Auch vom Rest blieb er dank unterschiedlicher Tricks unbemerkt. Dann stellte er sich auf den Kontakt mit der Barriere ein. Mit dem Kopf voran prallte er gegen die unsichtbare Mauer. Es fühlte sich an, als wate er durch Molasse. So kräftig es ging schlug er mit den Flügeln und katapultierte sich schließlich aus dem Hemmnis hinaus. Meilenweit flog er taumelnd, bis er die volle Kontrolle über seinen Flügelschlag endlich zurückerlangte.
Korialstrasz hockte sich auf einen Berggipfel und konzentrierte sich auf Krasus. Zur Sicherheit legte er eine Klaue auf die Schuppe, die sein älteres Ich ihm geschenkt hatte. So vieles ergab jetzt mehr Sinn. Er hatte vorher nicht verstanden, warum der Schuppentausch ihnen beiden geholfen hatte. Jetzt wusste er, dass beide Hälften dadurch vollständiger geworden waren. Korialstrasz war zwar immer noch etwas erschöpft, aber es ging ihm seit dem Tausch schon wesentlich besser.
Mit aller Kraft suchte er nach Krasus und konzentrierte sich auf die Verbindung die nur zwei haben konnten, die eins waren. Der Drache bezweifelte, dass seine andere Hälfte sich noch in der Nähe aufhielt. Korialstrasz – der ja Krasus war – hätte an seiner Stelle versucht, die Barriere auf andere Weise zu durchbrechen. Da er das offenbar nicht getan hatte, musste er geflohen sein.
Der Rote versuchte nicht daran zu denken, was sein älteres Ich gezwungen hatte, die Gegend vor der Barriere zu verlassen. Stattdessen sandte er seinen Geist nach ihm aus. Nur der Wille eines Drachen vermochte es, sich so weit über das Land auszustrecken, wie Korialstrasz es gerade tat. Sein Geist überbrückte auf der Suche nach sich selbst endlose Landschaften.
Doch er stieß auf keine Spur, und seine Geduld begann nachzulassen. Die Aufgabe war nicht schwer, trotzdem konnte er sie nicht bewältigen. War Krasus vielleicht einem Feind zum Opfer gefallen? Der Gedanke ließ Korialstrasz erschaudern. Kein Wesen sollte sein eigenes Ende miterleben müssen…
Doch dann spürte der Drache plötzlich eine vertraute Präsenz, die wie neu erschaffen wirkte. Den genauen Aufenthaltsort konnte er nicht ermitteln, aber er wusste zumindest, in welche Richtung er fliegen musste.
Korialstrasz stieg sofort in die Lüfte auf. All seine Kraft legte er in die Flügelschläge. Je schneller er sein anderes Ich fand, desto eher würde er sich wieder sicher fühlen.
Er blendete alles außer Krasus in seinem Denken aus. Seine Umgebung verschwamm. Seine gewaltigen Flügel fraßen die Meilen, aber trotzdem zog sich die Reise dahin.
Korialstrasz war so besessen von seiner Suche, dass er den Angreifer erst bemerkte, als sich Klauen in seinen Rücken gruben.
Erschrocken schrie er auf, warf sich jedoch gleichzeitig in der Luft herum und überraschte damit seinen Gegner. Das monströse Gesicht eines schwarzen Drachen starrte ihm entgegen.
„Aufhören!“, rief der Rote. „Beim Ruhm der Aspekte verlange ich, dass du – “
Der andere Drache öffnete das Maul.
Korialstrasz stoppte seinen Flügelschlag abrupt. Sein massiger Körper fiel dem Erdboden wie ein Stein entgegen. Diese schnelle Reaktion rettete ihn vor einem Strahl aus brennender Lava. Die Hitze, die über seinen Kopf strich, war so groß, dass ihm Tränen in die Augen stiegen.
Die Schmerzen aus den Klauenwunden brannten in Korialstrasz’ Körper. Er war zwar etwas größer als der Schwarze, aber seine Schwäche hob diesen vermeintlichen Vorteil wieder auf.
„Lass mich in Ruhe“, sagte er ruhig, um den anderen nicht zu provozieren. „Es gibt keinen Streit zwischen uns.“
„Du darfst dich nicht einmischen!“, gab der Schwarze zurück. Sein Blick flackerte wahnsinnig.
Alexstraszas Gefährte wusste nicht, was sein Gegner damit meinte, aber seine Sorge um Krasus wuchs.
Der schwarze Leviathan ließ sich auf Korialstrasz fallen und zwang ihn so, noch tiefer zu sinken. Korialstrasz ließ es zu, wollte zuerst warten und sich dann im letzten Moment unter seinem Gegner zur Seite drehen.
Doch als sich ihm der Berggipfel näherte, erkannte er, dass man ihn genarrt hatte.
