Der Soldat trottete steif auf ihn zu. Seine Rüstung war blutverschmiert, und sein Mund stand offen.
Als er näher kam, bemerkte Brox, dass sein Kiefer fehlte, ebenso ein Auge. Die Wunde zog sich bis zu seiner Kehle… oder was davon noch übrig war.
Die unheimliche Gestalt hob ihre Waffe, als sie Brox’ Stimme hörte. Hinter ihr schoben sich weitere Schatten aus dem Nebel.
Der grünhäutige Krieger war kein Feigling, doch jetzt riss er sein Reittier hart herum. Die große Katze schlug mit einer Tatze nach dem Soldaten und schleuderte ihn zur Seite wie ein Spielzeug.
Die anderen erreichten ihn im gleichen Moment. Jarod sah an ihm vorbei zu dem am Boden liegenden Soldaten. „Warum hast du das getan? Dein Panther hat ihn umgebracht!“
„Er war schon vorher tot. Wir müssen uns beeilen. Da hinten sind noch mehr!“
Der Nachtelf wollte widersprechen, aber Rhonin hielt ihn mit einer Hand zurück. „Sieh in den Nebel, Shadowsong! Sieh hin!“
Jarod folgte der Aufforderung. Sein Gesicht verzerrte sich entsetzt. Der tödlich verletzte Soldat kam taumelnd auf die Beine, bot einen noch groteskeren Anblick als zuvor. Er hob sein Schwert und stolperte auf die kleine Gruppe zu. Hinter ihm konnte man jetzt die anderen Gestalten deutlicher erkennen. Es waren Nachtelfen, die weitaus monströser wirkten als der tote Soldat. Ihre Wunden waren schrecklich. Einigen fehlten Gliedmaßen. Sie alle hatten den gleichen leeren Gesichtsaudruck und bewegten sich mit der gleichen tödlichen Entschlossenheit.
„Weg hier!“, rief der Captain. „Zurück durch das Stadttor! Folgt mir!“
Jarod und der Zauberer übernahmen die Führung. Gemeinsam floh die Gruppe vor den herantaumelnden Untoten. Sie ritten den gleichen Weg zurück, den sie gekommen waren, doch als sie die Kreuzung erreichten, lenkte Jarod sein Reittier in die entgegen gesetzte Richtung.
„Warum hier lang?“, rief Rhonin.
„Dieser Weg wird uns schneller an unser Ziel bringen… hoffe ich.“
Doch als sie weiterritten, schälten sich noch mehr Gestalten aus dem Nebel. Brox knurrte, als eine ältere Frau in blutverschmiertem, ehemals silbernem Gewand beinahe hungrig nach seinem Bein griff. Er trat nach ihr und schlug ihr zur Sicherheit mit einem gewaltigen Axtstreich den Kopf ab. Ihr Körper taumelte, doch ihre Arme griffen und schlugen weiter nach dem Orc… der aber längst weg war.
Rhonin zügelte plötzlich seine Katze. „Vorsicht!“
Seine Warnung kam zu spät für den Soldaten neben ihm. Unzählige Klauen, die einst Hände gewesen waren, rissen ihn von seinem Reittier. Er stach mit seinem Schwert nach ihnen, konnte aber nichts ausrichten.
Jarod wollte ihm zu Hilfe eilen, aber im gleichen Moment verschwand sein Kamerad bereits zwischen den lebenden Leichen. Seine Schreie endeten abrupt.
„Du kannst ihm nicht mehr helfen!“, rief der Zauberer, als er sah, dass Jarod zögerte. „Reitet alle weiter. Ich weiß, was ich tun muss.“
„Wir werden dich nicht zurücklassen“, widersprach der Captain.
Brox zügelte seine Katze neben Rhonin. „Ich bleibe bei ihm.“
„Wir bleiben direkt hinter dir, Shadowsong. Da hinten sieht der Weg frei aus. Ihr solltet die Stadt problemlos verlassen können.“
Der Nachtelf wollte seine Freunde nicht zurücklassen, wollte aber auch keine weiteren Leben riskieren. Er wusste, dass Rhonin die besten Überlebenschancen der Gruppe hatte.
„Hier lang!“, rief der Captain dem Rest seines Trupps zu.
Der reiterlose Nachtsäbler folgte den Soldaten. Rhonin wandte sich zu den herantaumelnden Leichen um. „Brox, ich brauche ein paar Sekunden.“
Der Orc nickte und preschte vor. Er stieß einen Schlachtruf aus und begann mit seiner Axt um sich zu schlagen. Er durchtrennte Hände, die nach ihm griffen, riss Brustkörbe auf und schlug Köpfe mit tödlicher Präzision und enormer Wucht ab.
Als Brox’ Kraft nachzulassen begann, rief Rhonin ihn zurück. „Das reicht! Komm zu mir!“
Der Zauberer wartete, bis der Orc seine Katze neben ihm zügelte, dann warf er der herantaumelnden Horde eine kleine Phiole entgegen. Sie flog über die erste Reihe der wandelnden Leichen hinweg und bespritzte sie mit einer Flüssigkeit, die bei Berührung in Flammen aufging.
