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„Mach das nicht noch einmal!“, befahl Tyrande ihr. „Du musst zurückbleiben, wenn wir in den Kampf ziehen. Ich kann nicht gleichzeitig kämpfen und mich um dich kümmern.“

Shandris wirkte niedergeschlagen und nickte, aber Tyrande bezweifelte, dass dies das Ende der Diskussion war. Sie betete zu Elune, dass das junge Mädchen weise handeln würde.

Während Tyrande über ihre schwierige Situation nachdachte, bemerkte sie, dass sich eine Schwester aus einer anderen Gruppe löste und ihr entgegenkam. Die Priesterin war groß und einige Jahre älter als Tyrande. Ihr Gesichtsausdruck wirkte sehr ernst.

„Meinen Gruß, Schwester Marinda. Was führt dich zu dieser Unwürdigen?“

„Meinen Gruß, Schwester Tyrande“, antwortete Marinda ernst. „Ich komme von der Hohepriesterin.“

„Ja? Hat sie neue Anweisungen für uns?“

„Sie… ist tot, Schwester.“

Tyrande fühlte sich, als habe jemand ihre Welt auf den Kopf gestellt. Die ehrwürdige Mutter des Tempels sollte tot sein? Sie war ebenso wie die anderen Gläubigen mit den Worten und Taten dieser Frau aufgewachsen. Wegen ihr hatte sich Tyrande entschlossen, das Novizengewand anzulegen.

„W-wie kann das sein?“

Tränen liefen über Marindas Gesicht. „Sie hat ihre Wunden vor uns geheim gehalten, nur ihre Dienerinnen wussten davon. Während des Marsches zurück nach Suramar wurde sie von einem Dämon am Bauch verletzt. Das hätte sie dank ihrer großen Heilkunst wahrscheinlich überlebt, doch dann stürzte sich eine Teufelsbestie auf sie. Offenbar lag sie bereits im Sterben, bis andere die Bestie töteten. Sie haben sie zurück in ihr Zelt getragen, wo sie sich aufgehalten hat, bis sie vor einer Stunde von uns ging.“

„Wie schrecklich!“ Tyrande fiel auf die Knie und begann zu Mutter Mond zu beten. Marinda kniete sich neben sie, ebenso wie Shandris, die sie ohne Aufforderung nachahmte.

Die beiden Priesterinnen verabschiedeten sich in Gebeten von ihrer Lehrerin, dann erhoben sie sich.

Marinda sagte: „Da ist noch mehr, Schwester.“

„Mehr? Was denn?“

„Vor ihrem Tod hat sie ihre Nachfolge geregelt.“

Tyrande nickte. Das hatte sie erwartet. Die neue Hohepriesterin hatte sicherlich Boten wie Marinda ausgesandt, um die Nachricht von ihrem Aufstieg zu verbreiten.

„Wer ist es?“ Es gab mehrere würdige Kandidatinnen.

„Sie hat dich ernannt, Tyrande.“

Tyrande traute ihren Ohren nicht. „Sie – Mutter Mond! Du scherzt doch wohl!“

Shandris quietschte und applaudierte. Tyrande drehte sich um und sah sie tadelnd an. Die Waise wurde ruhig, aber ihre Augen leuchteten stolz.

Marinda schien nicht zu scherzen, und das ängstigte Tyrande. Wie sollte sie, die gerade mal eine Priesterin geworden war, die gesamte Schwesternschaft leiten – und das in Kriegszeiten?

„Vergib mir meine Worte, Schwester Marinda, aber könnte es sein, dass ihre Verletzungen ihren Geist getrübt hatten? Wieso sonst sollte sie gerade mich erwählen?“

„Sie war bei klarem Verstand, Schwester. Und sie hatte von dir schon häufiger gesprochen. Die leitenden Schwestern wussten, dass du ihre Nachfolge antreten solltest. Niemand hat sich gegen ihre Entscheidung ausgesprochen.“

„Aber… das ist unmöglich. Ich kann doch niemanden anführen! Wie könnte ich mit so wenig Erfahrung solche Verantwortung übernehmen? Es gibt so viele, die den Tempel besser kennen.“

„Aber keine, die enger mit Elune verbunden ist. Wir alle sehen und spüren das. Die Soldaten und die Flüchtlinge erzählen sich bereits Geschichten über dich. Du hast Wunder vollbracht, Kranke geheilt, bei denen andere aufgegeben hatten…“

Davon hatte Tyrande nichts gehört. „Was meinst du damit?“

Schwester Miranda erklärte es ihr. Alle Priesterinnen opferten einen Teil ihrer Ruheperiode, um zu versuchen anderen zu helfen. Doch Wunsch und Befähigung lagen oft weit auseinander. Trotzdem gelang es ihnen, viele zu heilen… aber bei unzähligen anderen versagte ihr Können.

