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Das Baumhaus neigte sich plötzlich zur Seite. Malfurion versuchte seine Druidenkräfte einzusetzen, um es wieder aufzurichten, aber nichts geschah. Der Baum – die gesamte Flora – fühlte sich tot an.

Der Fall des Hauses weckte Tyrande endlich auf. Sie ließ die Leier fallen, schrie und griff nach Malfurion, aber die Entfernung war zu groß. Malfurions Gefährtin verlor das Gleichgewicht und rutschte vom Ast…

Doch im gleichen Moment stieg eine schwarz gekleidete Gestalt empor und fing sie auf. Illidan lächelte Tyrande selbstgefällig an und nickte seinem Bruder freundlich zu. Doch er half Malfurion nicht, sondern flog mit seiner Beute davon.

„Illidan!“, schrie Malfurion, während er sich verzweifelt festhielt. „Komm zurück!“

Sein Bruder hielt an und schwebte in der Luft. Tyrande hing in seinen Armen. Dann drehte er sich um und begann zu lachen.

Gleichzeitig veränderte sich Illidan, wurde größer, schrecklicher. Seine Kleidung platzte auf, eine Rüstung schimmerte darunter. Seine Haut wurde dunkler, ein neu entstandener Schwanz peitschte hin und her. In einer Klauenhand hielt er die Gefährtin des Druiden hoch über die Stadt und schüttelte sie wie eine Puppe.

Und Malfurion begriff voller Entsetzen, dass Archimonde Tyrande in seine Gewalt gebracht hatte.

„Nein!!!

Er richtete sich so abrupt auf, dass er beinahe von dem Nachtsäbler gefallen wäre, auf dem er saß. Schlanke, dennoch starke Finger hielten ihn fest und drückten ihn an eine gepanzerte Brust. Der Druide dachte an Archimonde und wollte sich losreißen.

„Ruhig, Malfurion. Sei vorsichtig.“

Tyrandes Stimme brachte ihn zurück in die Wirklichkeit. Er blickte auf und sah ihr besorgtes Gesicht. Sie hatte den Helm abgelegt, sodass er sie endlich wieder in ihrer ganzen Schönheit bewundern konnte.

„Ich habe geträumt…“, begann er, brach dann aber ab. Teile des Traumes waren so persönlich, dass er sie nicht mit ihr teilen wollte. „Ich habe geträumt…“, wiederholte er noch einmal entschuldigend.

„Ich weiß. Du hast im Schlaf geredet. Ich habe meinen Namen gehört… und den von Illidan.“

„Ja.“ Er wagte es nicht, mehr zu sagen.

Die Priesterin berührte seine Wange. „Das muss ein schrecklicher Traum gewesen sein. Aber wenigstens hattest du etwas Schlaf.“

Dem Druiden wurde plötzlich klar, wie nahe er ihr war. Er richtete sich auf, sah sich um und bemerkte zum ersten Mal, wie viele Nachtelfen sie umgaben. Die meisten waren verwirrte und immer noch unter Schock stehende Zivilisten. Nur wenige Nachtelfen hatten je so gelitten. Die Flucht hatte sie an den Rand ihrer Belastbarkeit geführt.

„Wo sind wir?“

„In der Nähe von Mount Hyjal.“

Er starrte entsetzt auf die Bergspitze. „So weit? Das ist unmöglich!“

„Leider nicht.“

Malfurion ließ den Kopf hängen. Also war sein Volk trotz aller Bemühungen immer noch dem Untergang geweiht. Wenn die Dämonen die Verteidiger bereits so weit zurückgetrieben hatten, gab es dann überhaupt noch Hoffnung für die Nachtelfen?

„Elune wacht über uns“, flüsterte Tyrande, die den Ausdruck seines Gesichts richtig deutete. „Ich bete um ihren Schutz. Sie wird uns helfen, da bin ich sicher.“

„Ich hoffe es. Wo sind die anderen?“

„Dein Bruder ist weiter hinten bei der Mondgarde.“ Sie zeigte nach Norden. „Krasus und die anderen habe ich nicht gesehen.“

Mit Illidan wollte Malfurion nicht unbedingt sprechen. Nach seinem Zusammenstoß mit Archimonde musste er die beiden Magier unbedingt finden. Sie mussten erfahren, dass der mächtige Dämon die Brennende Legion persönlich anführte. Sofern Krasus und die anderen überhaupt noch lebten. Hatte Archimonde sie vielleicht längst getötet?