Das Feuer weitete sich rasch zum Inferno aus. Die Leichen, die hinter der ersten Reihe gingen, stolperten in die Flammen hinein und fingen ebenfalls Feuer. Diejenigen, die bereits brannten, kollidierten mit anderen und setzten sie in Brand.
„Das Gleiche habe ich mal gegen die Untoten-Geißel eingesetzt“, sagte der Mensch grimmig, aber zufrieden. „Komm, wir müssen – “
Eine der brennenden Gestalten prallte gegen Brox’ Reittier. Der Nachtsäbler fing sofort Feuer. Der Orc versuchte sich auf dessen Rücken zu halten, als das Tier in Panik flüchtete – tiefer in die Stadt hinein.
Rhonin rief hinter ihm her, aber Brox konnte den Nachtsäbler nicht beruhigen. Die Schmerzen des glimmenden Feuers trieben den Panther in den Wahnsinn. Unkontrolliert stürmte er durch die Straßen.
Der Orc versuchte das Feuer auszuschlagen, doch das half nicht. Der Nachtsäbler stoppte abrupt und warf sich auf seine schmerzende Seite. Brox konnte gerade noch abspringen, sonst wäre sein Bein unter dem Tier zerquetscht worden.
Der Panther rollte sich über den Boden, geriet wieder in Panik und stürmte davor. Brox konnte ihn nicht aufhalten. Der Orc warf sich herum und begann, mit seiner Axt um sich zu schlagen, erkannte jedoch nach einem Moment, dass er sich in keiner unmittelbaren Gefahr befand.
Allerdings war er auch allein und ohne Reittier.
Vorsichtig machte sich Brox auf den Rückweg – zumindest hoffte er, dass es der Rückweg war. Der verletzte Panther schien ihn weiter mit sich geschleppt zu haben, als der Orc anfangs gedacht hatte.
Er blähte die Nüstern, roch jedoch weder den Menschen, noch die Nachtelfen. Auch sein sonst unfehlbarer Orientierungssinn ließ ihn im Stich. Der Nebel narrte seine Sinne.
Unsicher bog der Orc in eine Straße ein, die ihm vertraut erschien. Geschwärzte Bäume und zerstörte Gebäude schälten sich aus dem Nebel, aber er erkannte nichts davon wieder.
Plötzlich roch er etwas. Brox zögerte und blähte erneut die Nüstern. Er biss die gelben Zähne zusammen.
Mit neuer Entschlossenheit wandte er sich nach rechts. Bei jedem Schritt hob er die Nase in die Luft. Er kletterte über eine entwurzelte Eiche und über die Ruinen eines zertrümmerten Hauses. Brox ließ sich von diesen Hindernissen nicht beirren. Er bewegte sich vorsichtig und möglichst lautlos – eine schwierige Aufgabe, da er nur eine Hand benutzen konnte, um sich abzustützen. In der anderen hielt er weiterhin seine Axt fest umklammert.
Als er das Dach der ehemaligen Nachtelfen-Behausung erreichte, nahm Brox einen neuen Geruch wahr. Seine Nüstern kräuselten sich angewidert, doch auch davon ließ er sich nicht zurückhalten. Und dann blickte er über den Dachfirst und sah die Dämonen bei ihrem schauerlichen Werk.
Vier Teufelswächter und eine Verdammniswache befanden sich unter ihm. Brox hielt sie allerdings für eine geringere Bedrohung als die beiden Gestalten, die vor ihnen standen. Der Orc knurrte, als er die geflügelten Monstrositäten in ihrer mitternachtsblauen Rüstung wieder erkannte – aus seiner eigenen Zeit. Sie gestikulierten mit Fingern, die in klingenartigen Nägeln endeten. Eine grüne Aura umgab ihre Hände.
Nathrezim. Man nannte sie auch Schreckenslords.
Sie waren größer als die anderen Dämonen und wirkten gefährlicher. Aus ihren Köpfen ragten geschwungene dunkle Hörner empor. Ihre Haut war grau wie die einer Leiche und vollkommen haarlos. Zwei Fangzähne ragten aus ihrem Maul. Brox musste unwillkürlich an die Vampirgeschichten denken, die man sich über die Schreckenslords erzählte. Die Nathrezim waren tatsächlich Vampire, allerdings saugten sie den Verstand der geistig Schwachen aus und versklavten ihre Opfer manchmal sogar.
Die beiden bewegten sich auf kräftigen behuften Ziegenbeinen. Sie galten als listige und äußerst talentierte Magier – noch talentierter als die Eredar –, waren aber außerdem fähige Kämpfer. In dieser speziellen Situation musste der Orc jedoch hauptsächlich ihr magisches Können fürchten, denn er hatte die Totenbeschwörer gefunden.