Tyrande hatte nur Erfolge vorzuweisen. Jeder, den sie zu heilen versucht hatte, war gesund geworden. Ohne es zu ahnen, hatte Tyrande auch diejenigen geheilt, bei denen andere Schwestern aufgegeben hatten. Das allein hatte die Priesterinnen bereits überrascht, noch erstaunter waren sie jedoch darüber, dass Tyrande sich nie ausruhte.

„Eigentlich solltest du nicht mehr in der Lage sein zu stehen, aber du kämpfst ja sogar, Schwester Tyrande.“

Die junge Priesterin war noch nicht einmal auf die Idee gekommen, dass sie etwas Außergewöhnliches tat. Sie betete zu Elune, und Elune antwortete ihr. Tyrande war dafür dankbar, ging dann jedoch direkt weiter zum nächsten Bedürftigen.

Und nun glaubten die anderen, sie habe weit über das Normale hinaus gewirkt.

„Das… das kann nicht sein.“

„Doch, es ist so. Du musst es akzeptieren.“ Marinda holte tief Luft. „Du weißt, dass es normalerweise eine Zeremonie geben würde, um dich so vielen Gläubigen wie möglich vorzustellen.“

„Ja…“, antwortete Tyrande gedankenverloren.

„Wir werden natürlich unser Bestes tun. Mit deiner Erlaubnis werde ich die anderen Schwestern vom Kampf abziehen und – “

„Was?“ Wollten sich die Schwestern etwa nur wegen ihr eine neue Bürde aufladen? Tyrande riss sich zusammen und erklärte: „Nein, das erlaube ich nicht.“

„Schwester – “

Sie setzte ihre neue, wenn auch unerwünschte Autorität ein und sah Marinda scharf an. „Ich muss diese Position wohl annehmen, aber ich werde nicht zulassen, dass uns eine Zeremonie von den Gefahren um uns herum ablenkt. Ich werde das Amt der Hohepriesterin annehmen, zumindest bis dieser Krieg vorüber ist, aber ich werde meine Kleidung behalten.“

„Aber die Robe deines Amtes…“

„Ich werde meine Kleidung behalten, und es wird keine Zeremonie geben. Ein solches Risiko können wir nicht eingehen. Wir werden im Namen von Mutter Mond weiterhin heilen und kämpfen. Verstanden?“

„Ich…“ Marinda kniete nieder und senkte den Kopf. „Ich gehorche, Mylady.“

„Erhebe dich. Diesen Gehorsam wünsche ich nicht. Wir sind alle Schwestern und im Herzen gleich. Wir alle beten zu Elune. Niemand soll mich anbeten.“

„Wie du es wünschst.“ Aber die ältere Priesterin erhob sich nicht. Sie schien etwas von Tyrande zu erwarten. Nach einem kurzen Moment der Verwirrung erkannte sie, worum es ging.

Tyrande hoffte, dass ihre Hand nicht zittern würde, als sie sie auf Marindas Kopf legte. „Im Namen von Mutter Mond, der großen Elune, die über uns alle wacht, segne ich dich.“

Sie hörte, wie die andere Priesterin erleichtert durchatmete. Marinda erhob sich. Ihr Gesichtsausdruck erinnerte Tyrande an jenen, den sie selbst und die anderen Priesterinnen in Gegenwart ihrer ehrenwerten Lehrerin getragen hatten. „Wenn es dir recht ist, werde ich den anderen deinen Willen übermitteln.“

„Ja… danke.“

Als sich Marinda abwandte, brach Tyrande beinahe zusammen. Das war doch nicht möglich! In gewisser Weise war dies beinahe so schrecklich, wie der Brennenden Legion gegenüberzutreten. Sie als Leiterin des Ordens! Das war wahrlich das Ende von Kalimdor!

„Wie wundervoll!“, rief Shandris und klatschte in die Hände. Sie lief zu Tyrande und schien sie umarmen zu wollen, blieb dann jedoch stehen und versuchte, ernst zu wirken. Wie auch schon Marinda kniete die Waise vor ihr nieder und erwartete ihren Segen.

Resignierend segnete Tyrande sie. Shandris sah sie voller Ehrerbietung an. „Ich folge dir für den Rest meines Lebens, Mylady.“

„Nenn mich nicht so. Ich bin immer noch Tyrande.“

„Ja, Mylady.“

Die neue Leiterin des Tempels seufzte und dachte darüber nach, was als nächstes zu tun war. Wahrscheinlich gab es endlose Rituale, die sie als Hohepriesterin durchführen musste. Tyrande erinnerte sich daran, dass ihre Vorgängerin zahllose Gebete geleitet hatte. Der Tempel hielt auch jeden Abend Zeremonien ab, um den Mondaufgang zu gewährleisten und das Wohlwollen der Götter zu erbitten. Abgesehen davon gab es auch Zusammenkünfte und Feiern zu bestimmten weltlichen Anlässen.