So schmeichelhaft auch dieses Kompliment war, so antwortete doch der Officier nicht, sondern zog aus seinem Gürtel eine kleine silberne Pfeife hervor, derjenigen ähnlich, welcher sich die Hochbootsleute auf Kriegsschiffen bedienen, und pfiff dreimal auf drei verschiedene Modulationen; sogleich erschienen mehrere Männer, spannten die Pferde aus und führten den Wagen unter eine Remise.
Der Officier forderte, stets mit derselben ruhigen Höflichkeit, seine Gefangene auf, in das Haus einzutreten. Diese nahm, fortwährend mit demselben lächelnden Gesichte, seinen Arm und trat mit ihm unter eine niedrige Thüre, welche durch ein nur im Hintergrund beleuchtetes Gewölbe nach einer steinernen Treppe führte; dann blieb man vor einer zweiten starken Thüre stehen, die sich, nachdem der junge Mann sie mit einem Schlüssel aufgeschlossen hatte, den er bei sich trug, schwerfällig auf ihren Angeln drehte und das für Mylady bestimmte Zimmer öffnete.
Mit einem einzigen Blick hatte die Gefangene das Zimmer in seinen kleinsten Einzelnheiten überschaut.
Es war eine Stube, deren Geräthe ein für ein Gefängniß reinliches, anständiges, für die Wohnung eines freien Menschen aber strenges Aussehen hatte. Die eisernen Stangen an den Fenstern und die Riegel an der Thüre entschieden jedoch den Prozeß zu Gunsten des Gefängnisses. Einen Augenblick wurde dieses Geschöpf, das seine Kraft in so mächtigen Quellen gestählt hatte, von aller Seelenstärke verlassen. Sie fiel auf einen Stuhl zurück, kreuzte die Arme, ließ den Kopf sinken und erwartete jeden Augenblick, es werde ein Richter erscheinen, um sie zu verhören.
Aber es kam Niemand, außer zwei oder drei Marinesoldaten, welche die Koffer und Kisten brachten, diese in eine Ecke niederstellten, und sich dann entfernten, ohne ein Wort zu sprechen.
Der Officier wohnte allen diesen Verrichtungen mit derselben Ruhe bei, welche Mylady beständig an ihm wahrgenommen hatte, sprach selbst kein Wort und verschaffte sich durch eine Handbewegung oder einen Ton seiner Pfeife Gehorsam.
Man hätte glauben sollen, zwischen diesem Mann und seinen Untergebenen bestehe die Sprache nicht, die man mit der Zunge spricht, oder sie sei überflüssig geworden. Endlich konnte Mylady nicht mehr länger an sich halten. Sie unterbrach das Stillschweigen und rief:
«Um Gottes willen, mein Herr, was soll das Alles bedeuten? Macht meiner Unruhe ein Ende. Ich habe Muth, jeder Gefahr, die ich vorher sehe, jedem Unglück, das ich begreife, zu trotzen. Wo bin ich und was bin ich? Bin ich frei? Warum diese eisernen Stangen und diese Thüren? Bin ich eine Gefangene? Welches Verbrechen habe ich begangen?«
«Ihr seid hier in der für Euch bestimmten Wohnung, Madame. Ich habe Befehl erhalten. Euch auf der See abzuholen und in dieses Schloß zu bringen. Diesen Befehl habe ich, wie ich glaube, mit aller Strenge eines Soldaten, aber zugleich mit aller Höflichkeit eines Edelmanns vollzogen. Hiemit endigt sich, wenigstens für jetzt, der Auftrag, den ich bei Euch zu erfüllen habe, das Uebrige geht eine andere Person an.«
«Und die andere Person, wer ist sie?«fragte Mylady.»Könnt Ihr mir nicht ihren Namen sagen?«
In diesem Augenblick vernahm man auf der Treppe ein gewaltiges Sporengeklirr, einige Stimmen machten sich im Vorübergehen hörbar und verhallten dann wieder. Das Geräusch eines einzelnen Trittes näherte sich der Thüre.
«Hier ist sie, Madame, «sagte der Officier, den Gang öffnend und eine ehrfurchtsvolle Stellung nehmend.
Zu gleicher Zeit erschien ein Mann auf der Schwelle: er war ohne Hut, trug einen Degen an seiner Seite und zerknitterte ein Sacktuch zwischen seinen Fingern.
Mylady glaubte diesen Schatten im Schatten zu erkennen. Sie stützte sich mit einer Hand auf den Arm eines Lehnsessels und reckte den Kopf, um einer Gewißheit entgegen zu gehen.
