Doch trotz dieses Wissens konnte er dem Drachen nicht widersprechen. Sie beide waren von der Liebe zu ihrer Königin erfüllt.
„Versuche, seinen Rücken anzugreifen“, sagte er seinem jüngeren Ich. „Du musst dafür sorgen, dass er die Scheibe fallen lässt.“
Der Leviathan neigte dankbar den Kopf. „Ich werde mir deinen Rat zu Herzen nehmen.“
Dann erhob sich Korialstrasz wieder in die Luft. Seine Schwingen schlugen schneller. Er wollte vor dem Angriff Geschwindigkeit aufnehmen. Seine Begleiter sahen ihm nach. Vor allem Krasus ließ ihn nicht aus den Augen, bis er jenseits der Hügel verschwand.
Die Würfel waren gefallen. Der Magier drehte sich um und sagte: „Komm, Malfurion, wir müssen deinem Volk helfen.“
Krasus lief hastig über die Hügel, wirkte längst nicht mehr so würdevoll wie sonst. Würde konnten sich nur diejenigen leisten, die über Zeit und Geduld verfügten. Ihm und seinem Begleiter mangelte es im Moment an beidem. Sie mussten so schnell wie möglich Rhonin und die anderen finden.
Die Frage war nur, was sie dann tun würden.
Sie liefen immer weiter, doch die Nachtelfen schienen nicht näher zu kommen. „Das dauert viel zu lange“, sagte Krasus mürrisch. „Bis wir dort sind, ist es längst zu spät.“
„Vielleicht kann ich etwas beschwören. Vielleicht schickt mir Cenarius noch einmal Hippogriffs.“
„Ich bezweifle, dass wir noch einmal so viel Glück haben werden. Aber wenn ich Rhonin kontaktieren könnte…“
Er unterbrach sich. Dann atmete er tief ein und streckte seinen Geist nach seinem ehemaligen Schüler aus. Er spürte den Menschen zwar, aber dieser wurde zu sehr durch seine Umgebung abgelenkt und nahm Krasus’ Berührung wahrscheinlich noch nicht einmal wahr.
„Ich habe versagt“, meinte er schließlich. „Wir müssen wohl doch weitergehen.“
„Lasst mich es versuchen. Das kann ja nicht schaden.“
Krasus sah den Druiden an. „Wen willst du erreichen?“
„Meinen Bruder natürlich.“
Der Zauberer dachte einen Moment lang über diese Wahl nach, dann sagte er: „Ich würde dir lieber jemand anderen vorschlagen. Tyrande zum Beispiel.“
„Tyrande?“ Malfurion errötete.
Krasus wollte dem Nachtelfen nicht zu nahe treten, deshalb fügte er hinzu: „Als wir dich im Palast gesucht haben, konnten wir die Verbindung dank ihrer Hilfe rasch erstellen. Mit meiner Unterstützung könnte es dir auch gelingen. Außerdem kann sie vielleicht Reittiere für uns organisieren.“
Malfurion nickte. Das ergab Sinn. „Nun gut.“
Krasus und der Nachtelf setzten sich einander gegenüber ins Gras. Der Drachenmagier blickte seinem Begleiter in die Augen. Beide konzentrierten sich.
„Tyrande…“, flüsterte Malfurion.
Krasus spürte, wie sein Geist nach ihr tastete. Die Verbindung zu der Priesterin kam fast augenblicklich zustande und bestätigte den Verdacht des Magiers. Auch wenn beide die tiefen Gefühle, die sie füreinander empfanden, noch nicht erkannt hatten, waren sie für ihn doch deutlich spürbar.
Tyrande… sagte Malfurion in seinem Geist.
Malfurion? Sie klang ebenso überrascht, wie erleichtert. Wo –
Hör mir gut zu. Ich kann nicht viel erklären, antwortete er und versuchte die Dringlichkeit seiner Bitte zu betonen. Krasus und ich benötigen Reittiere. Kann eine der Schwestern sie zu den südlichen Hügeln bringen?
Er versuchte das Bild der Landschaft an sie zu übermitteln. Sie verstand ihn.
Ich werde selbst kommen, sagte die Priesterin.
Krasus mischte sich ein, bevor Malfurion protestieren konnte. Sie wird der Verbindung zu uns folgen können. Eine andere Person würde uns vielleicht nicht sofort finden.
Der Drachenmagier spürte Malfurions Zögern und schließlich seine Zustimmung.
Ich muss zuerst Reittiere finden, aber dann komme ich sofort. Mit diesen Worten zog sich Tyrande aus der Unterhaltung zurück. Sie war immer noch mit Malfurion verbunden, hatte den Kontakt aber so weit reduziert, dass seine Gedanken sie nicht ablenken konnten.
