haben Rauch, Feuer und Flüchtlinge gesehen.“
„Kannst du die Zahl der Feinde schätzen?“
„Schwer zu sagen, aber es sind weit weniger als unsere Streitmacht.“
Ravencrest strich nachdenklich über seinen Bart. „Wohin ziehen die Flüchtlinge?“
„Wahrscheinlich nach Halumar, Mylord, aber sie werden es nicht schaffen. Die Dämonen sind ihnen auf den Fersen.“
„Können wir uns zwischen sie schieben?“
„Ja, wenn wir uns beeilen. Die Lücke ist groß genug.“
Der Adlige streckte einem seiner Adjutanten seine Hand entgegen. „Karte.“
Sofort reichte man ihm die richtige Karte. Er entrollte sie und ließ sich von den Kundschaftern zeigen, wo sich die Dämonen und wo sich die Flüchtlinge befanden. Schließlich nickte er. „Wir müssen unsere Marschgeschwindigkeit steigern und ihnen bei Tageslicht gegenübertreten, aber wir können es schaffen. Es ist kein großer Umweg auf unserem Marsch nach Zin-Azshari. Wir können uns das leisten.“
„Vor allem, weil es vielleicht ein paar Unschuldigen das Leben rettet“, murmelte Rhonin leise an Brox gewandt.
Krasus beugte sich vor. „Um was für Dämonen handelt es sich?“
„Hauptsächlich um Teufelswächter.“
Ein anderer Späher fügte hinzu: „Ich habe ein paar dieser Hunde gesehen und einen der geflügelten Dämonen… eine Verdammniswache.“
Der Drachenmagier runzelte die Stirn. „Eine magere Versammlung.“
„Wahrscheinlich haben sie sich aus lauter Blutgier von den anderen getrennt“, verkündete Lord Ravencrest. „Wir werden ihnen beibringen, wie nützlich Selbstdisziplin sein kann… allerdings werden sie nicht lange genug leben, um diese Lektion zu beherzigen.“ Er wandte sich an seine Offiziere. „Gebt den Marschbefehl! Wir ziehen ihnen entgegen.“
Die Armee wechselte nur einen Moment später die Richtung. Die Nachtelfen bewegten sich schnell, wurden angetrieben von dem Wunsch, Angehörige ihres Volks zu retten und den ersten Sieg auf dem langen Marsch zur Hauptstadt zu feiern.
Illidan und die Mondgarde änderten ihre Position und verteilten sich über die gesamte Streitmacht. Die Schwestern von Elune taten das Gleiche und bereiteten sich darauf vor zu kämpfen und zu heilen. Da sie die einzigen Außenseiter waren, blieben Rhonin, Krasus und Brox zusammen. Die beiden Magier hatten jedoch entschieden, dass Rhonin Illidan beobachten würde, sobald die Schlacht begann. Beide machten sich Sorgen über seinen Leichtsinn.
Malfurion blieb bei ihnen, weil Ravencrest noch nicht wusste, wie man seine ungewöhnlichen Fähigkeiten am effektivsten einsetzen sollte. Captain Shadowsongs Einheit bewachte die Vier, und der Adlige war sicher, dass der Druide so geschützt selbst entscheiden konnte, welche Angriffsstrategien gegen die Dämonen am wirkungsvollsten sein würden.
Malfurion, der den ganzen Tag mit Cenarius gearbeitet und die Nacht über geritten war, begann seine Erschöpfung zu spüren. Der Halbgott hatte ihm beigebracht, seine Stärke aus der Natur zu ziehen, und Malfurion hoffte, dass er vor der Schlacht Gelegenheit dazu erhalten würde.
Die Sonne stieg über den Horizont, verschwand aber fast sofort hinter tief hängenden, dunklen Wolken. Das war sogar von Vorteil für die Streitmacht. Die Zauber, die Krasus und Rhonin über sich selbst und Brox gewoben hatten, ermöglichte es ihren Augen, sich sofort veränderten Lichtverhältnissen anzupassen. Die meisten Soldaten mussten jedoch warten, bis ihre Augen sich ohne magischen Beistand daran gewöhnten. Die dichte Wolkendecke half dem nachtaktiven Volk dabei und stärkte dessen Siegessicherheit.
Die Kundschafter schwärmten weiterhin aus, um Informationen zu sammeln. Die Dämonen hatten die flüchtenden Nachtelfen noch nicht eingeholt, aber sie rückten näher. Ravencrest trieb seine Krieger zu größerer Eile an. Er schickte eine große Gruppe von Nachtsäbler-Reitern aus, um die Brennende Legion von zwei Seiten in die Zange zu nehmen.
Als die Kundschafter meldeten, die Streitkräfte stünden jetzt zwischen den Flüchtenden und der Legion, ließ Ravencrest das Horn ertönen. Die Krieger bereiteten sich auf die Schlacht vor.
Hinter einer Hügelkuppe warfen die Nachtelfen zum ersten Mal einen Blick auf den Feind.
