Rhonin schüttelte den Kopf. „Die anderen Völker werden nicht verstehen, weshalb sie jene unterstützen sollten, die sie fast ebenso gerne vernichten würden wie die Brennende Legion. Wir reden hier über Konflikte, die seit Jahrhunderten schwelen.“
Der Drachenmagier nickte grimmig. Sein Blick richtete sich auf die weit entfernte Hauptstadt. „Dann werden wir alle sterben, entweder durch die Klingen der Brennenden Legion oder durch die bösartige Macht der Dämonenseele. Wir werden sterben.“
Niemand widersprach ihm.
Malfurion war der einzige, der nicht an dem Treffen teilnahm. In den letzten Tagen hatte er sich auf eine Jagd begeben, die mit einem Plan begonnen hatte – einem verzweifelten Plan, dem nur jemand zustimmen konnte, der ebenso wahnsinnig wie er selbst war.
Der Druide wollte versuchen, Tyrande aus der Hand der Dämonen zu befreien.
Nur ein Nachtelf in der gesamten Streitmacht würde über diese Idee nicht lachen, und nach ihm suchte Malfurion, denn er konnte sein selbstmörderisches Vorhaben nicht allein durchführen.
Doch Illidan war verschwunden.
Schließlich wandte er sich an die Mondgarde. Er behauptete, er wolle seinen Bruder um Rat wegen des bevorstehenden Marsches fragen und bat um eine Audienz bei dem höchsten Zauberer der Garde.
Der glatzköpfige Nachtelf blickte auf, als Malfurion zu ihm trat. Die Mondgarde traute dem Weg zwar nicht, den er eingeschlagen hatte, respektierte aber die beeindruckenden Zauber, die er zu weben verstand.
„Ich grüße dich, Malfurion Stormrage“, sagte der Gardist und erhob sich von dem Felsen, auf dem er gesessen und eine Schriftrolle gelesen hatte.
„Vergebt mir, Galar’thus Rivertree. Ich suche nach meinem Bruder, doch ich kann ihn nirgends finden.“
Galar’thun sah ihn nervös an. „Hat man dir nichts gesagt?“
Malfurion spannte sich an. „Was gesagt?“
„Dein Bruder ist… verschwunden. Er wollte die Vulkanlandschaft, die der Drache geschaffen hat, näher untersuchen, ist jedoch nicht zurückgekehrt.“
Der Druide traute seinen Ohren nicht. „Illidan ist allein dorthin geritten? Ohne Begleitung?“
Der Zauberer senkte den Kopf. „Wer hätte ihn denn aufhalten sollen, Druide?“
Das wusste Malfurion auch nicht. „Wisst Ihr sonst noch etwas?“
„Wenig. Er ist in der Nacht nach dem Ende des Sturms losgeritten und wollte beim ersten Tageslicht zurück sein. Doch zwei Stunden nach Tagesbeginn kehrte sein Reittier ohne ihn zurück.“
„War das Tier verletzt?“
Galar’thus schaute ihm nicht in die Augen. „Der Nachtsäbler sah mitgenommen aus. An seinem Fell klebte Blut. Wir wissen nicht, ob es von deinem Bruder stammte. Die Gegend ist so von Magie durchtränkt, dass solche Unterscheidungen unmöglich sind. Lord Stareye sagte – “
„Lord Stareye?“ Malfurion wurde wütend. „Er weiß davon und ich nicht?“
„Lord Stareye sagte, wir sollten unsere Zeit nicht mit jemandem verschwenden, der höchstwahrscheinlich tot sei. Unsere Anstrengungen sollten sich auf die Lebenden konzentrieren. Es tut mir Leid, Malfurion, aber so lautet der Befehl des Kommandanten.“
Der Druide hörte ihm nicht länger zu, sondern wandte sich ab und ging davon. Der Verlust traf ihn hart. War Illidan wirklich tot? Trotz all der Probleme, die sie in der letzten Zeit gehabt hatten, liebte er seinen Bruder. Und wenn er tot war…
Der Gedanke schwebte noch unvollendet in seinem Verstand, als ein Schauer über seinen Rücken rann. Malfurion hielt an und richtete seinen Blick nach innen.
Er hätte den Tod seines Zwillingsbruders fühlen müssen. So sicher, wie er seinen eigenen Herzschlag spürte, hätte er auch Illidans Ende gespürt. Die Fakten sprachen vielleicht dagegen, aber Malfurion wusste, dass Illidan noch lebte.
Lebte… Der Druide betrachtete das aufgerissene und verbrannte Land, versuchte seine Gedanken über es hinaus auszudehnen. Illidan war irgendwo da draußen, aber wo?