„Gepriesen seien die Aspekte!“, verkündete Krasus, als er sich aus der Vereinigung zurückzog. Er zog Malfurion auf die Beine und fügte hinzu: „Jetzt haben wir wieder eine Chance.“
„Aber wie groß ist diese Chance? Zuerst die Dämonen und nun die Drachen. Kalimdor ist dem Untergang geweiht.“
„Vielleicht – aber vielleicht auch nicht. Wir werden tun, was wir können.“ Der Magier blickte in die Richtung, in die Korialstrasz geflogen war. Die Hügel verbargen den Kampf vor seinen Augen.
„Wie die anderen auch“, sagte Krasus ernst. „Wie die anderen auch…“
21
Korialstrasz prallte so hart wie er nur konnte mit Neltharion zusammen. Er zielte dabei auf die Körperteile, die am wenigsten gepanzert waren. Gleichzeitig richtete er einen Feuerstoß auf die Augen des wahnsinnigen Aspekts.
Es gelang ihm zwar, den Erdwächter zu überraschen, doch die Scheibe hielt Neltharion weiterhin fest. Der schwarze Drache umklammerte sie förmlich. Sogar als er durch die Luft geschleudert wurde, achtete er darauf, seine geliebte Schöpfung nicht zu verlieren.
Korialstrasz zischte frustriert. Allein hatte er keine Chance gegen den wesentlich größeren Drachen. Außerdem spürte er, wie die Scheibe, die Krasus so treffend als Dämonenseele bezeichnet hatte, an ihm zerrte. Er wusste, dass ihn der Erdwächter ebenso versklaven konnte wie die anderen Drachen.
Trotzdem zog sich Alexstraszas Gefährte nicht zurück. Er hatte seine Entscheidung getroffen und würde bis zum Tode kämpfen. Vielleicht gelang es ihm, wenigstens seine Gefährtin zu retten.
Neltharion hatte sich noch nicht wieder gefangen, als Korialstrasz ihn erneut rammte, mit dem Kopf nach dem Bauch des Drachen schlug. Der Aspekt schnappte nach Luft. Seine Tatze öffnete sich… und die Scheibe stürzte in die Tiefe.
„Nein!“, schrie Neltharion. Kraftvoll stieß er den anderen Leviathan zur Seite und folgte der Scheibe. Neltharion legte die Schwingen an, tauchte hinter ihr her und fing sie nach kurzer Zeit wieder ein.
Er richtete sich auf und schrie den kleineren Drachen wutentbrannt an: „Wie kannst du es wagen!“
Korialstrasz wollte sich drehen, war jedoch zu langsam. Entsetzt sah er, wie Neltharion die Scheibe gegen ihn richtete.
„Du wirst mir deine Kehle darbieten!“
Der Lichtblitz überwältigte Korialstrasz. Er glaubte zu verbrennen, fürchtete, seine Schuppen würden schmelzen und seine Knochen zu Asche zerfallen. Er schrie seine Qual hinaus.
Dennoch warf er sich nach vorne, nicht etwa zurück. Er kämpfte gegen den Schmerz und flog auf Neltharion zu. Der Erdwächter brüllte frustriert. In seinem Wahnsinn hatte er sich dafür entschieden, seinen Gegner zu zerstören, nicht zu versklaven. Das rächte sich nun.
Sie prallten zusammen. Auf diese kurze Entfernung ließ sich die Scheibe nicht so gut einsetzen, wie Neltharion geglaubt hatte. Beide Drachen kämpften mit Klauen und Zähnen. Korialstrasz behauptete sich, so gut es ging.
Neltharion schnappte nach seiner Kehle. Der Rote atmete ein und spie dem Erdwächter einen Feuerstoß mitten ins Gesicht. Dieses Mal zeitigte der Angriff Erfolg. Der schwarze Drache wich zurück. Sein Kopf rauchte.
Doch Korialstrasz’ Sieg war nicht von langer Dauer. Neltharion flog aus seiner Reichweite, presste die Dämonenseele gegen seine Brust und grinste seinen Gegner an.
„Du amüsierst mich nicht mehr, junger Korialstrasz. Du bist nur eine Motte für mich, ein Insekt, das ich zerquetsche. Die Sklaverei ist zu gut für dich…“
Die Scheibe begann hell zu leuchten. Ihre goldene Aura hüllte Neltharion ein. Sein irres Gelächter zeugte von seinem Wahnsinn. Die Augen des Erdwächters glitzerten. Er schien größer zu werden.