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Malfurion wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Sturm zu. Er war nicht natürlich entstanden, denn so abrupt manifestierte sich kein Unwetter. Doch er schien weder das Werk der Brennenden Legion noch seiner eigenen Leute zu sein. Selbst Illidan hätte nichts erschaffen, das sich seiner Kontrolle so umfassend entzog.

Er sah auf, befürchtete bereits, der schwarze Drache sei zurückgekehrt. Doch weder Neltharion noch seine verfluchte Scheibe war irgendwo auszumachen. Wer hatte aber dann diesen katastrophalen Sturm erschaffen?

Er stellte dem Drachen diese Frage, doch Korialstrasz antwortete nicht. Stattdessen sprach eine kleine Gestalt, die im Nacken des Drachen saß und von einer goldenen Aura vor den Elementen geschützt wurde. „Du bist es, Malfurion. Du bringst all das über uns!“

Er starrte Krasus an, den er zuletzt auf einem durchgehenden Nachtsäbler gesehen hatte. Der Magier wirkte mehr als mitgenommen. Seine Schläfe war rot und geschwollen. Trotzdem machte er den gewohnt entschlossenen Eindruck.

Nur seine Worte ergaben für den Druiden keinen Sinn. „Was soll das heißen?“

„Der Sturm entstand aus deinem Leiden, Druide. Er ist Ausdruck deiner Verzweiflung. Du musst deine Hoffnungslosigkeit bezwingen und den Sturm beenden, sonst werden wir alle sterben!“

„Du bist wahnsinnig!“

Der Druide wehrte sich gegen Krasus’ Worte, aber in seinem tiefsten Kern spürte er, wie vertraut der Sturm ihm war. Er tastete mit seinem Geist danach, so wie Cenarius es ihn gelehrt hatte, doch was er entdeckte, erschreckte ihn. Es war nicht der Sturm, der dieses Gefühl auslöste, sondern der Teil von ihm, den er darin spürte. Er hatte diese Monstrosität mit seiner Verzweiflung und Trauer erschaffen. Und jetzt suchte sie nicht nur seine Feinde, sondern auch seine Freunde und Kameraden heim.

Ich bin nicht besser als die Dämonen und der schwarze Drache!, dachte er.

Krasus schien seine Gedanken zu erahnen, denn er sagte: „Malfurion, lasse dich nicht von deinen Gefühlen überwältigen. Dieser Sturm war ein Unfall. Du musst deine Gefühle einsetzen, um zu helfen, nicht um zu zerstören.“

Und warum?, fragte sich der Druide. Er dachte wieder an Tyrande, die ein Opfer der Brennenden Legion werden würde. Ohne sie hatte sein Leben keinen Sinn mehr.

Trotzdem war es Tyrande, die schließlich die Düsternis aus seinen Gedanken vertrieb. Sie hätte diese Zerstörung nicht gewollt. Schließlich hatte sie ihr Leben in den Dienst ihres Volkes gestellt. Malfurion beleidigte ihr Erbe, wenn er diesen Sturm gewähren ließ.

Er blickte zu dem jungen Mädchen, das sein Leben riskiert hatte, um der Priesterin zu helfen. Sie war zu jung, um eine Novizin zu sein. Dennoch hatte sie sich, nur mit einem Bogen bewaffnet, den Satyrn und Dämonen gestellt.

Als Malfurion daran dachte und ihre Tränen bemerkte, spürte er, wie seine Liebe zu Tyrande neu aufflammte. Ohne weiteres Zögern schaute er in den Sturm, zwang seinen Willen den Winden, den Wolken und allen Teilen der Natur auf, die an der Katastrophe beteiligt waren.

Der Wind drehte sich. Der Regen fiel zwar immer noch herab, schien jedoch an Heftigkeit auf der Seite der Nachtelfen nachzulassen und auf der Seite der Dämonen zuzunehmen. Malfurion unterwarf die Wildheit des Windes und zwang ihn mit aller Macht, die Brennende Legion anzugreifen.

Der Regen hörte auf. Der Sturm bewegte sich auf Zin-Azshari zu.

Malfurion atmete erleichtert aus. Er hatte es geschafft.

Der Nachtelf sackte erschöpft im Griff des Drachen zusammen. Über ihm rief Krasus: „Gut gemacht, sehr gut!“

Der Druide hätte über seine eigene Leistung erstaunt sein sollen. Selbst Cenarius wäre das gewesen. Doch Malfurion konnte nur an Tyrande und an sein Versagen denken.

Nichts anderes zählte.

Der Sturm dauerte drei Tage und drei Nächte. Er jagte die Dämonen über das Land und Zin-Azshari entgegen. Als er sich auflöste, befand sich die Brennende Legion noch zwei Tage von der Hauptstadt entfernt.