Die Feuerdämonen hatten das Land verbrannt. Hinter ihnen existierte kein Leben mehr. Das tote Land, das Krasus von Korialstrasz’ Rücken aus gesehen hatte, erstreckte sich bis zum Horizont und spornte die Soldaten noch mehr an.
„Wie es die Kundschafter beschrieben haben“, murmelte der Herrscher von Black Rook und zog sein Schwert. „Umso besser. Jetzt werden wir ihnen zeigen, was mit denen passiert, die unser Land verwüsten.“
Krasus betrachtete die Horde. Sie war ein ernstzunehmender Feind, aber auch einer, den die Nachtelfen ohne große Mühen besiegen konnten. „Mylord, Ihr solltet vorsichtig sein.“ Aber Ravencrest beachtete ihn nicht. Der ältere Nachtelf hob sein Schwert und schwang es zweimal von rechts nach links und wieder zurück. Alle Regimenter der großen Streitmacht stießen in ihre Hörner.
Mit einem gewaltigen Gebrüll stürmten die Nachtelfen den Dämonen entgegen.
Die Brennende Legion verlor im Angesicht der überlegenen Streitmacht nicht die Nerven. Stattdessen begannen die gepanzerten Dämonen kampfeslustig zu brüllen. Die Zerstörung, die sie Kalimdor gebracht hatten, schien ihnen noch nicht zu genügen. Sie vergaßen die Flüchtlinge und wandte sich den Kriegern zu.
Ein Pfeilregen schoss ihnen entgegen. Wie kreischende Banshees kamen die Pfeile über die monströsen Krieger, rissen Kehlen auf, verheerten Gliedmaßen und Köpfe. Tote und verletzte Dämonen brachen zusammen, zwangen andere, über sie hinwegzuklettern.
Ein goldener Blitz schlug mitten zwischen den Dämonen ein. Teufelswächter wurden emporgeschleudert. Fleischstücke und die dunkle Flüssigkeit, die in den dämonischen Adern floss, prasselten auf die Überlebenden herab. Krasus sah nach links, wo Illidan über seinen gelungenen Angriff lachte. Der junge Zauberer befahl der Mondgarde, die gleiche Formation einzunehmen, die sie bei der ersten Schlacht gegen die Legion verwendet hatten. Illidan wollte die Macht der Magier an sich binden und verstärken.
Der Drachenmagier runzelte die Stirn. Eine solche Taktik neigte dazu, die Zauberer, die ihre Energie lieferten, weit mehr zu schwächen als denjenigen, der sie an sich zog. Illidan musste sehr genau auf den Zustand der Mondgarde achten, sonst riskierte er es, sie in solchem Maße zu schwächen, dass sie sich nicht mehr gegen Angriffe der Eredar verteidigen konnten.
Krasus’ Gedanken wanderten von den Risiken, die Malfurions Bruder einging, zum Feind. Zum ersten Mal wob er in Korialstrasz’ Abwesenheit einen Zauber. Er wusste nicht, was geschehen würde, doch dann spürte er, wie die Macht in ihm anstieg – und lächelte.
Ein furchtbarer Wind fuhr durch die vorderen Reihen der Dämonen. Er warf die gehörnten Krieger gegeneinander, sorgte sogar dafür, dass sie die Waffen gegeneinander richteten. Chaos brach unter ihnen aus.
Damit erhielten die Nachtelfen ihre große Gelegenheit. Die ersten Soldaten erreichten die Dämonen und erschlugen sie. Die vorderen Reihen der Legion gerieten vollends in Unordnung. Teufelswachen fielen zu Dutzenden, während sie versuchten, sich zu sammeln.
Ein weiterer Pfeilregen dezimierte die hinteren Reihen. Innerhalb weniger Minuten lag ein Viertel der Horde entweder tot oder sterbend am Boden. Krasus hätte Zuversicht spüren sollen, aber er hatte immer noch den Eindruck, dass alles zu einfach war. Die Brennende Legion war noch nie so leicht besiegt worden.
Über seine Unsicherheit konnte er mit niemandem sprechen. Brox war zwischen den Kriegern verschwunden und irgendwie bis in die erste Reihe vorgestoßen. Er saß auf seinem Nachtsäbler und ließ die Axt kreisen. Seine Klinge brachte den Tod. Der grünhäutige Krieger brüllte der Legion seine Herausforderung entgegen, während der abgetrennte Kopf eines Dämons über seine Schulter flog.
Zur gleichen Zeit mobilisierte Rhonin Zauber, deren Stärke Krasus neidisch werden ließ. Der rothaarige Magier berührte die grünen Flammen, von denen die Körper der Dämonen umgeben waren und verwandelte sie in echtes Feuer. Die Monstrositäten verbrannten innerlich. Einer nach dem anderen zerfiel zu Staub und hinterließ nur Reste der Rüstung. Rhonins Gesichtsausdruck war grimmiger als der der meisten Soldaten. Der Drachenmagier ahnte, dass sein ehemaliger Schüler die ganze Zeit über an seine Frau und seine ungeborenen Kinder dachte, deren Schicksal vom Ausgang dieser Schlacht abhing.