Rhonin spürte, wie seine Beine unter ihm nachgaben. Er taumelte, glaubte, sein Kopf würde explodieren wie der eines Dämons.
Der Zauberer brach zusammen.
„Ich habe Euch, Meister Rhonin…“
Illidan ließ ihn sanft zu Boden gleiten. Die zum Einsatz gebrachte Magie schien ihn nicht geschwächt zu haben. Die Mitglieder der Mondgarde sahen hingegen so aus, wie sich Rhonin fühlte. Die meisten saßen oder lagen am Boden und kümmerten sich nicht darum, dass die Soldaten vorwärts zogen.
„Hast du es gesehen? Hast du gesehen, was wir getan haben?“ Er blickte zu jemandem, den Rhonin nicht sehen konnte. „Der Brunnen ist der einzige Weg, Bruder. Verstehst du? Nichts reicht an ihn heran!“
Er brüllte den abwesenden Malfurion weiter an. Rhonin, den seine Stärke verlassen hatte, hörte ihm reglos zu. Illidans Habgier und Eifersucht uferten so sehr aus, dass sie an Hass gegenüber dem Druiden grenzten.
Rhonin hatte die Dämonen dank seines Zaubers in die Flucht geschlagen und damit das Kriegsglück vielleicht endgültig gewendet… doch als er Illidans verzerrtes Gesicht betrachtete und daran dachte, wie er sich selbst beinahe vom Brunnen hätte verführen lassen, fragte er sich, ob er nicht eine noch schlimmere Gefahr über das Volk der Nachtelfen gebracht hatte.
Korialstrasz war tief in Gedanken versunken. Seine Geduld neigte sich ihrem Ende entgegen. Man hatte den Drachen befohlen, den Befehl der Aspekte abzuwarten. Sobald er erfolgte, würden sich alle Clans in die Lüfte erheben, geleitet von einem einzigen Willen. Sie sollten sich auf die Dämonen stürzen, die die Drachenseele bereits zerreißen würde, noch bevor die Leviathane selbst zuschlugen.
Ein einfacher sorgsam durchdachter Plan. Fehlerlos.
Aber dennoch ein Plan, dem Korialstrasz – aus Gründen, die er selbst nicht erklären konnte – misstraute.
Doch er war seiner Königin und Gefährtin treu ergeben, deshalb unternahm er nichts. Alexstrasza vertraute auf Neltharions Schöpfung, sie vertraute auch dem Erdwächter selbst. Die Zweifel, die Korialstrasz empfand, musste er für sich behalten.
„Immer in Gedanken, mein Geliebter, immer voller Sorge.“
Er hob den Kopf, als der weibliche Drache seine Kammer betrat. „Alexstrasza“, sagte er. „Solltet Ihr nicht bei den anderen Aspekten sein?“
„Ich habe mich für meine Abwesenheit entschuldigt. Neltharion ist unzufrieden, aber er wird sich damit abfinden müssen.“
Korialstrasz neigte respektvoll den Kopf. „Wie kann ich Euch dienen, meine Königin?“
Einen Moment lang wirkte sie unentschlossen. Dann sagte sie mit ungewöhnlich leiser Stimme: „Ich möchte, dass du mir nicht gehorchst.“
Ihr Gefährte war überrascht. „Meine Geliebte, was meint Ihr?“
„Abgesehen von den Wachen, die wir postiert haben, sollen alle Drachen in diesem großen Höhlensystem bleiben, bis der Befehl zum Aufbruch gegeben wird. Ich möchte, dass du diese Weisung missachtest und die Höhlen verlässt.“
Er war wie betäubt. Sicherlich sollten die anderen Aspekte nichts von seiner Abreise erfahren. „Aber wohin soll ich gehen?“
„Ich weiß es nicht genau, aber ich hoffe, dass du es erkennen wirst, wenn die Barriere hinter dir liegt. Ich möchte, dass du Krasus findest.“
Krasus. Auch mit dem mysteriösen Magier hatten sich Korialstrasz’ Gedanken beschäftigt. Krasus wusste wahrscheinlich vieles über die Dinge, über die er selbst nur spekulieren konnte. „Er wird vermutlich noch bei den Nachtelfen sein…“
„Nein. Noch vor kurzem war er in unserer Nähe. Ysera hat mir erzählt, dass ein Nachtelf namens Malfurion durch sie versucht hat, mit mir in Kontakt zu treten. Allerdings misstraute sie ihm und ließ ihn warten, bis der richtige Zeitpunkt gekommen war.“
„Und?“
„Ysera suchte nach Malfurion, aber er war verschwunden. Sie erzählte mir davon, während Neltharion und Malygos über die Verzauberung der Seele sprachen.“
„Aber was wollte Krasus hier?“ Die Sorge des roten Drachen nahm zu. Die Reise aus dem Land der Nachtelfen war beschwerlich für jemanden, der nicht mit einem Flügelschlag mehrere Meilen überbrücken konnte.
