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„Das möchte ich.“

„Nun gut, nun gut.“ Aviana zog eine Feder unter ihrem linken Flügel hervor, die von einer silbernen Aura umgeben war. Dann reichte die Himmelsgöttin Krasus diesen Teil ihres Gefieders. Er nahm das Geschenk entgegen und betrachtete es voller Ehrerbietung. Avianas Feder war offensichtlich magisch – aber konnte diese Magie ihm wirklich helfen?

„Lege sie auf deine Brust.“

Krasus zögerte, bevor er die Robe anhob und seine Brust enthüllte. Neben ihm zog Malfurion scharf die Luft ein. Avianas Augen weiteten sich.

„Also, also gehörst du tatsächlich zu den meinen.“

Er hatte die Drachenschuppe völlig vergessen. Sie hatte sich so perfekt in seine Haut eingefügt, dass er sie gar nicht mehr bemerkt hatte. Er fragte sich, ob er mit ihrer Hilfe vielleicht in der Lage gewesen wäre, die Drachenbarriere zu durchbrechen. Aber dann erkannte er, dass Neltharion sie zu diesem Zeitpunkt bereits lückenlos geschlossen hatte. Nur seine eigenen Wachen hatten sie noch überwinden können. Der Erdwächter hatte jede Störung seines Zaubers ausschließen wollen.

„Aber natürlich, natürlich. Umso besser.“

Krasus drückte die Feder gegen einen Teil seiner Brust, den die Schuppe nicht bedeckte und wartete.

Die Feder verschmolz mit ihm, wie es die Drachenschuppe getan hatte. Ihre feinen Daunen lagen flach auf seiner Haut und begannen zu wachsen, sich über seinen Oberkörper auszudehnen.

Malfurion wirkte besorgt, aber Krasus schüttelte den Kopf. Er wusste, was Aviana versuchte. Sein Herz schlug doppelt so schnell wie sonst. Ein Teil von ihm wollte aus dem Nest springen.

„Nein, noch nicht, noch nicht“, warnte die Halbgöttin. „Du wirst spüren, wenn ihr Werk vollendet ist.“

Etwas in seinem Rücken begann zu ziehen. Krasus hörte, wie seine Robe zerriss.

„Da kommt etwas aus Eurem Rücken!“, stieß der Druide hervor.

Krasus wusste bereits, was da aus ihm herauswuchs, bevor sich die großen weißen Flügel auszubreiten begannen. Sie sahen aus wie jene, die Aviana als Vogel getragen hatte. Krasus schlug instinktiv damit und stellte fest, dass sie ihm so vertraut waren wie seine eigenen Schwingen.

„Sie gehören dir für diese Reise, diese Reise.“

Der Drachenmagier betrachtete seinen Begleiter. „Was ist mit ihm?“

„Er wurde nicht für den Himmel geboren, geboren. Er könnte es lernen, ja, lernen. Zu langwierig, langwierig. Du musst ihn tragen, tragen.“

Krasus bezweifelte, dass er in seiner gegenwärtigen Gestalt die Kraft für die lange Reise aufbringen würde. Diese Sorge sprach er aus. Ihre Gastgeberin ging jedoch nicht darauf ein.

Stattdessen zog sie eine einzelne Strähne aus einer Feder. Sie legte sie an die Lippen und blies sie Malfurion sanft entgegen. Der Druide wirkte unsicher, blieb jedoch stehen, während ihm die winzige Feder entgegenschwebte.

Sie berührte seine Schulter und blieb dort hängen. Malfurion schüttelte sich, dann bewegte er neugierig Arme und Beine.

„Ich fühle mich – “ Er sprang hoch und wäre beinahe gegen die Decke geprallt. Ein kindisches Grinsen erschien auf seinem Gesicht, als er wieder den Boden berührte.

Die Vogelgottheit lächelte, dann kehrte ihr Blick zu Krasus zurück. „Er wird keine Last für dich sein, keine Last.“

„Ich…“ Krasus fehlten die Worte. Erst jetzt begriff er, wie sehr er das Fliegen vermisst hatte. Eine Träne löste sich aus seinem Auge. Er ging vor Aviana auf die Knie und sagte: „Danke…“

„Kein Grund zur Dankbarkeit, kein Grund.“ Mit einer Handbewegung bat sie ihn, sich zu erheben, dann führte sie beide zum Ausgang. „Du wirst fliegen, fliegen. Zu diesem hohen Ast, dann nach rechts, rechts. Durch die Wolken und dann hinab. Mach dich auf den Weg, auf den Weg.“

„Was ist mit der Feder? Wie – “

Sie legte einen Finger auf die Lippen des Magiers. „Still, still. Sie wird es spüren, spüren.“

Malfurion trat neben Krasus. Aviana wurde ernster und sagte zu dem Druiden: „Dein shan’do lässt dir ausrichten, dass er bei dir ist, bei dir ist. Wir ignorieren die Gefahr nicht, nicht. Unser Wille, unser Wille ist stark…“

„Danke. Das gibt mir Hoffnung.“

„Das gibt uns allen Hoffnung“, fügte Krasus hinzu. „Wenn wir nur etwas wegen der Drachen unternehmen könnten.“

Sie stimmte zu. „Ja. Auch wir verstehen nicht, was dort geschieht, geschieht.“

Ihre beiden Besucher sahen sich an. Dann sagte Krasus. „Sie haben einen Plan, aber es existiert eine Bedrohung, die – “

Sein Mund fühlte sich plötzlich an, als sei er voller Watte. Seine Zunge zuckte. Aviana wartete, aber Krasus konnte nicht weitersprechen.

