Die zwei jungen Leute grüßten, Aramis ging die Straße hinauf, welche nach dem Luxembourg führte, während d'Artagnan, als er sah, daß die bestimmte Stunde nahe rückte, den Weg nach dem Barfüßerkloster einschlug. Dabei sagte er zu sich selbst:»Ich kann offenbar nicht mit dem Leben durchkommen, aber wenn ich getödtet werde, so werde ich doch wenigstens von einem Musketier getödtet.«
V. Vie Musketiere des Königs und die Leibwache des Herrn Kardinals
D'Artagnan kannte Niemand in Paris. Er ging daher nach dem bestimmten Orte, ohne einen Sekundanten mitzubringen, entschlossen, sich mit denen zu begnügen, welche sein Gegner gewählt haben würde. Ueberdies war es ausdrücklich seine Absicht, offen, aber zugleich ohne Schwäche jede Entschuldigung auszusprechen; er fürchtete, dieses Duell könne die gewöhnliche Folge eines solchen Handels haben, wenn sich ein junger und kräftiger Mann mit einem verwundeten und geschwächten Gegner schlägt: überwunden verdoppelt er den Triumph seines Widersachers, als Sieger wird er der Pflichtvergessenheit und eines wohlfeilen Muthes angeklagt.
Wenn wir den Charakter unseres Abenteurers nicht schlecht geschildert haben, so kann es den Lesern nicht entgangen sein, daß d'Artagnan durchaus kein gewöhnlicher Mensch war. Während er sich stets wiederholte, daß sein Tod unvermeidlich sei, ergab er sich durchaus nicht darein, ganz geduldig zu sterben, wie ein anderer minder muthiger Mensch an seiner Stelle gethan haben würde. Er zog die verschiedenen Charaktere derjenigen in Betracht, mit welchen er sich schlagen sollte, und fing an, seine Lage klarer zu durchschauen. Durch die loyalen Entschuldigungen, die er auszusprechen gedachte, hoffte er Athos, dessen vornehmes Aussehen und stolze Miene ihm ungemein gefielen, zum Freund zu gewinnen. Er schmeichelte sich, Porthos mit dem Wehrgehänge-Abenteuer einzuschüchtern, das er, wenn er nicht auf der Stelle getödtet würde, Jedermann erzählen könnte, und eine solche Erzählung, sagte er sich, müßte, auf eine geschickte Weise verbreitet, Porthos im höchsten Grade lächerlich machen; vor dem duckmäuserischen Aramis war ihm nicht besonders bange, und wenn es bis zu ihm käme, so meinte er, es würde ihm wohl gelingen, ihn gänzlich abzuthun oder wenigstens, wie Cäsar gegen die Soldaten des Pompejus empfohlen hatte, durch tüchtige Hiebe in das Gesicht für immer die Schönheit zu Grunde zu richten, auf die er so stolz war.
Dann besaß d'Artagnan jenen unerschütterlichen Grundstock von Entschlossenheit, den in seinem Gemüth die Ermahnungen seines Vaters gebildet hatten, welche darauf hinausliefen, daß er von Niemand, außer von dem König, dem Kardinal und von Herrn von Treville etwas dulden sollte. Er flog also beinahe nach dem Kloster der Karmeliter-Barfüßer, einem fensterlosen Gebäude, das an unfruchtbaren zur Schreiberwiese gehörigen Wiesen lag und von Leuten, welche keine Zeit zu verlieren hatten, gewöhnlich zu Zweikämpfen benützt wurde.
Als d'Artagnan auf dem kleinen Grundgebiet ankam, das sich am Fuß des Klosters ausdehnte, wartete Athos erst seit fünf Minuten, und es schlug gerade zwölf. Er war also pünktlich wie die Samaritanerin, und der strengste Duellcasuist hätte nichts zu rügen gefunden.
Athos, welcher noch immer schwer an seiner Wunde litt, obgleich sie um neun Uhr vom Chirurgen des Herrn vom Treville verbunden worden war, saß auf einem Brunnen und erwartete seinen Gegner mit der ruhigen Haltung und der würdigen Miene, die ihn nie verließ. Beim Anblick d'Artagnans stand er auf und ging ihm höflich einige Schritte entgegen; dieser näherte sich seinem Widersacher, den Hut in der Hand.
«Mein Herr, «sagte Athos,»ich habe zwei von meinen Freunden benachrichtigen lassen, die mir als Sekundanten dienen werden; aber diese zwei Freunde sind noch nicht eingetroffen. Ich wundere mich über ihr langes Ausbleiben, denn es ist sonst nicht ihre Gewohnheit.«
«Ich meines Theils habe keinen Sekundanten, mein Herr, «erwiederte d'Artagnan,»denn erst gestern in Paris eingetroffen, kenne ich hier Niemand, außer Herr von Treville, dem ich durch meinen Vater empfohlen worden bin, welcher sich zu seinen Freunden zu zählen die Ehre hat.«
Athos überlegte einen Augenblick.
