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Rhonin sah, wie der schwarz gekleidete Zauberer der heranstürmenden Horde einige Explosivgeschosse entgegenschleuderte. Dämonen flogen durch die Luft, abgetrennte Körperteile regneten rund um den Zauberer nieder. Allerdings gerieten auch ein paar Soldaten in den Zauber geraten und starben auf die gleiche Weise.

Ein Mitglied der Mondgarde brach zusammen, und Illidan beschimpfte die anderen. Die weitaus erfahreneren Zauberer bauten ihre Verbindung zueinander neu auf.

Was tut er da?, dachte Rhonin. Wenn er so weitermacht, bringt er sie um.

Illidan begann einen neuen Zauber, dann fiel ihm der Magier ins Auge. Er grinste und war so zufrieden mit der eigenen Leistung, dass er gar nicht bemerkte, wie schlecht es dem Rest der Armee ging.

„Meister Rhonin, habt Ihr gesehen – “

„Ich habe alles gesehen, Illidan! Ravencrest will, dass ich die Führung übernehme. Wir müssen unsere Angriffe koordinieren und so etwas wie Ordnung in unsere Reihen bringen.“

„Ihr sollt übernehmen?“ Ein gefährlicher Ausdruck prägte sich in das Gesicht des Elfen. „Für mich?“

„Ja.“ Rhonin erklärte ihm die Gründe nicht. Das Schicksal eines ganzen Volkes – einer ganzen Welt – lag in ihren Händen.

Illidan nickte bitter, dann fragte er: „Was werden wir tun?“

Der Magier hatte bereits darüber nachgedacht. Zunächst musste Illidan seine Verbindung zur Mondgarde aufgeben. Die Zauberer mussten sich ein wenig erholen, und das konnten sie am besten, während Rhonin sie anleitete.

„Ich habe vergeblich versucht, Krasus zu erreichen. Die ganze Magie, die hier in der Luft schwingt, verhindert es wahrscheinlich. Deine Verbindung zu deinem Zwilling sollte wegen der engen Verwandtschaft stärker sein. Finde die beiden. Wir brauchen ihre Hilfe.“

Die Augen des Zauberers verengten sich. Er wusste, weshalb Rhonin ihn wegschickte. Trotzdem nickte er. „Ich werde meinen Bruder finden. Was würden wir nur ohne seine Kräfte machen?“

Illidan wandte sich ab, bevor Rhonin darauf antworten konnte. Der Magier runzelte die Stirn, wusste jedoch, dass er von dem aufbrausenden jungen Nachtelf nichts anderes zu erwarten hatte.

Einige Mondgardisten wirkten erleichtert, als Rhonin ihre Koordination übernahm. Es interessierte sie längst nicht mehr, dass er ein Fremder war; sie wussten, dass er sie gut anleiten würde.

„Wir müssen ihre vorderen Reihen zerstören, so ähnlich wie beim letzten Mal“, sagte er. „Verbindet euch mit mir, dann können wir beginnen.“

Rhonin bereitete sich auf den Zauber vor und warf einen letzten Blick auf Illidan. Der Magier wirkte immer noch verärgert, befolgte jedoch die erhaltenen Anweisungen. Irgendwann, dachte Rhonin, würde Malfurions Bruder die Gründe verstehen, warum es so und nicht anders geschehen musste.

Zumindest hoffte er das.

Illidan verstand die Gründe für Rhonins Zurückweisung nicht einmal ansatzweise. Sein ganzes Leben lang hatte man ihm eine große Zukunft prophezeit. Er hatte geglaubt, seine Zeit wäre gekommen. Sein Volk lebte in Angst und Schrecken, war dem Untergang nahe. War dies nicht der Moment, um den Platz in der Geschichte einzunehmen, der einem gebührte?

Vielleicht hätte er es getan, wenn sich nicht zwei Personen, denen er eigentlich vertraute, gegen ihn gestellt hätten. Lord Ravencrest hatte Illidan aus dem Nichts heraus zu seinem Leibzauberer ernannt. Er hatte ihm das Kommando über die Mondgarde übergeben, und der Zauberer war überzeugt, dass er diese Aufgabe ohne Fehl und Tadel bewältigt hatte.

Doch jetzt hatte Ravencrest ihn aus dieser ehrenvollen Position entfernen lassen und ihn durch jemanden ersetzt, der noch nicht einmal ein Nachtelf war. Illidan respektierte Rhonin zwar, aber das war einfach zuviel. Der Magier hätte dies ebenfalls begreifen müssen. Rhonin vertraute ihm wohl doch nicht, sonst hätte er diesen Führungswechsel von sich aus abgelehnt.

Man hatte Illidan seinen Ruhm gestohlen… und ihn zu einem Botenjungen degradiert, der nach dem so hoch gelobten Malfurion suchen sollte.