Korialstrasz’ Gegner ließ ihn plötzlich los. Im gleichen Moment tauchte ein zweiter schwarzer Drache neben dem Gipfel auf und warf sich dem Roten entgegen. Die Drachen prallten zusammen und stürzten unkontrolliert den spitzen Felsen entgegen.
„Du bringst uns beide um!“, rief Korialstrasz.
„Zum Ruhme meines Herrn!“
Der tosende Wind zwang die Flügel des Schwarzen nach hinten. Erst jetzt sah der Rote, dass eine der beiden Schwingen gebrochen und zerfetzt war. Dieser Drache konnte nicht mehr richtig fliegen, und jetzt wollte er sich opfern und seinen Gegner mit in den Tod reißen.
Korialstrasz hatte jedoch nicht vor, dies geschehen zu lassen. Er schlug hart mit den Flügeln und tat, was sein verletzter Feind nicht mehr vermochte: Er steuerte seinen Fall mit ihnen. Plötzlich war er über dem Schwarzen, nicht mehr unter ihm.
Der verwundete Riese brüllte wütend und versuchte, sich herumzuwerfen. Korialstrasz hörte den Schrei des anderen Drachen, der begriff, was geschah.
Der Rote zog alle vier Beine an, lockerte seinen Griff jedoch nicht. Leise zählte er die Sekunden, die ihm noch blieben. Die raue Landschaft schoss ihm entgegen. Seine Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf die spitzen Felsen, die unter ihm aufragten.
Als er und der Schwarze sie erreichten, streckte Korialstrasz seine Beine aus und stieß sich von seinem Feind ab. Mit kräftigen Flügelschlägen kämpfte er sich nach oben.
Mit einem schmerzerfüllten Brüllen, das durch die Berge hallte, schlug der verletzte Schwarze auf. Seine Knochen barsten, und für einen kurzen Augenblick strauchelte er wie ein Blatt im Wind. Blut besudelte die Landschaft.
Dem sterbenden Leviathan entwich ein letztes Stöhnen… dann fiel sein Kopf zur Seite. Seine Zunge rollte aus dem Maul.
Die zweite Attacke traf Korialstrasz während seines mühsamen Wiederaufstiegs. Erneut gruben sich Klauen in den Rücken des Roten und ließen ihn aufschreien. Die Schlacht begann ihren Tribut von Korialstrasz zu fordern. Sein Atem ging stoßweise, und das Fliegen fiel ihm schwer. Weder er noch Alexstrasza hatten damit gerechnet, so von Neltharions Clan hintergangen zu werden.
„Du musst sterben!“, brüllte der Schwarze wütend, als könne sein Wunsch bereits dadurch zur Realität werden.
Der rote Drache entging den tödlichen Klauen, aber sein Gegner griff unablässig an. Er war nicht nur schnell, sondern wurde von dem brennenden Wunsch getrieben, seinem Herrn zu gefallen. Wie der erste Schwarze schien auch er bereit zu sein, sich selbst zu opfern, nur um seinen Auftrag zu erfüllen.
Aber welcher Auftrag mochte das sein? Wieso war er so wütend, weil ein Drache sich von den anderen getrennt hatte? Wieso hatte Neltharion solche Angst davor, dass er seinen Wachen gebot, dies notfalls mit ihrem eigenen Leben zu verhindern?
Korialstrasz kannte den Grund nicht, konnte jedoch auch nicht mehr länger darüber nachsinnen. Feuerodem traf ihn mitten in die Brust. Er drehte sich unkontrolliert und vermochte sich nicht mehr zu konzentrieren.
Klauen bohrten sich in sein Fleisch. Der faulige Atem des Schwarzen ließ ihn würgen.
„Ich habe dich!“, brüllte der wahnsinnige Drache und atmete tief ein. Sein nächster Feuerstoß sollte seinen Gegner aus nächster Nähe treffen und töten.
Verzweifelt stieß Korialstrasz seinen Kopf vor. Seine mächtigen Kiefer schlossen sich um den Hals des schwarzen Drachen und drückten so hart zu, dass sie ihm den Atem raubten.
Sein Feind wand sich in Krämpfen, als die Kräfte, die er schon fast freigesetzt hatte, kein Ventil fanden. Seine Klauen kratzten über Korialstrasz’ Gesicht und seinen Körper, hinterließen tiefe Narben.
Dann explodierte der Schwarze.
Korialstrasz ließ den Hals des Gegners los und schrie schmerzerfüllt, als die brennende Lava, die aus dem Leichnam quoll, seinen Körper streifte. Das war zu viel. Er konnte sich nicht mehr halten. Gemeinsam mit seinem besiegten Gegner stürzte er in die Tiefe.
Und kurz bevor er das Bewusstsein verlor, fragte sich der rote Drache, welchen Einfluss sein Tod auf sein zukünftiges Ich haben mochte.