„Genau das will ich wissen.“
„Ich werde tun, was ich kann, um ihn zu finden, aber das könnte sehr schwierig werden.“
Die Königin schnaufte. Sie schloss einen Moment lang nachdenklich die Augen, dann nickte sie. „Ja, du musst es jetzt erfahren.“
„Was erfahren?“
„Geliebter, du hast die Nähe zwischen dir und Krasus gespürt. Du würdest ihn fast schon als einen Bruder bezeichnen, nicht wahr?“
Er hatte noch nie darüber nachgedacht, begriff jetzt jedoch, dass Alexstrasza Recht hatte. Krasus nahm diesen Platz in seinem Herzen ein. Es hatte nichts mit den Schuppen zu tun, die sie getauscht hatten, um ihre Schwäche zu überwinden. Korialstrasz vertraute ihm einfach, so wie er seiner Gefährtin vertraute.
Und manchmal sogar noch mehr.
Alexstrasza las die Antwort in seinem Gesicht. „Dann höre mich an, Geliebter. Der Grund für deine Nähe zu Krasus ist, dass ihr… eins seid.“
Der rote Drache blinzelte verwirrt. Er glaubte, sich verhört zu haben.
Aber Alexstrasza schüttelte ihren massigen Kopf und sagte: „Krasus ist du, Korialstrasz. Er ist nur viel älter, viel erfahrener und viel weiser. Er ist so wie du in unzähligen Jahrhunderten sein wirst.“
„Das ist unmöglich!“ Ihm kam plötzlich ein Gedanke. „Ist das ein Trick von Nozdormu. Seine Abwesenheit ist sehr verwunderlich…“
„Nozdormu spielt eine Rolle in dieser Angelegenheit, aber Genaueres kann ich dir nicht sagen. Du musst nur wissen, dass Krasus hier ist, weil es nicht anders geht.“
„Dann steht der Ausgang des Krieges fest. Durch die Drachenseele werden wir über die Dämonen triumphieren. Meine Sorge war unbegründet.“
„Deine Sorge ist begründet. Wir kennen den Ausgang nicht. Krasus befürchtet, dass Nozdormu ihn hierher geschickt hat, weil sich die Zeitlinie verschob… verschieben wird. Es gab einen Zeitpunkt, an dem ich darüber nachdachte, ob ich ihn und seine Begleiter vielleicht töten müsste, um sie zu erhalten, aber schon bald wurde deutlich, dass es damit nicht getan gewesen wäre.“
Korialstrasz starrte sie aus großen Augen an. „Ihr hättet… mich getötet?“
„Wenn er darauf beharrt hätte, mein Geliebter.“
Er dachte darüber nach und verstand, dass sie richtig gehandelt hätte. „Vergebt mir. Ja, meine Königin, ich werde ihn suchen.“
„Ich danke dir. Die Reise durch die Zeit hat seine Erinnerung stark getrübt. Vielleicht liegt es daran, dass er hier bereits in deiner Gestalt existiert. Trotzdem ist sein Verstand scharf, und wenn er so dringend um eine Unterredung ersucht, sollten wir ihn finden.“
„Ich breche sofort auf.“
Alexstrasza neigte dankbar den Kopf. „Ich muss so tun, als wäre dies allein deine Idee gewesen, Korialstrasz.“
„Natürlich. Ich werde Euch nicht enttäuschen, meine Königin.“
Sie sah ihn liebevoll an, dann verließ sie seine Kammer. Der rote Drache wartete, bis sie sich weit genug entfernt hatte, dann ging auch er.
Zu seiner Erleichterung konnte er den Berg ohne Zwischenfälle verlassen, da die meisten Drachen in den Höhlen saßen und den Angriffsbefehl erwarteten. Bei dem Rest handelte es sich um Gefährten wie ihn oder Tyran, die sich in der Nähe der Aspekte aufhalten mussten für den Fall, dass sie gebraucht wurden.
Den Wachen aus dem Weg zu gehen, erwies sich als schwieriger. Dem ersten Wächter, der aus seinem eigenen Clan stammte, entging er, weil er dessen Persönlichkeit einschätzen konnte. Horakastrasz war ein junger Drache mit scharfen Augen, aber er ließ sich leicht ablenken. Korialstrasz traf auf ihn, als er gerade gelangweilt Felsen mit seinem Schwanz aus dem Berg riss und zusah, wie sie zu Tal stürzten. Dem nächsten Wachposten entging er, indem er so hoch flog, dass der andere die Veränderung des Luftwiderstands nicht wahrnahm.