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Illidan sah sich aufgeregt um, aber Malfurion legte eine Hand auf seine Schulter und schüttelte den Kopf. „Wir halten uns an die Anweisungen des Captains. Wir gehen zurück. Sofort.“

„Holt seine Leiche runter“, befahl Shadowsong. Sein Gesicht wirkte blass unter der violetten Haut. Er zeigte auf die Zwillinge. „Bildet eine Mauer um sie!“

Dann beugte er sich zu den beiden hinunter und fügte ungeduldig hinzu: „Natürlich nur, wenn es euch nichts ausmacht.“

Malfurion hielt seinen Bruder von einer Antwort ab. Zusammen gingen sie den Hügel hinauf zu ihren Reittieren, während die Soldaten sie unablässig umkreisten – wie ein Wolfsrudel die Beute. Malfurion erkannte die Ironie ihrer Situation. Sein Bruder und er vereinten mehr Macht in sich als alle diese Soldaten zusammen, aber ohne Jarod Shadowsongs Eingreifen wären sie den Dämonen zum Opfer gefallen.

Wir müssen noch sehr viel lernen, dachte der junge Druide, während er auf seinen Nachtsäbler zuging. Ich habe noch viel zu lernen.

Aber es sah so aus, als würden die Dämonen ihnen die Zeit dafür nicht gewähren.

Krasus hatte länger als alle anderen in seiner Umgebung gelebt. Seine hagere, silberhaarige Gestalt ließ die Weisheit erahnen, die er in dieser Zeit gesammelt hatte, aber nur, wenn man in seine Augen blickte, erkannte man, wie groß das Wissen und die Erfahrung des Zauberers wirklich waren.

Die Nachtelfen hielten ihn für einen der ihren, für einen Albino oder eine Mutation. Er sah ihnen ähnlich, wenn man einmal davon absah, dass seine Augen eher an die eines Zwerges erinnerten, da sie Pupillen besaßen. Seine Gastgeber akzeptierten seine „Missbildungen“, hielten sie für ein Zeichen seiner ausgeprägten magischen Künste. Krasus war ein besserer Zauberer als alle Mitglieder der Mondgarde zusammen genommen, und das aus gutem Grund. Er war weder ein Nachtelf, noch irgendeine andere Art von Elf… Krasus war ein Drache. Und zwar kein einfacher, sondern die ältere Version des Leviathans, mit dem er sehr viel Zeit verbrachte: Korialstrasz.

Der Magier und der rothaarige Zauberer Rhonin stammten nicht aus einem fernen Land, obwohl sie das behauptet hatten. In Wirklichkeit kamen sie aus einer weit entfernten Zukunft, aus der Zeit nach der zweiten Entscheidungsschlacht gegen die Brennende Legion. Allerdings waren sie nicht absichtlich in die Vergangenheit gereist. Sie waren einer seltsamen und besorgniserregenden Anomalie in den Bergen nachgegangen, dann aber von eben dieser verschluckt und durch Raum und Zeit ins uralte Kalimdor geschleudert worden.

Aber sie waren nicht die Einzigen. Ein erfahrener Orc-Krieger namens Broxigar war ebenfalls in die Anomalie geraten. Brox’ Volk hatte in der zweiten Schlacht gegen die Dämonen gekämpft, und sein Kriegshäuptling hatte ihn und einen anderen Krieger ausgeschickt, um dem verstörenden Alptraum eines Schamanen nachzugehen. Brox’ Kamerad hatte am Rand der Anomalie gestanden und war zerrissen worden. Seither musste sich der ältere Orc allein in der Vergangenheit durchschlagen.

Die Umstände hatten den Drachen, den Orc und den Menschen – alles ehemalige Feinde – zusammengeführt. Doch die Umstände hatten ihnen noch keinen Weg zurück in die Zukunft aufgezeigt, und das bereitete Krasus große Sorgen.

„Du grübelst schon wieder“, donnerte der Drache.

„Ich mache mir nur Gedanken über deine baldige Abreise“, erklärte Krasus seinem jüngeren Ich.

Der rote Drache nickte. Die beiden standen bei den ausgedehnten Verteidigungsanlagen von Black Rook, der beeindruckenden Festung, von der aus Lord Ravencrest seine Armeen befehligte. Im Gegensatz zu den meisten anderen Nachtelfen bevorzugte Ravencrest eine martialische Umgebung. Die Black-Rook-Festung hatte man aus schwerem schwarzen Fels gehauen. Alle Kammern über und unter der Erde waren in den Stein gemeißelt worden. Viele hielten Black Rook für eine uneinnehmbare Festung.