Der Fremde näherte sich langsam; sobald er in den von der Lampe geworfenen Lichtkreis eintrat und näher kam, wich Mylady unwillkürlich zurück. Als ihr kein Zweifel mehr übrig blieb, rief sie mit dem höchsten Erstaunen:
«Wie, mein Bruder, Ihr seid es?«—»Ja, schöne Dame, «antwortete Lord Winter mit einer halb höflichen, halb ironischen Verbeugung;»ich bin es.«—»Aber dieses Schloß?«—»Gehört mir.«—»Dieses Zimmer?«—»Ist das Eure.«—»Und ich bin also eine Gefangene?«—»Ungefähr.«—»Aber das ist ein ganz abscheulicher Mißbrauch der Gewalt.«—»Keine großen Worte! Setzen wir uns und plaudern wir ruhig mit einander, wie es sich zwischen Bruder und Schwester geziemt.«
Dann wandte er sich nach der Thüre um und sagte, als er sah, daß der junge Offizier auf seine letzten Befehle wartete:»Es ist gut, ich danke Euch, laßt uns nun allein, Herr Felton.«
XXII. Plauderei eines Bruders und einer Schwester
Während Lord Winter die Thüre schloß, einen Laden aufstieß und einen Stuhl näher zu dem seiner Schwägerin rückte, senkte Mylady träumerisch ihren Blick in die Tiefen der Möglichkeit und entdeckte den ganzen Faden, den sie nicht von ferne geahnt hatte, so lange sie nicht wußte, in welche Hände sie gefallen war. Sie kannte ihren Schwager als einen guten Edelmann, als einen treuherzigen Jäger, als einen unerschrockenen Spieler, unternehmend bei Frauen, aber von weniger als mittelmäßigem Intriguirtalent. Wie war es ihm gelungen, ihre Ankunft zu entdecken, sie ergreifen zu lassen? und warum hielt er sie fest?
Athos hatte ihr wohl einige Worte gesagt, woraus hervorging, daß ihr Gespräch mit dem Kardinal in fremde Ohren gefallen war, aber sie konnte nicht glauben, daß er so geschickt und so rasch eine Gegenmine zu graben vermocht habe. Sie fürchtete vielmehr, ihre früheren Operationen in England möchten entdeckt worden sein. Buckingham konnte errathen haben, daß sie die zwei Nestelstifte abgeschnitten hatte, und wollte sich für diesen kleinen Verrath rächen. Aber Buckingham war unfähig, sich zu irgend einer harten Maßregel gegen eine Frau verleiten zu lassen, besonders wenn man glauben konnte, diese Frau werde zu ihren Handlungen durch ein Gefühl von Eifersucht getrieben.
Diese Vermuthung kam ihr als die wahrscheinlichste vor. Sie glaubte, man wolle sich für die Vergangenheit rächen und nicht der Zukunft entgegentreten. In dem Fall beglückwünschte sie sich, daß sie in die Hände ihres Schwagers gefallen war, bei dem sie jedenfalls leichteren Kaufes durchzukommen wähnte, als wenn sie in die Hände eines unmittelbaren und gescheiteren Feindes gerathen wäre.
«Ja, plaudern wir, mein Bruder, «sagte sie mit einer Art von Vergnügen, entschlossen, sich trotz aller Verstellung, mit der Lord Winter dabei zu Werke gehen könnte, aus dem Gespräch die nötige Aufklärung zu verschaffen, um ihr Benehmen darnach einzurichten.
«Ihr habt Euch also entschlossen, nach England zurückzukehren, «sagte Lord Winter, obschon Ihr mir in Paris so oft erklärt habt, daß Ihr das Gebiet Großbritanniens nie wieder betreten würdet?«
Mylady beantwortete die Frage mit einer Gegenfrage.
«Erklärt mir vor Allem, «sagte sie,»wie Ihr mich habt so scharf beobachten lassen, daß Ihr nicht allein von meiner Ankunft, sondern auch von dem Tag, der Stunde, und dem Hafen, wo ich eintraf, benachrichtigt wäret?«
Lord Winter nahm dieselbe Taktik an, wie Mylady. Er glaubte, da sie diese angewendet hatte, müßte sie die richtige sein.
«Sagt Ihr mir, meine liebe Schwester, «versetzte er,»was Ihr in England thun wolltet?«
«Ich komme nur um Euch zu besuchen, «erwiderte Mylady, ohne zu wissen, wie sehr sie durch diese Antwort den Verdacht erschwerte, den der Brief d'Artagnans bei ihrem Schwager erregt hatte, und nur in der Absicht, das Wohlwollen ihres Zuhörers durch eine Lüge zu gewinnen.
«Um mich zu besuchen?«fragte Lord Winter.
«Allerdings, um Euch zu besuchen. Was ist daran zu verwundern?«