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Ravencrest ertrug diese Pattsituation nicht. Deshalb rief er Rhonin und Illidan zu sich.

„Magie wird diese Schlacht entscheiden“, sagte er und wandte sich dabei in erster Linie an den Menschen. „Kannst du etwas ausrichten?“

Rhonin dachte nach. „Es gibt eine mögliche Lösung, doch dafür benötige ich die volle Unterstützung der Mondgarde. Der Zauber könnte aber auch dann noch schief gehen.“

„Viel schlimmer kann es ja nicht mehr werden. Was meinst du, Illidan?“

„Ich werde Meister Rhonin bei allem unterstützen, was er zu tun wünscht“, sagte Malfurions Zwillingsbruder und verneigte sich vor dem Magier.

Rhonin zeigte keine Gefühle. Er hoffte, dass Illidan die Kontrolle über sich behielt und nicht versuchte, den Zauber zu verbessern. Das hätte nur im Chaos geendet.

Und Chaos war gleichbedeutend mit einer Niederlage.

„Wir werden so tief wie möglich aus dem Brunnen schöpfen“, erklärte Rhonin Illidan, als sie auf dem Weg zur Mondwache waren. „Ich möchte etwas versuchen, das sich die Zauberer von Dal… das sich die Zauberer meiner Heimat ausgedacht hatten. Sie kamen leider nicht mehr dazu, es anzuwenden.“

„Wird es kompliziert werden, Meister Rhonin?“

„Nein. Sie haben den Zauber wochenlang vorbereitet, aber ich habe mir alle Ergebnisse gemerkt. Wir werden möglicherweise ein paar Stunden brauchen. Das sollte reichen.“

Illidan grinste. „Ich habe volles Vertrauen in Euch, Meister Rhonin.“

Erneut fragte sich der Mensch, ob der Nachtelf seinen Befehlen tatsächlich folgen oder einen eigenen überstürzten Zauber zum Einsatz bringen würde. Illidan schien es immer schwerer zu fallen, nicht im Mittelpunkt eines magischen Aktes zu stehen. Er lebte für seine Kunst und kümmerte sich kaum darum, dass er einen Großteil seiner Kraft von der Mondgarde abzog.

Bei den Göttern, dachte Rhonin plötzlich. Er erinnert fast schon an einen Dämon.

Auch sonst stellte der Nachtelf mit den Bernsteinaugen eine große Bedrohung dar. Sollte Illidan versuchen, den Zauber an sich zu reißen, öffnete er damit dem Untergang Tür und Tor.

Ich werde die Kontrolle über ihn behalten. Außer Krasus und mir vermag das niemand. Er hoffte, dass es seinem ehemaligen Mentor gelungen war, die Drachen aufzusuchen. Wenn nicht, stand das Schicksal der Welt auf dem Spiel. Rhonin hatte einen so gefährlichen Zauber eigentlich nicht einsetzen wollen, aber jetzt, da der Ausgang des Krieges ungewiss war, sah er keine andere Möglichkeit mehr.

Er wollte die Soldaten nicht schutzlos der dunklen Macht der Hexenmeister preisgeben, deshalb bat Rhonin Illidan, die zwölf fähigsten Angehörigen der Mondgarde auszuwählen und dem Rest den Schutz der Soldaten anzuvertrauen. Er würde sie erst brauchen, wenn der Zauber bereit war. Die Mondgarde sollte ihn verstärken und ihn dorthin lenken, wo er benötigt wurde.

Aber nur wenn Rhonins Part gelang.

„Illidan… du musst mich lenken“, sagte der Zauberer, als alles vorbereitet war. „Du musst mich zum Brunnen führen.“

„Ja, Meister Rhonin“, sagte der Nachtelf eifrig. Er stand neben Rhonin und bereitete sich mit ihm auf die geistige Reise zur Quelle der Nachtelfenmagie vor. Bis jetzt hatte Rhonin nur den Rand des Brunnens berührt. Im Gegensatz zu Illidans Volk hing er nicht von der direkten Verbindung ab, was ihm einen immensen Vorteil verschaffte. Illidan und einige andere hatten diese Fähigkeit zwar von dem Menschen erlernt, beherrschten sie jedoch nicht so umfassend. Nun allerdings benötigte Rhonin so viel Kraft wie irgend möglich, um sein Vorhaben umzusetzen.

Weit entfernt ertönte ein Horn. Lord Ravencrest bereitete alles für Rhonins großen Zauber vor… oder für die Katastrophe.

Die beiden Zauberer verbanden ihre Gedanken miteinander. Rhonin spürte Illidans Verwegenheit und versuchte, ihn unter Kontrolle zu halten. Der Ehrgeiz des Nachtelfen bedrohte die Stabilität des Zaubers.