Tief in seinem Inneren fürchtete Malfurion, dass er die Antwort bereits kannte…
24
Den Gestank der zerstörten Stadt beachtete der Fremde kaum, der verborgen unter Umhang und Kapuze durch ihre Straßen ritt. Er betrachtete die umgestürzten Baumhäuser und zertrümmerten Gebäude mit wissenschaftlich kühlem Interesse. Die langsam verwesenden Leichen sah er beinahe geringschätzig an.
Sein Reittier knurrte und fauchte plötzlich. Der Reiter griff nach den Tentakeln und zwang die Teufelsbestie kraft seines Willens weiter. Der riesenhafte dämonische Hund bewegte sich jedoch nicht mit zufrieden stellender Geschwindigkeit, also sandte der Reiter schwarze Energien in seinen Körper, die ihn schmerzerfüllt aufjaulen ließen. Danach bewegte er sich schneller.
Der Reiter zog immer weiter durch die tote Stadt. Er spürte, dass er von allen Seiten beobachtet wurde, unternahm jedoch nichts dagegen. Die Wächter interessierten ihn nicht. Er würde sie in Ruhe lassen, solange sie ihn unbehelligt ließen.
Vor zwei Tagen hatte er sein unfreiwilliges Reittier entdeckt. Seitdem benutzte er es. Jetzt näherte es sich einer Kreuzung und wurde wieder langsamer. Der Reiter wusste jedoch, dass es nicht aus Sturheit so reagierte, sondern weil es spürte, dass andere seiner Art in der Nähe waren.
Die Wächter ließen ihn also doch nicht in Ruhe. Sie wollten ihn in eine Falle locken.
Sie waren Narren.
Drei Teufelswächter stürmten ihm aus den Trümmern frontal entgegen. Mit ihren gehörnten Schädeln und blitzenden Klingen sahen die großen Dämonen zwar beeindruckend aus, stellten jedoch für den Reiter keine echte Bedrohung dar.
Seitlich tauchten zwei Teufelsbestien auf. Sie wollten sich auf ihre Beute stürzen. Ihre Tentakel zuckten dem Zauberer entgegen, den sie für unvorsichtig hielten.
Er hob die Augenbrauen. Dieser Angriff war enttäuschend. Mit einer Hand riss er seinem Reittier einen Tentakel aus, um es daran zu erinnern, wer sein Herr war. Die Teufelsbestie heulte auf. Er warf den Tentakel den Angreifern entgegen. Im Flug wurde er länger und bildete eine Schlinge, die alle drei Dämonen fesselte und zu Fall brachte.
Der Reiter kümmerte sich nicht mehr um sie, sondern wandte sich der Teufelsbestie zu, die ihm von der rechten Seite entgegen stürmte. Der Dämon kreischte plötzlich und ging in Flammen auf. Einige Meter vor seinem Ziel brach er zusammen. Sein brennender Kadaver erfüllte die Luft mit einem neuen strengen Geruch.
Das zweite Monster prallte mit seinem Reittier zusammen. Die Tentakel der Teufelsbestie gruben sich in Brust und Seite des Reiters und begannen seine Energie auszusaugen.
Wollten beginnen.
Doch die Bestie zuckte zusammen, als ihre Beute stattdessen anfing, sie auszusaugen. Verzweifelt versuchte sie, ihre Tentakel zu befreien, aber das ließ der Reiter nicht zu. Die Teufelsbestie trocknete bis auf die Knochen aus. Als magisches Wesen bestand sie fast vollständig aus Energie, die der Reiter an sich reißen konnte.
Nur wenige Sekunden vergingen, dann war die Tat vollendet. Mit einem letzten Wimmern brach die Teufelsbestie zusammen. Der Reiter pflückte die Tentakel von seinem Körper, dann führte er sein verängstigtes Reittier weiter. Die Teufelswächter ignorierte er.
Er spürte, dass andere in den Ruinen lauerten, aber sie wagten keinen weiteren Angriff mehr. Ohne weitere Unterbrechungen dauerte es nicht lange, bis sein Ziel vor ihm lag. Es war ein großes Tor in einer steinernen Mauer, auf der Nachtelfensoldaten standen und ihm misstrauisch entgegen blickten.
Der Reiter zog die Kapuze von seinem Kopf.
„Ich bin hier, um der Königin meine Dienste anzubieten“, rief Illidan laut. Dabei wandte er sich nicht an die Soldaten auf der Mauer, sondern an die Nachtelfen im Inneren des Palastes. „Ich biete meiner Königin meine Dienste an… und dem Lord der Legion.“
Ruhig wartete er. Fast eine Minute verging, dann öffnete sich das Tor. Das Knirschen und Knarren hallte durch Zin-Azshari wie das geisterhafte Stöhnen von Toten.