„Tyrande, ich muss die Fremden finden. Ich glaube, dass sie der Schlüssel zum Sieg sind.“

„Zu Fuß wirst du das nicht schaffen. Du bist immer noch sehr schwach. Nimm meinen Nachtsäbler.“

Es beschämte ihn, dass sie ihr Reittier für seine vielleicht sinnlose Suche zur Verfügung stellen wollte. „Tyrande, ich…“

Aber sie sah ihn auf eine Weise an, die ihn überraschte. Er las eine Entschlossenheit und Überzeugung in ihrem Blick, die er bislang nur bei den höchsten Priesterinnen der Elune gesehen hatte. „Es ist wichtig, Malfurion. Das weiß ich.“

Sie stieg von der großen Katze und beendete damit die Diskussion. Tyrande nahm ihren Rucksack und ihre Waffen, dann sah sie zu dem Druiden auf. „Geh.“

Malfurion nickte dankbar, dann lenkte er den Nachtsäbler durch die Flüchtlingsströme. Er war entschlossen, Tyrande nicht zu enttäuschen. Wenn die anderen noch lebten, würde er sie finden.

Die Katze bahnte sich ihren Weg durch Zivilisten und Soldaten. Die vielen Fremden waren ihr unangenehm. Sie knurrte und zischte, biss jedoch nicht. Der Druide sah erleichtert, dass die Soldaten die Ordnung weitgehend aufrecht erhalten hatten. Die meisten Zivilisten wurden freundlich, aber bestimmt vorangetrieben und bewegten sich mit konstanter Geschwindigkeit. Die Dämonen hatten zweifellos damit gerechnet, dass bei dem Zusammenprall der beiden unterschiedlichen Gruppen Chaos ausbrechen würde. Diese Gefahr war bisher abgewendet worden.

Doch die Streitmacht war durch die Flüchtlinge so groß geworden, dass es fast unmöglich war, zwischen ihnen selbst so einzigartige und unterschiedliche Gestalten wie einen Menschen, Krasus oder einen Orc zu finden. Malfurion ließ seinen Blick mehr als ein Dutzend Mal über die Köpfe der Nachtelfen gleiten, bevor er auf die Idee kam, seine Kräfte einzusetzen.

Er weigerte sich noch immer, den smaragdfarbenen Traum zu betreten, aber es gab auch andere Möglichkeiten, um die Gesuchten aufzuspüren. Er hielt den Nachtsäbler an, schloss die Augen und konzentrierte sich auf seine Umgebung. Er berührte die Gedanken der Nachtsäbler, die er um sich herum wahrnahm und sprach mit ihnen so, wie er während seiner Lektionen mit den Tieren des Waldes gesprochen hatte. Malfurion berührte sogar den Geist von Tyrandes Reittier, auf dem er saß, um auch wirklich nichts auszulassen. Die Katzen, die ihre Reiter sehr gut kannten, würden den unbekannten Geruch der Fremden sicherlich bemerken.

Doch den ersten Tieren, die er ansprach, war nichts aufgefallen. Malfurion streckte seine Sinne aus, suchte nach Nachtsäblern, die weiter entfernt waren. Manche Flüchtlinge hatten ihre Haustiere mitgenommen; selbst sie fragte er. Je mehr Geschöpfe ihm bei der Suche halfen, desto besser.

Schließlich antwortete einer der dunklen Panther. Die Antwort erfolgte nicht mittels Worten, sondern in Gerüchen und Bildern. Der Druide benötigte einen Moment, bis er sie verstand, aber schließlich begriff er, dass der Panther vor kurzem den Orc gesehen hatte. Brox war der Auffälligste der drei Fremden, deshalb war es kein Wunder, dass der Nachtsäbler ihn bemerkt hatte. Die Katze nahm den Krieger als Mischung aus schweren, herben Düften wahr, die sie an ihre eigene verdrängte Wildheit erinnerten. Der Nachtsäbler spürte eine Seelenverwandtschaft zwischen sich und Brox. In der Vorstellung des Tieres sah der Krieger sogar wie ein aufrecht gehender Nachtsäbler aus. Ein Arm endete in einer gewaltigen Klaue. Das musste Brox’ Axt sein.

Zu ermitteln, wann und wo die Katze Brox gesehen hatte, erwies sich als schwierig. Tiere nahmen Zeit und Entfernung anders wahr als Nachtelfen. Doch nach einigen Fehlversuchen fand der Druide schließlich heraus, dass der Panther den Orc ein oder zwei Stunden zuvor in der Mitte der großen Streitmacht bemerkt hatte.

Malfurion lenkte seinen Nachtsäbler in diese Richtung und erkundigte sich weiterhin bei den anderen Katzen nach den Fremden. Nach und nach stieß er auf zahlreiche Sichtungen. Die Katzen hatten Brox, Rhonin und Krasus wahrgenommen. Der ältere Magier war den Tieren besonders aufgefallen. Sie betrachteten ihn mit einem Respekt, den die Raubkatzen nur denen entgegenbrachten, die weit über ihnen standen. Allerdings fürchteten sie Krasus nicht, wie sie ein anderes Raubtier gefürchtet hätten. Sie schienen zu verstehen, dass er weit mehr war. Malfurion fand heraus, dass sie sogar eher bereit gewesen wären, Krasus zu gehorchen, als den Reitern, die sie aufgezogen und ausgebildet hatten.