Die dunklen Gedanken, die in seinem Verstand auf ihre Gelegenheit gewartet hatten, kehrten mit aller Macht zurück. Illidan versuchte zwar, geistigen Kontakt zu seinem Bruder herzustellen, ein Teil von ihm hoffte jedoch, dass Malfurion ein Opfer der Brennenden Legion geworden und deshalb nicht zurückgekehrt war. Der Zauberer wünschte ihm natürlich einen möglichst heldenhaften Tod, aber abgesehen davon störte ihn die Vorstellung, den Rest seines Lebens ohne seinen Bruder verbringen zu müssen, nicht sonderlich. Natürlich würde Tyrande um ihn trauern, aber er würde sie trösten…

Der Gedanke an Tyrande vertrieb die Düsternis. Illidan bekam Schuldgefühle, als ihm klar wurde, wie schrecklich die Priesterin leiden würde. Tyrande sollte dies nicht durchstehen müssen. Sie hatte Malfurion gewählt. Damit musste er sich abfinden.

Illidan konzentrierte sich auf seinen Zwillingsbruder. Erst wenn er seine Aufgaben erledigt hatte, konnte er über die Zukunft nachdenken. Bis vor kurzem hatte er geglaubt, Ravencrest und Tyrande würden eine große Rolle darin spielen – doch in beiden Personen hatte er sich geirrt.

Jetzt musste Illidan herausfinden, wohin er gehörte…

Brox schwang seine Axt und köpfte die Teufelsbestie, die ihm entgegengestürmt war. Neben ihm kämpften Jarod und die wenigen überlebenden Soldaten seiner Truppe gegen den nicht enden wollenden Strom der Dämonen. Die meisten hatten längst ihre Reittiere an den Feind verloren und fochten jetzt gemeinsam mit den Fußsoldaten.

Ein Reiter mit einem halb zerrissenen Banner tauchte in der Nähe des Orcs auf. Brox grunzte überrascht. Diese Einheit hielt sich normalerweise in Lord Ravencrests Nähe auf. Waren die Streitkräfte bereits so weit zurückgedrängt worden, dass die Linien völlig zusammengebrochen waren?

Er drehte den Kopf nach links. Sein Verdacht bestätigte sich. Der schwarze Rabenbanner der Festung flatterte unweit entfernt. Brox hatte nicht gemerkt, dass er sich so stark rückwärts bewegt hatte, doch das war der Beweis.

Ravencrest tauchte neben dem Banner auf. Er schonte sich nicht, sondern warf sich in den Kampf. Zuerst schlitzte er eine Teufelsbestie mit seinem Schwert auf, dann trat er ihr gegen den Kopf. Inmitten seiner persönlichen Leibwache wirkte der Herr über Black Rook selbst auf einen erfahrenen Kämpfer beeindruckend. Anfangs hatte Brox keinen Respekt vor den Nachtelfen gehabt, doch Ravencrest hatte sich als ein Krieger erwiesen, der es verdient gehabt hätte, ein Orc genannt zu werden.

Nachtelfen umschwärmten den Adligen, als könnte seine Stärke auf sie abfärben. Ravencrest hatte eine Fähigkeit, die kein Zauberer beherrschte – seine Soldaten wurden nur durch seine Anwesenheit stärker und entschlossener. Die Gesichter, in die Brox jetzt blickte, zeigten Härte und Stolz. Sie blickten dem Tod entgegen, aber sie würden alles geben, um den Sieg der Dämonen zu verhindern.

So viele Nachtelfen hatten sich rund um ihren Kommandanten versammelt, dass es beinahe schon gefährlich für ihn wurde. Mehr als einmal kam ihm eine Klinge seiner eigenen Soldaten bedrohlich nahe, aber er ignorierte sie, konzentrierte sich nur auf die Waffen der Feinde.

Ein berittener Soldat tauchte plötzlich dicht neben Ravencrest auf, dichter, als es nötig gewesen wäre. Der Nachtelf wirkte voller Grimm, aber nicht auf die gleiche Weise wie die anderen Soldaten. Sein Blick war auf Ravencrest gerichtet, nicht auf die Dämonen.

Der Orc begann auf den Kommandanten zuzulaufen.

„Brox?“, rief Jarod. „Wohin willst du?“

„Eile“, knurrte der grünhäutige Krieger. „Muss warnen.“

Der Captain blickte in die gleiche Richtung wie der Orc, sah aber offensichtlich nicht das, was ihm aufgefallen war. Trotzdem folgte er ihm.

„Weg!“, brüllte Brox die Nachtelfen an, die ihm im Weg standen. Er sah, wie der Reiter bereits in Position ging. In einer Hand hielt der Soldat sein Schwert und die Zügel seines Reittiers. Die andere schwebte über seinem Gürtel, in dem ein Dolch steckte. Im Kampf gegen die Legion war eine solche Waffe nutzlos. Er zog den Dolch und beugte sich zum Kommandanten vor.