«Ihr kennt nur Herrn von Treville?«fragte er.
«Ja mein Herr, ich kenne nur ihn.«
«Ei dann, «fuhr Athos halb mit sich selbst, halb zu d'Artagnan sprechend fort,»wenn ich Euch tödte, werde ich das Ansehen eines Kinderfressers haben!«
«Nicht gar zu sehr, mein Herr, «erwiederte d'Artagnan mit einer Verbeugung, der es nicht an Würde mangelte;»nicht gar zu sehr, da Ihr mir die Ehre erweist, den Degen gegen mich mit einer Wunde zu ziehen, die Euch sehr belästigen muß.«
«Sie ist mir auf mein Wort sehr lästig, und ich muß Euch sagen, Ihr habt mir sehr wehe gethan; aber ich werde die linke Hand nehmen, was unter solchen Umständen meine Gewohnheit ist. Glaubt nicht, daß ich Euch eine Gnade gewähre, denn ich stoße gleichmäßig mit beiden Händen; ja, Ihr seid sogar im Nachtheil, ein Linker ist sehr unbequem für Leute, die nicht zuvor davon in Kenntnis gesetzt sind. Ich bedauere daher ungemein. Euch diesen Umstand nicht früher mitgetheilt zu haben.«
«Mein Herr, «sagte d'Artagnan, sich abermals verbeugend,»Ihr seid in der That von einer Höflichkeit, wofür ich Euch im höchsten Grade Dank weiß.«
«Ihr macht mich verlegen, «erwiederte Athos mit seiner edelmännischen Miene;»ich bitte, sprechen wir von etwas Anderem, wenn es Euch nicht unangenehm ist. Ah, Gottesblut! wie habt Ihr mir weh gethan! die Schulter brennt mir.«
«Wenn Ihr mir erlauben wollt,«… sagte d'Artagnan schüchtern.
«Was denn, mein Herr?«
«Ich besitze einen Wunderbalsam für Wunden, einen Balsam, den mir meine Mutter gegeben hat, und von dem ich an mir selbst eine Probe gemacht habe.«
«Nun denn?«
«Nun denn, ich bin überzeugt, daß dieser Balsam Euch in weniger als drei Tagen heilen würde, und nach Ablauf dieser drei Tage, mein Herr, wäre es mir immer eine große Ehre, Euch zu Diensten zu stehen.«
D'Artagnan sprach diese Worte mit einer Einfachheit, die seinen höflichen Sitten Ehre machte, ohne seinem Muthe Eintrag zu thun.
«Bei Gott, mein Herr, «sagte Athos,»das ist ein Vorschlag, der mir gefällt. Nicht als ob ich ihn annehmen würde, aber auf eine Meile erkennt man daran den Edelmann. So sprachen und handelten die Tapfern in der Zeit Karls des Großen, nach denen jeder Cavalier sich zu bilden suchen muß. Leider befinden wir uns nicht mehr in der Zeit dieses großen Kaisers; wir leben in der Zeit des Herrn Kardinals; da würde man, so gut das Geheimniß auch bewahrt wäre, in drei Tagen erfahren, daß wir uns schlagen sollen, und sich unserem Kampfe widersetzen. Ei, der Teufel! die faulen Bursche kommen nicht.«
«Wenn Ihr Eile habt, mein Herr, «sagte d'Artagnan zu Athos mit derselben Einfachheit, womit er ihm so eben einen dreitägigen Aufschub vorgeschlagen hatte,»wenn Ihr Eile habt und es Euch gefällig wäre, mich sogleich abzufertigen, so bitte ich, Euch nicht zu geniren.«
«Abermals ein Wort, das mir gefällt, «sprach Athos mit freundlichem Kopfnicken.»Er ist nicht ohne Geist und hat sicherlich Herz, «dachte er.»Mein Herr, ich liebe die Leute von Eurem Schlag, und sehe, daß ich, wenn wir einander nicht tödten, später ein großes Vergnügen an Eurer Unterhaltung finden werde. Wir wollen diese Herren abwarten, denn ich habe Zeit genug, und so wird es mehr in der Ordnung sein. Ah, ich glaube, da kommt einer!«
Am Ende der Rue de Vaugirard erschien wirklich der riesige Porthos.
«Wie, «rief d'Artagnan,»Euer erster Zeuge ist Herr Porthos?«—»Ja; ist Euch dies etwa unangenehm?«—»Nein, keineswegs.«—»Und hier ist der zweite.«— D'Artagnan wandte sich nach der von Athos bezeichneten Seite und erkannte Aramis.