Doch für Krasus, der die monströse Wut der Brennenden Legion kannte, war sie nur ein weiteres vor dem Einsturz stehendes Kartenhaus.

„Ich möchte nicht abreisen“, sagte der rote Drache, „aber es herrscht Stille in meinem Volk. Ich spüre nicht einmal mehr meine geliebte Alexstrasza. Gerade du solltest verstehen, dass ich dem nachgehen muss.“

Korialstrasz wusste, dass sein Begleiter ebenfalls ein Drache war, aber er hatte die Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart noch nicht erkannt. Nur seine Königin und Gefährtin, die Mutter des Lebens, wusste die Wahrheit, hatte sie jedoch niemandem mitgeteilt. Damit hatte sie dem älteren Drachen einen Gefallen erwiesen.

Krasus fühlte die Leere ebenfalls. Er wusste, dass sein jüngeres Ich den Grund dafür herausfinden musste, auch wenn es für sie beide mit Risiken behaftet war. Gemeinsam bildeten sie eine gewaltige Streitmacht, die von Lord Ravencrest über alles geschätzt wurde. Korialstrasz ließ Feuer auf die Dämonen nieder regnen, und Krasus verwandelte diese Flammen in einen Feuersturm, der mit nur einem Atemzug mehrere hundert Dämonen vernichten konnte. Doch wenn man sie trennte, wurden sie krank und verloren fast ihre gesamte Macht.

Die letzten Sonnenstrahlen verschwanden hinter dem Horizont. Die Gegend rund um die Gebäude war bereits voller geschäftig wirkender Nachtelfen. Niemand wagte es, nachlässig zu sein, weder bei Tag noch bei Nacht. Zu viele waren anfangs wegen dieser Angewohnheit gestorben. Trotzdem hieß man die Dunkelheit immer noch willkommen, denn die Nachtelfen zogen ihre Kraft nicht nur aus dem Brunnen der Ewigkeit, sondern auch aus dem Mond und den Sternen.

„Ich habe nachgedacht“, sagte Krasus und spürte den Wind auf seinem schmalen Gesicht. Korialstrasz war so groß, dass er die Festung nicht betreten konnte. Allerdings war Black Rook so stabil gebaut, dass er sich auf das Dach des Hauptgebäudes setzen konnte. Krasus hatte sich entschieden, ebenfalls dort zu übernachten. Er benutzte nur eine dünne Decke, um sich vor dem Wind zu schützen. Er nahm auch seine Mahlzeiten an den Verteidigungsanlagen ein und kletterte nur nach unten, wenn er dort etwas zu erledigen hatte. In allen anderen Fällen wandte er sich an Rhonin, der als einziger Außenstehender die Situation verstand, in der er sich befand.

„Es gibt vielleicht eine Möglichkeit, dass wir unsere Reise gemeinsam fortsetzen können“, fuhr er fort. „In gewisser Weise…“

„Berichte mir davon.“

„Auf deinem Körper gibt es mindestens eine lockere Schuppe, nicht wahr?“

Der Drache spreizte seine Flügel und schüttelte sich wie ein großer Hund. Seine Schuppen klapperten rhythmisch. Er runzelte die Stirn, während er lauschte, dann drehte er seinen langen Hals. „Hier hinten ist eine, glaube ich.“

Drachen verloren im Allgemeinen ihre Schuppen so wie andere Wesen ihr Haar verloren. Die nackten Stellen wurden mit der Zeit härter und bildeten schließlich neue Schuppen. Ein Drache, der mehrere Schuppen an einer Stelle verlor, musste sich in Acht nehmen, denn die weiche Haut darunter war gegen Waffen und Gift nicht gefeit.

„Mit deiner Erlaubnis hätte ich sie gerne.“

Jedem anderen hätte Korialstrasz seine Erlaubnis verweigert, aber er vertraute Krasus mittlerweile so sehr wie sich selbst. Irgendwann würde Krasus ihm seine Beweggründe verraten, vorausgesetzt, dass sie lange genug lebten.

„Sie gehört dir“, erwiderte der rote Drache freundlich. Mit seinem Hinterlauf kratzte er an der Stelle, bis nur Momente später eine lockere Schuppe zu Boden fiel.

Krasus hob sie hoch, betrachtete sie und nickte zufrieden. Er sah zu seinem Begleiter auf. „Und nun muss ich dir etwas geben.“

„Das ist nicht nötig.“

Aber der Drachenmagier wusste es besser. Es wäre schlimm, wenn seinem jüngeren Ich etwas zustoßen würde, weil Krasus sich in die Vergangenheit eingemischt hatte. „Doch, das ist es.“

Er legte die kopfgroße Schuppe zur Seite, blickte auf seine linke Hand und konzentrierte sich.