Sie alle spürten die Horde. Das Böse durchzog die Luft wie Fäulnis. Sogar Krasus schüttelte sich, allerdings nicht aus Angst, sondern aus Ekel. „Rhonin, Jarod Shadowsong steht bereit. Ist die Mondgarde so weit?“
„Ja.“
„Gleich…“ Das blasse Gesicht verzog sich. Krasus’ Augenlider flatterten. „Jetzt.“
Keiner der Magier wusste, was der andere plante, ganz so, wie Krasus es beabsichtigt hatte. Die Zauber sollten so zufällig wie möglich erfolgen, um Archimonde und den anderen Dämonen die Verteidigung zu erschweren. Sein Plan barg Risiken, die ebenso groß – vielleicht sogar noch größer – wie seine Erfolgschancen waren, doch genau darauf verließ sich der Drachenmagier.
Aus den Wolken fielen plötzlich glitzernde Eislanzen und rasten auf die feindliche Horde zu. Im Norden erbebte die Erde. Dämonen wurden durch die Luft geworfen, als sich der Boden wellte. An einem anderen Punkt erschienen gewaltige schwarze Vögel aus dem Nichts und flogen auf die Luftunterstützung der Legion zu.
An der Front wurde der Feind von einem Zauber nach dem anderen getroffen. Einige konzentrierten sich auf bestimmte Bereiche, während andere überall zuschlugen. Nicht zwei Zauber waren gleich. Einige schienen sich gegenseitig aufzuheben, sorgten aber trotzdem für schwere Verluste in der Horde.
Dämonen wurden von Eislanzen aufgespießt, von Feuerkugeln verbrannt oder in glühende Lava getaucht. Am Himmel wurden sie von unzähligen Klauen zerfetzt oder stürzten in den Tod, nachdem Sturmböen sie gegeneinander getrieben hatten.
Die Eredar versuchten zu kontern, aber Krasus befahclass="underline" „Ändert die Richtung.“
Malfurion, Rhonin und – nördlich von ihnen – Illidan und die Mondgarde reagierten sofort. Krasus spürte, dass der drastische Wechsel die Hexenmeister verwirrte. Sie wussten nicht, wen sie zuerst angreifen sollten. Am Boden kämpften die Teufelswächter erfolglos gegen einen Gegner, den ihre Waffen nicht aufspießen oder zerstückeln konnten.
Der Vormarsch der Legion stockte.
„Sie bleiben stehen!“, rief Krasus. „Ändert die Richtung und erhöht den Druck. Wir müssen Boden wettmachen.“
Wieder suchten sie sich neue Ziele aus. An einigen Orten wurde es ruhiger, aber die Legion konnte ihre Chancen nicht nutzen, da stets ein Zauberer bereitstand, um die Lücke zu füllen. Die Dämonen konnten weder vorwärts marschieren, noch ihre Stellung halten.
„Sie weichen zurück!“, erkannte Malfurion.
„Lasst nicht nach!“ Krasus biss die Zähne zusammen. „Rhonin, ich sage dem Captain Bescheid.“
Der Druide sah den Menschen kurz an. „Was meint er damit?“
„Er hat Shadowsong davon überzeugt, zu Lord Ravencrest zu reiten. Er wartet nur auf unser Signal.“
„Und dann?“
Die Antwort waren Hörner, die zum Angriff bliesen. Die Nachtelfen waren plötzlich voller Energie. Die ersterbende Hoffnung und die Lethargie waren verschwunden. Die Soldaten reagierten mit Eifer auf den Ruf der Hörner. Die Streitmacht setzte sich in Bewegung.
Die Zauberer folgten ihnen langsam und zu Fuß. Ihre Katzen waren dicht hinter ihnen, marschierten mit den Soldaten dem Feind entgegen.
Jetzt endlich begann der Rückzug der Brennenden Legion.
Zuerst durchquerten die Nachtelfen die Lücke, die von den Zauberern und der Mondgarde gerissen worden war, um die Entfernung zur Legion zu vergrößern. Dann kletterten sie über die ersten dämonischen Leichen. Sie fanden auch einige der ihren, die Stunden zuvor gefallen waren, aber je weiter sie vorrückten, desto mehr tote Dämonen sahen sie. Die Brennende Legion war durch die unvorhersehbaren Angriffe der Magier so sehr geschwächt worden, dass sie den Nachtelfen kaum Widerstand entgegen brachte.
Erneut bliesen die Hörner. Die Streitmacht begann überraschend laut zu brüllen und verdoppelte ihr Tempo.
„Ravencrest muss sich an den Plan halten!“, bellte Krasus. „Er darf die Legion nicht so weit und nicht zu schnell verfolgen.“
Ein Pfeilregen peitschte den Dämonen entgegen und tötete Dutzende. Pantherreiter jagten durch die Reihen des Feindes und zerrissen ihre Beute.