Die Halbgöttin hielt seine Stille für Verschwiegenheit und nickte respektvoll. Dann bat sie den Drachenmagier, durch die Öffnung zu treten.

Krasus folgte der Aufforderung und sprang förmlich in den Himmel. Die Flügel reagierten sofort und hoben ihn hoch. Vögel begannen zu zwitschern und zu singen, hießen ein neues geflügeltes Wesen willkommen.

Seine Freude ließ Krasus für einen Moment Malfurion und seine Mission vergessen. Das Gefühl, endlich wieder eigene Flügel zu besitzen, war so spektakulär, dass er zuerst eine Runde durch die Äste drehen musste, bis sein Verstand sich meldete.

Ein wenig reumütig kehrte der Magier schließlich zu Aviana und dem Druiden zurück. Der Nachtelf sah ihn ehrfürchtig an, während die Halbgöttin ihn wie eine stolze Mutter anlächelte. Sie bedeutete dem Druiden, das Nest ebenfalls zu verlassen, und nach kurzem Zögern folgte er ihrer Aufforderung.

Krasus schwebte hinter ihn und hob ihn an den Schultern empor. Malfurion war fast schwerelos.

„Ist es angenehm so?“, fragte der Magier.

„Erst wenn meine Füße wieder den Boden berühren, wird irgendetwas angenehm sein“, murmelte Malfurion. „Doch bis dahin muss es wohl gehen, Meister Krasus.“

„Dann geht, geht“, sagte Aviana. An Krasus gewandt fügte sie hinzu: „Und wenn das Ende deiner Tage gekommen ist, mein Junge, wird dein Nest bereit sein, bereit sein.“

Krasus erbleichte. Er betrachtete die endlosen Reihen der Vögel, die vielen Arten, die zusammenlebten, obwohl das eigentlich undenkbar schien.

Und er erkannte, dass sie nur deshalb zusammenlebten, weil sie nicht mehr lebten. Die Halbgöttin hatte ihre Seelen hierher gebracht. Irgendwo gab es wohl größere Flugwesen, so wie das Hippogriff, das getötet worden war… und natürlich auch Drachen, die das Ende ihrer Tage erreicht hatten.

„Geht nun, geht“, sagte die weiße Gestalt. „Du wirst zeitig genug zurückkehren, zurückkehren…“

Krasus war noch nie zuvor so überrascht worden. Er schluckte. „Ja, Mylady… ich danke Euch.“

Ihr Lächeln beruhigte ihn nicht.

Krasus stieg einige Meter empor und blickte in die Richtung, die Aviana ihm genannt hatte. Dann verlieh er dem nervösen Malfurion einen festeren Halt und flog los.

Als sie an Geschwindigkeit gewannen, fragte der Nachtelf: „Was hat sie damit gemeint, dass du zurückkehren würdest?“

„Wir sterben alle eines Tages, Malfurion.“

„Wir…“ Der Druide schüttelte sich, als er die Wahrheit begriff. „Du meinst… all das…?“

„All das.“ Krasus wollte nicht mehr dazu sagen, sondern blickte stattdessen neugierig zurück zum Nest. Seine Augen weiteten sich, als ihm klar wurde, wie wenig er davon gesehen hatte. Zum ersten Mal konnte er die gewaltige Struktur in ihrer Gesamtheit überblicken. Sie breitete sich nach allen Richtungen aus. An jeder Kreuzung befand sich eine riesige gewölbte Höhle, von der weitere Gänge abzweigten. Der Drachenmagier betrachtete die ganze Konstruktion, dann den Baum, neben dem sie winzig wirkte. Hoch oben bemerkte er geflügelte, nicht genauer zu erkennende Wesen.

Und dann, noch während er in den Anblick vertieft war, tauchten sie in die Wolken ein.

16

Kurz hinter Suramar traf die Streitmacht der Nachtelfen wieder auf die Dämonen. Die Brennende Legion widersetzte sich ihnen kurz und fiel dann zurück in Richtung Zin-Azshari. Am nächsten Abend verschärfte sich die Schlacht, aber keine Seite konnte an Boden gewinnen. Nachtelfen wie Dämonen starben entsetzliche Tode durch feindliche Klingen oder Magie.