Illidans Gedanken lenkten den Magier. Mit seinem inneren Auge sah Rhonin, wie die Landschaft an ihm vorbeiflog, als er und sein Begleiter sich dem Brunnen näherten. Auf endlose Dämonenreihen folgten zerstörte Landschaften in nur wenigen Sekunden. Dann stieg die zerstörte Stadt Zin-Azshari vor ihnen auf und füllte sein Blickfeld aus. Er sah den großen Palast von Königin Azshara und dann die schwarzen Wasser des Brunnens der Ewigkeit.

Dessen Macht überwältigte ihn. Rhonin hatte geglaubt, den Brunnen durch die Magie spüren zu können, von der Kalimdor durchdrungen war, doch nun erkannte er, dass dies ein Irrtum gewesen war. Der Brunnen bestand aus einer Energie, die so rein war, dass sie ihn zu einem Gott hätte machen können.

Einem Gott

All das, wovon Rhonin geträumt hatte, als er die Roben des Zauberers annahm, erschien ihm nun plötzlich banal. Er konnte ganze Städte mit einem Augenzwinkern erschaffen und wieder vernichten. Er konnte die Macht der Erde selbst auf jeden Feind herabregnen lassen, der sich ihm entgegen stellte. Er konnte –

Mit einer gewaltigen Willensanstrengung befreite sich Rhonin von seinen dunklen Wünschen, und danach betrachtete er den Brunnen voller jäh erwachter Nervosität. Er hatte die ganze Zeit über geahnt, woraus die Quelle wirklich bestand, aber er hatte das Schlechte nicht wahrhaben wollen.

Die Magie hier trug den gleichen Makel wie die Dämonen. Sie war zwar rein, aber sie erschuf ebenso viel Finsternis wie Sargeras.

Es war jedoch zu spät, um sich jetzt noch abzuwenden. Dieses eine Mal musste Rhonin in den Brunnen eintauchen, dann niemals wieder. Zwar widerte es ihn jetzt an, sich von der hier ruhenden Macht bedienen zu müssen, aber ohne sie würde er niemals wieder Magie zum Einsatz bringen können… und Rhonin wusste, dass er das nicht ertragen hätte.

Der Magier spürte Illidans Ungeduld und Neugier, also entnahm er rasch die Energie, die er aus dem Brunnen benötigte. Die Verlockung, seinen Geist darin zu tränken, war groß, aber er widerstand ihr mühsam und zog sich aus den dunklen Wassern zurück.

Innerhalb weniger Augenblicke kehrten seine Seele und die des Nachtelfen in den Körper zurück. Die Verbindung zum Brunnen war so stark wie zuvor. Rhonin bereitete sich auf den Zauber vor. Er wollte ihn so schnell wie möglich weben, um das verdorbene Gefühl aus seiner Seele zu tilgen.

Es geht los, sagte er zu Illidan.

Malfurions Zwillingsbruder bereitete die Mondgarde sofort auf ihre Aufgabe vor. Sie sollte den Zauber des Magiers hundertfach verstärken und zu den Feinden schicken.

Mit Leichtigkeit erschuf Rhonin die Formel, für die seine Lehrer in Dalaran gestorben waren. Er dankte ihren verwehten Seelen, obwohl die Magier erst in Jahrhunderten geboren würden. Dann, als Rhonin sicher sein konnte, dass der innere Zusammenhalt des Zaubers stabil bleiben würde, löste er ihn aus.

Illidan und die anderen erzitterten auf geistiger Ebene, als die Energien sie durchströmten. Der junge Zauberer bewies Umsicht, als er die deutlich erfahreneren Magier der Mondgarde an einem Rückzug hinderte. Der Ehrgeiz, den Rhonin fürchtete, half jetzt seinem Plan.

Gleichzeitig schlugen sie zu.

Ein ohrenbetäubender Klang traf die Brennende Legion, verschonte jedoch die Soldaten, die so verzweifelt auf die Reihen des monströsen Gegners einhieben. Gewaltige Dämonen kreischten auf und ließen ihre Waffen fallen. Die Vibrationen zerfetzten ihre Organe und raubten ihnen den Verstand. Die Welle raste über sie hinweg, und die Dämonen fielen, als würden sie von einem unsichtbaren Besen hinfort gekehrt.

An der gesamten Front starben sie. Und die Soldaten standen erstarrt vor ihnen, konnten nicht fassen, was geschah.

„Jetzt, Ravencrest“, flüsterte Rhonin. „Jetzt!“

Die Hörner erschallten und riefen zum Angriff. Pantherreiter führten den Vorstoß an. Sie galoppierten über das Schlachtfeld und suchten nach dem Feind, aber vor ihnen lagen nur Tote. Die Schallwelle raste weiter und erschuf eine Ebene des Todes. Kein Dämon, den sie traf, überlebte. Hunderte starben.