Malfurions Herz schlug schneller. „Wir schaffen es!“
„Lass nicht nach!“, warnte der Magier.
Das taten sie auch nicht. Der Erfolg, den sie vor sich sahen, spornte sie an. Mit aller Macht unterstützten sie die Truppen. Sie waren zwar erschöpft, wussten aber genau, dass sie an einem wichtigen Punkt angelangt waren. Der Mount Hyjal ragte immer noch hinter ihnen auf, war jedoch weiter entfernt als zu Beginn des Angriffs.
Eine positive Überraschung waren die Gesänge, die plötzlich zwischen den Soldaten erklangen. Die Schwesternschaft der Elune, die in schimmernder Rüstung einen wunderbaren Anblick bot, begann die Kämpfer zu unterstützen. Bei Tageslicht waren die Soldaten zwar nicht in Bestform, aber die rhythmischen Gesänge der Priesterinnen glichen diesen Nachteil aus. Es war, als stiege der Mond über den Truppen auf und erfülle sie mit seinem Licht.
Sie kämpften um jeden Meter. Dämonen fielen bei jedem Schritt. Krasus blickte in den bewölkten Himmel und schrie: „Jetzt! Greift die Eredar an!“
Die Magier konzentrierten sich auf die fliegenden Hexenmeister. Donner grollte über den Himmel. Blitze zuckten in unterschiedlichsten Farben. Der Wind heulte.
Sie sahen das Ergebnis ihrer Angriffe zwar nicht, spürten es jedoch mit ihren magischen Sinnen. Die Eredar versuchten Ordnung in ihre Reihen zu bringen und sich gleichzeitig zu verteidigen. Die Anstrengung und die Gefahr schwächte sie. Jeden Zauber, der einen der Dämonen niederstreckte, spürten die Verteidiger als Schwächung der bösen Macht, der sie gegenüberstanden. Und je häufiger das passierte, desto härter griff Krasus’ Gruppe die Überlebenden an.
Schließlich zogen sich die Hexenmeister zurück. Mit ihnen verschwand auch der Schild, der die Dämonen am Boden bisher vor Magiern und Mondgarde halbwegs geschützt hatte.
„Sie flüchten“, flüsterte Malfurion. Der Erfolg seiner Gruppe beeindruckte ihn.
„Sie sind zu wertvoll. Archimonde weiß, dass er nicht auf sie verzichten kann“, antwortete Krasus ernst. „Und wie er nicht auf sie verzichten kann! Der Krieg ist noch nicht vorüber – aber diese Schlacht ist gewonnen.“
„Sollten wir sie nicht weiter verfolgen, bis wir sie durch das Portal zurück in ihre Höllendimension gejagt haben?“
Krasus lachte. Das war ein so seltener Anblick, dass sogar Rhonin überrascht aufsah. „Du klingst wie dein Bruder, nicht wie du selbst, Malfurion. Die Euphorie des Augenblicks sollte dich nicht zu weit tragen. Diese Streitmacht würde die Kämpfe bis nach Zin-Azshari nicht überstehen. Nur noch der eiserne Wille hält die Soldaten aufrecht.“
„Aber was war dann der Sinn der Schlacht?“
„Sieh dich doch um, junger Nachtelf. Dein Volk überlebt. Vor einer Stunde noch sah es nicht danach aus.“
„Wird sich Ravencrest an deine Anweisungen halten?“, fragte Rhonin, während sein Blick nach dem Banner des Adligen Ausschau hielt.
„Ich glaube schon. Sieh nach Norden.“
Die Streitmacht rückte nicht mehr vor. Stattdessen begannen die Soldaten, das Land zu sichern, das sie erobert hatten. Berittene Offiziere winkten die Kämpfer zurück, die sich weiter vorwagten. Manche wirkten enttäuscht, die meisten schienen jedoch froh über die Pause zu sein, auch wenn sie sich nur stehend ausruhen konnten.
Innerhalb weniger Minuten kam die gesamte Front zum Stillstand. Die Nachtelfen räumten die Leichen beiseite und begannen ihre Linien zu sichern. Ernste und entschlossene Kämpfer wurden als Wachposten aufgestellt. Sie wirkten, als könnten sie jeden zurückschlagen, der ihnen das Wunder, das sie gerade vollbracht hatten, streitig machen wollte.
Krasus atmete tief durch. „Er hat auf mich gehört. Gepriesen seien die Aspekte. Er hat auf mich gehört.“
In einiger Entfernung sahen sie die Umrisse der Horde. Die Brennende Legion hatte sich so weit zurückgezogen, dass die Dämonen weder in Reichweite der Bogenschützen, noch in der der Zauberer und ihrer magischen Künste waren.