Die Nachtelfen waren zu erschöpft, um ihrem Feind zu folgen. Jenseits der Vulkanlandschaft, die Neltharion erschaffen hatte, ruhten sie sich aus und leckten ihre Wunden. Vielen erschienen die Zerstörungen des Sturms, die Dämonenseele und die Brennende Legion weniger katastrophal als Lord Ravencrests Tod.

Die Nachtelfen konnten ihm kein angemessenes Begräbnis geben, aber sie taten, was sie konnten. Lord Stareye besorgte einen Wagen, der von sechs Nachtsäblern gezogen wurde. Den toten Adligen ließ er dort aufbahren. Ravencrests Arme lagen gekreuzt auf seiner Brust, in den Händen hielt er das Banner von Black Rook. Nachtlilien bildeten einen Kreis um seinen Körper. Eine Einheit seiner Soldaten räumte den Weg vor dem Wagen frei, eine zweite sorgte dafür, dass niemand aus der weinenden und schluchzenden Menge versuchte, den Leichnam zu berühren. Der Wagen fuhr an der gesamten Streitmacht vorbei, begleitet von Hörnern, die einen Trauermarsch bliesen.

Am Ende des Weges legte man Ravencrests Leiche zu all den anderen, die im Kampf gefallen waren. Malfurion bat dann Korialstrasz, ihm und den Nachtelfen einen traurigen Gefallen zu erweisen. Der Drache stimmte zu.

Hunderte sahen zu, als Korialstrasz einen gewaltigen Feuerstoß ausspie. Die Leichen von Lord Ravencrest und den Soldaten fingen sofort Feuer. Malfurion wandte sich ab, um allein um all die Gefallenen zu trauern. Aber das junge Mädchen, das so hart für Tyrandes Rettung gekämpft hatte, blieb bei ihm. Shandris fragte ihn immer wieder, wann er losziehen würde, um die Priesterin zu retten. Malfurion konnte ihr keine Antwort darauf geben. Schließlich brachte er sie zu den Schwestern, die sich besser um sie kümmern würden.

Lord Stareye war von den anderen Adligen zum Kommandanten ernannt worden. Seine erste Aufgabe bestand darin, die Armee nach weiteren Verrätern zu durchleuchten. Die Suche verlief ergebnislos. Trotzdem wurden zwei Soldaten hingerichtet, die man mit dem Verräter in Verbindung gebracht hatte. Stareye schloss die Untersuchung damit ab und widmete sich der nächsten Herausforderung.

Krasus und Rhonin, die von Brox und Jarod begleitet wurden, versuchten den neuen Kommandanten davon zu überzeugen, endlich die anderen Völkern um Hilfe zu bitten. Doch ihre Vorschläge stießen nach wie vor auf taube Ohren.

„Kur’talos hat in dieser Angelegenheit entschieden, und ich werde seine Ansichten ehren“, sagte der schlanke Adlige und schnupfte etwas weißes Pulver.

Damit endete zwar die Diskussion, nicht aber die Sorge. Die Brennende Legion würde sich rasch erholen, und Archimonde würde sie dann wieder auf die Nachtelfen hetzen. Niemand zweifelte daran, dass die Armee vor einer härteren Schlacht stand als je zuvor.

Selbst wenn es den Nachtelfen gelingen sollte, die Invasoren bis zu den Toren Zin-Azsharis zurückzutreiben, war ihnen damit nicht geholfen. Solange das Portal geöffnet war, strömten immer neue Dämonen nach Kalimdor, und die Bedrohung durch Sargeras wuchs. Hunderttausende Dämonen konnten sterben, der Palast konnte fallen, doch all das würde bedeutungslos werden, sollte es Sargeras gelingen, die Welt zu betreten. Er würde die Streitmacht mit einem einzigen Blick hinwegfegen.

Diese Befürchtung festigte Krasus’ Entscheidung. Er rief die anderen zusammen und erklärte ihnen, was sie zu tun hatten, um das scheinbar Unvermeidliche doch noch abzuwenden.

„Ravencrest hatte Unrecht“, begann er, „und Stareye ist blind. Ohne eine Allianz aller Völker wird Kalimdor – und damit die ganze Welt – verloren sein.“

„Aber Lord Stareye wird sich nicht an sie wenden“, warf Jarod ein.

„Dann müssen wir das an seiner Stelle tun…“ Der Magier sah sie der Reihe nach an. „Auf die Drachen können wir uns nicht verlassen…vielleicht nie wieder. Korialstrasz versucht herauszufinden, was mit ihnen geschehen ist. Ich befürchte allerdings, dass wir nichts unternehmen können, solange Neltharion die Scheibe besitzt. Deshalb müssen wir uns an die Zwerge, die Tauren und die Furbolgs wenden… und sie davon überzeugen, denen zu helfen, die sie eigentlich verachten.“